Wohl der Kinder oder der Papiere?

Erste Tagung des NGO-Dachverband „Federaţia Socială RoGer” zum Kinderwohl in Hermannstadt

Ein Teil der Tagungsteilnehmer. Bildmitte: Susanne Kastner, Edith Kirchmann und Viorel Enache.
Foto: Hannelore Baier

Es fehlen Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für Erzieher. Die staatliche Unterweisung der Hausmütter ist zwar Pflicht, aber sehr mangelhaft. Wie werden Eltern gestraft, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken? Bei Problemen erhält man keine individuelle Unterstützung sondern „standardisierte“ Antworten vom Typ „nu se poate“ (Das geht nicht). Es gibt auch gute Kooperationen zwischen NGO und Kinderschutzbehörde. Es besteht wachsendes Interesse am Kinderwohl. Diese und viele andere Bemerkungen waren, auf Zettel geschrieben, an Flipcharts gepinnt. Verfasst hatten sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Tagung zum Thema „Familiennahe Kindereinrichtungen zwischen Wunsch und Realität“, die vom 30. Mai bis 1. Juni in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt/Sibiu stattgefunden hat. Die Feststellungen auf den Zetteln flossen in die abschließende Podiumsdiskussion am Sonntagvormittag ein, die Edith Kirchmann, die Vorsitzende des in den Kreisen Arad, Temesch/Timiş und Hunedoara aktiven Vereins „Kinderhilfe Rumänien“ moderierte. Organisiert wurde die Tagung vom NGO-Dachverband „Federaţia Socială RoGer”, dessen stellvertretende Vorsitzende Kirchmann ist.

Der 2009 gegründete Dachverband hat zum Ziel, bedürftige Personen jedwelchen Alters zu unterstützen und bei ihrer Integration und Sozialisierung zu helfen, insbesondere aber die  Gesellschaft und Öffentlichkeit für die Not dieser Personen zu sensibilisieren. Neben der Entwicklung einer breiten Palette an Dienstleistungen, um ein Verbessern des Lebensstandards dieser Personen zu bewirken, hat sich der Dachverband auch das Organisieren von Seminaren, Konferenzen, Gesprächen am runden Tisch, Bildungs- und Vorbereitungskursen sowie das Einleiten von Maßnahmen zur Verbesserung der geltenden Gesetzgebung bezüglich der sozialen Hilfe zur Aufgabe gemacht. Die Verbesserung der legislativen Vorgaben betreffend die Familienhäuser war denn auch eines der Themen in der ersten Runde der Schlussdebatte. Angesprochen wurde das Bilden einer Arbeitsgruppe, die nach dem Modell der in Deutschland und Österreich geltenden Regelungen Vorschläge ausarbeitet, um dem rumänischen Gesetzgeber Impulse zu geben, das Gesetz und seine Anwendungsbestimmungen zu formulieren. In der Diskussion wurden aber auch Fragen wie die zwar teure aber sinnvolle Supervision der Mitarbeiter durch hierfür ausgebildete Fachleute, das Gründen von regionalen Ausbildungszentren für verschiedene Kategorien von Erzieherinnen (für die Familienhäuser, aber nicht nur) oder die Entwicklung von Tagesbetreuungsmöglichkeiten sowie den Umgang mit Problemkindern thematisiert.

In den Häusern arbeiten Personen mit viel gutem Willen aber ohne die für ein positives Wirken notwendige Fachausbildung, gab Viorel  Enache von der Kinderschutzbehörde des Landkreises Arad zu. Er ermutigte die Vertreter der anwesenden Vereine, Forderungen an die staatlichen Behörden zu stellen, weil sich immer wieder Freiräume finden, um diese zu genehmigen. Susanne Kastner, die vormalige Bundestags-Vizepräsidentin und Vorsitzende des Dachverbands, die sich seit 25 Jahren in Rumänien in verschiedenen Projekten einbringt, meinte, es müsse einheitliche Kriterien geben, nach denen die Einrichtungen funktionieren. Kritisiert wurde allgemein, dass bei Kontrollen Unterlagen oder Aushänge unter die Lupe genommen werden bzw. ob alle (zum Teil absurden) Regelungen eingehalten sind, wie es den Kindern tatsächlich geht, danach sieht und fragt bei den Kontrollen kaum jemand. Der intensive Meinungs- und Informationsaustausch in der Abschlussrunde war die Folge der beiden ersten Tage. Am Freitag hatte die Finanzierung der Häuser und in diesem Kontext die Beziehungen zwischen (staatlichem) Kinderschutz und (privaten) NGOs aber auch die Entwicklung der Heimerziehung im Mittelpunkt gestanden. Am Samstag bildeten pädagogische Fragen das Schwergewicht, zu denen zwei gute Vorträge hinführten, in denen die Bedeutung der „Bindung“ sowie die Auswirkung des Fernsehens und der Medien allgemein in der Entwicklung des Kindes untersucht wurde, teilte uns Edith Kirchmann mit.

Unter den insgesamt 32 Tagungsteilnehmern waren Repräsentanten der Kinderschutzdirektionen aus Arad, Temesch und Hermannstadt sowie Vertreter von 11 Organisationen und Vereinen, die Einrichtungen für Kinder in Rumänien betreuen und meist auch ganz finanzieren. Gefehlt haben die Vertreter des Arbeitsministeriums, dem der Kinderschutz unterstellt ist. Eingeladen worden war Ministerin Rovana Plumb, zugesagt worden war, eine Expertin zu schicken. Es wäre in Ordnung gewesen, dass die aber nicht erschienen ist, hat enttäuscht, sagte Susanne Kastner.
Die Tagung fand Kastner als „hoch interessant“, auch sie habe Etliches dazugelernt. Wenn viele Organisationen mit unterschiedlichen Zielsetzungen an einem Tisch sitzen, kommen gute Diskussionen auf und man erhält neue Denkanstöße. Nach Ansicht von Kastner ist es Aufgabe des rumänischen Staates, für die Finanzierung der Einrichtungen, der Ausbildung und der Löhne der Betreuer zu sorgen. Dass alle gern mithelfen, sei selbstverständlich. Geben aber müsse es feste Regeln, die in allen Landkreisen gelten – und geschaffen werden müsse der gesetzliche Rahmen für die Familienhäuser.
Bis 2020 sollen auch in Rumänien alle Heime geschlossen werden. Derzeit sind über 60.000 Kinder in unterschiedlicher Weise institutionalisiert. Bis 2020 sind noch fünfeinhalb Jahre.