WORT ZUM SONNTAG: Wie neugeboren

Der Sonntag nach Ostern trägt den lateinischen Namen Quasimodogeniti, das heißt „Wie die neugeborenen Kinder.“ Gemeint ist eine innere, geistliche Wiedergeburt des Christen, ein neues Leben in Christus. – Von Neuem geboren – mit weißen Kleidern angetan. Diese Bilder stehen leuchtend vor unseren Augen, strahlen uns an und verbreiten überraschende Freude. Mein Ich soll durch Christus in der Tiefe meines Herzens gewandelt werden. Alle Unzufriedenheiten, die ich in mir trage, auch die Unzufriedenheit mit mir selbst, die mich verunsichert und quält, soll von mir genommen werden. Dazu gehört auch das Bewusstsein von Schuld wegen einer Tat, die ich begangen habe und nicht wieder gut machen kann, oder wegen eines Versäumnisses, das ich nicht mehr nachholen kann, weil es zu spät ist. Das alles kann und soll von mir genommen werden.

Wo solches erlebt wird, ist es gewiss eine ganz große und einmalig schöne Sache. Aber gerade an diesem Punkt fehlt bei vielen der Glaube und – was leider oftmals übersehen wird – an diesem Punkt entscheidet sich der Osterglaube, ja der Christenglaube überhaupt. Mit anderen Worten: Es geht nicht so sehr darum, welche Vorstellungen ich vom Leben nach dem Tod habe, als darum, ob ich mich von Gott geliebt und angenommen weiß. Es lohnt sich, gerade an dieser Stelle konkret nach der biblischen Botschaft zu fragen, die uns die überwältigende Zusage macht, dass wir von Gott als seine Kinder angenommen sind. So kündet uns der Brief an die Kolosser: Mit Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe, mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben (Kol 2,12). Begraben werden und auferstehen deutet eine entscheidende Veränderung in unserem Inneren an, einen völligen Wandel. Das Bild will uns sagen: Durch den Glauben sind wir in Christus gewandelte Menschen, wir gehören zu ihm, sind ihm näher gerückt, von ihm angenommen. Hier setzt oftmals der Zweifel an. Wir fragen: Kann das auch wahr sein, sind wir wirklich gewandelte Menschen? Vielleicht verstehen wir auch die Worte „durch den Glauben“ falsch in dem Sinn, als ob wir es uns einreden sollten. Aber unmittelbar daneben steht deutlich „aus der Kraft Gottes“. Demnach ist hier keineswegs von einer Autosuggestion die Rede, sondern von einem Geschenk. Wir werden gewandelt durch den Glauben, der uns aus der Kraft Gottes gegeben wird. Diesen Glauben können wir weder in unserem Verstand noch in unserer Seele selber erzeugen, wir werden in ihn hineingenommen, er wird uns geschenkt und angelegt wie ein neues, weißes Gewand.

Viele Christen haben einen solchen Wandel bewusst erlebt und können davon Zeugnis ablegen. Einige können von der Stunde ihrer Bekehrung erzählen, wie der Apostel Paulus, andere haben nach einer schweren Krankheit oder nach einer Lebenskrise einen neuen Anfang gefunden, der ihnen eine Wiedergeburt im Glauben bedeutete. Andere haben schon im Elternhaus oder im Konfirmandenunterricht entscheidende Impulse mitbekommen. Deshalb können wir keine Regel aufstellen, wann und wie ein solcher Wandel im Leben des Christen geschehen soll, aber es ist wichtig, dass er geschieht. Martin Luther kam erst nach jahrelangem Ringen zu der befreienden Erkenntnis, „dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, durch den Glauben.“ (Römer 3,28) Dieses war die Sternstunde seines Lebens, über die er noch in fortgeschrittenen Jahren schrieb: „Da fühlte ich mich wie ganz und gar neugeboren und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein.“

Von der geistlichen Wiedergeburt wurde und wird meistens im Blick auf den Einzelnen in seinem persönlichen Leben gesprochen. Das ist gewiss ganz wichtig. Daneben steht aber ein Zweites, das ebenso wichtig ist. Der Apostel hat die Gemeinde im Blick, die sich als Volk Gottes versteht, und vielfach ist das, was die Bibel der Gemeinde oder dem Volk sagt, auf den Einzelnen anwendbar und umgekehrt. Es ist wichtig, dass ein Christ in einer Gemeinde eingebettet ist und die Gemeinschaft sucht. Wir alle brauchen die Gemeinschaft der Gläubigen. Das sollten wir gerade heute in unserer Kirche nicht vergessen, wo viele Gemeindeglieder verstreut wohnen. Die sollen wir nicht allein lassen, sondern sie die Gemeinschaft spüren lassen. Gemeinschaft im Glauben macht froh; diese Freude lasst uns weitergeben.