WORT ZUM SONNTAG: Diktate, die unser Leben lenken

Laut Johannesevangelium hat Jesus mit einer alles menschliche Vermögen weit übersteigenden Tat mit fünf Broten und zwei Fischen über 5000 Menschen gesättigt. Die Begeisterung darüber war so groß, dass sie ihn zum König machen wollten. Das wäre ein König nach ihrem Sinne: Einer, der ihnen alle Ernährungssorgen abnimmt! Jesus entzog sich ihnen. Sie suchten ihn am nächsten Tag, denn sie waren wieder hungrig. All das, was er ihnen den lieben langen Tag über das anbrechende Reich Gottes gesagt hatte, war vergessen. Offenbar klang die Stimme des vor Hunger knurrenden Magens in ihren Ohren lauter als die Heilsworte Jesu vom Reiche Gottes. Sie ließen sich vom Diktat der Sinne und des Bauches lenken.

Staunen wir darüber? Sind wir heute, nach 2000 Jahren, anders? Leider lassen sich auch heute allzu viele Zeitgenossen vom Diktat der Sinne und des Bauches lenken. Nach der Revolution von 1989 kamen viele Hilfsgüter aus dem Ausland in unsere Heimat. Sie wurden zum Großteil den Kirchen zum Verteilen anvertraut. In großer Zahl strömten die Menschen herbei. Sie kamen nur „zur“ Kirche, nicht „in“ die Kirche. Sie wollten von der Kirche keine geistigen, sondern nur materielle Güter empfangen.

Diese Fehleinstellung vieler Bürger benützen seit jeher die nach Macht Strebenden. Die römischen Kaiser sicherten sich ihre Macht dadurch, dass sie dem römischen Volke „Panem et circenses – Brot und Zirkus“ reichlich gaben. Auch heute handeln viele Politiker nach dieser Erkenntnis. Sie versprechen dem Volke das Blaue vom Himmel und hoffen, dass die Wähler, die sich zum Großteil vom Diktat der Sinne und des Bauches lenken lassen, sie wählen werden. Wer mehr verspricht, gewinnt die Wahl.

Als Christen fragen wir: Können materielle Dinge, die unsere Sinne mit Unterhaltungen und unseren Bauch füllen, uns das große Glück bringen, das wir ersehnen? Fragen wir doch solche, die das alles in reicherem Maße erlangt haben, als wir es jemals können, ob sie dadurch das „große Glück“ erreicht haben. Berühmt ist die Marquise Françoise de Maintenon (1635 – 1719). Sie hatte durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. von Frankreich in solchem Maße erregt, dass er sie zu seiner Geliebten machte und nach dem Tode seiner Frau sich heimlich mit ihr trauen ließ. Sie stand nun ganz oben, hatte Reichtum, Ansehen und großen politischen Einfluss. Sie hatte sich dem Diktat der Sinne unterworfen – brachten sie ihr das große Glück? Einer Freundin schrieb sie: „Sehen Sie nicht, dass ich vor Traurigkeit sterbe in Glücksverhältnissen, die jeden Traum übersteigen? Nur Gottes Beistand verhindert, dass ich darüber zerbreche. Ich war jung und schön; ich habe genossen; man hat mich überall gern gesehen. In reiferem Alter habe ich jahrelang mit geistreichen Leuten verkehrt. Ich habe allerhöchste Gunst erlangt. Und ich schwöre Ihnen: All das hat nur eine schreckliche Leerheit in mir zurückgelassen, weil in allem keine wahre Befriedigung liegt!“

Es ist doch klar: Gott hat uns als Geisteswesen in ein materielles Kleid gesteckt. Deshalb müssen wir, um unsere Lebensbestimmung zu erreichen, uns aus dem Diktat der Sinne befreien und uns unter das befreiende „Diktat des Geistes“ begeben. Es schenkt uns Freiheit, Freude, Selbstwertgefühl und erwartungsvolle Hoffnung. Gehen auch wir zu Jesus, aber in anderer Absicht als die wieder hungrig gewordenen Leute im Evangelium. Hören wir auf sein Verheißungswort: „Ich bin das Brot des Lebens!“ Mit dem Glauben an seine Verheißung befreien wir uns vom versklavenden Diktat der Sinne. Lassen wir uns vom befreienden Diktat des Geistes lenken!