WORT ZUM SONNTAG: Der entscheidende Augenblick

Ignaz Bernhard Fischer, Temeswar

Als die Peterskirche in Rom gebaut wurde, zog man eines Tages mit mächtigen Hebeln einen riesigen Quaderstein hoch. Auf diesem stand ein Bauführer, um die Bewegung des Steines zu lenken. Der Block hatte schon eine bedeutende Höhe erreicht, da brach eine Walze; die Stricke rissen und mit unheimlicher Wucht stürzte der Stein in die Tiefe. Der Bauführer hatte eine staunenswerte Geistesgegenwart. Als der Block gerade noch einen Schuh hoch vom Boden entfernt war, sprang er ab und war gerettet. Hätte er nicht den letzten Augenblick glücklich benutzt, so wäre er ebenso zerschmettert worden wie der Stein. Was kann man zu diesem Ereignis sagen? Man kann in Lebenslagen geraten, wo wir in einem Augenblick eine lebensrettende Entscheidung treffen müssen.

In einem weniger dramatischen Ereignis berichtet uns das Evangelium vom Heil des Oberzöllners Zachäus. Er hörte, dass der große Wanderprediger und Wundertäter Jesus auch in seine Stadt kommen werde. Voller Neugier stieg er auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen. Gerade unter dem Baum blieb Jesus stehen und sagte „Zachäus, steig schnell herab!“ Das war für den Oberzöllner der alles entscheidende Augenblick für sein künftiges Leben. Er stieg eilig herab. Dieser Abstieg wurde für ihn zum heilvollen Aufstieg: Aus dem alten Sündenleben zu einem neuen Leben „in Gnade und Wahrheit“: Das hat ein einziger Augenblick bewirkt: Die Begegnung mit Jesus! Einem jeden von uns gewährt Gott einen solchen Augenblick der Rettungsgnade. Um ihn zu erkennen, benötigen wir die Geistesgegenwart des Bauführers beim Bau der Peterskirche und, um ihn richtig zu nutzen, die Bereitwilligkeit des Ober-zöllners Zachäus. Die Frage ist diese: Wann kommt für dich und mich dieser entscheidende Augenblick? Das wollte auch ein junger Lebemann wissen und fragte einen Meister der Weisheit: „Wann ist der Augenblick da, an dem ich meine Lebensweise zum Guten ändern muss?“ Der Meister sagte kurz und bündig: „Es genügt einen Tag vor deinem Tod!“ Überrascht sagte der junge Mann: „Aber ich weiß ja nicht, wann ich sterben werde.“ Der Weisheitslehrer antwortete: „Da dir dein Todestag verborgen bleibt, ist der wichtigste Augenblick dein Leben zu ändern, das Jetzt und Heute!“ So ist es. Keinem Sterblichen steht auf der Stirne geschrieben, wie lange er noch leben wird und wann er sterben werde. Der entscheidende Augenblick für jeden von uns lautet: „Heute! Jetzt!“

Ein Bild zeigt uns Folgendes: Links wächst ein Dornstrauch zum Himmel. Oben trägt er wunderschöne Rosen, die Christus segnet. Rechts steht ein üppiger Baum voll mit Früchten. Auf einem Ast hockt der Teufel und bietet den Menschen Scheinfrüchte an. Darunter steht als Unterschrift der Ruf an den Menschen: „Wähle!“ Welchen der beiden Bäume wollen wir besteigen? Viele besteigen den Baum der Welt- und Sinnenfreuden. Als Früchte bringt er Geldscheine und Vergnügungsmittel aller Art hervor. Die Besteiger dieses Baumes sind von den Früchten so geblendet, dass sie den vorbeigehenden Christus nicht wahrnehmen. Damit ist der entscheidende Augenblick ihres Heils für immer vorbei.
Steigen wir auf den Maulbeerfeigenbaum der Heilsbotschaft Christi. Seine Früchte schmecken anfangs herb. Die Beeren heißen Opfer, Selbstlosigkeit, Selbstüberwindung. Aber bald wandeln sie sich in süße Beeren um und heißen: Friede. Freude, gutes Gewissen Gottes und Menschenliebe. Halten wir Ausschau nach Christus. Er kommt vorbei und lädt uns ein: „Steigt herab! Ich will ein Mahl mit euch halten. Nicht ihr werdet, wie Zachäus, der Gastgeber sein. Nein, ich lade euch zum ‘königlichen Gastmahl’ im Reiche meines Vaters ein!“ Das ist für uns der alles entscheidende Augenblick unseres Heils!