Wozu der ganze Aufriss?

Familie wird instrumentalisiert, um Homophobie zu fördern und in der Verfassung zu verankern

Im Bus, mit dem ich in die Stadt pendle, hängt seit Wochen ein Plakat zum Familien-Referendum. „Komm zum Referendum!“, wird man ermutigt, „Stimme mit JA zur Ehe zwischen Mann und Frau!“ und „Verteidige die Kinder Rumäniens!“ Mir ist nicht ganz klar, wovor ich die Kinder Rumäniens „verteidigen“ soll, aber das Plakat erklärt mir, was passiert, wenn ich sie nicht „verteidige“: Dann „werden zwei Männer ein Kind adoptieren können und in der Schule werden die Kinder lernen, dass ihre Mutter keine Frau und ihr Vater kein Mann ist.“

Das ist vollkommener Quatsch, denn von einer eingetragenen Partnerschaft oder gar einer gleichgeschlechtlichen Ehe sind wir in Rumänien weit entfernt. Erst 2001 ist der Artikel 200 des Strafgesetzbuches aufgehoben worden, der öffentliche Erscheinungsformen von Homosexualität kriminalisierte. Ein Eheverbot für homosexuelle Paare ist im Zivilrecht festgeschrieben und außerdem würden laut Umfragen nur wenige Rumänen die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen befürworten.

Rumänien ist in dieser Hinsicht konservativ. Statt sich vor zu viel Weltoffenheit zu „verteidigen“, sollte das Land lieber dafür sorgen, dass es nicht den autokratischen und – man kann es ruhig benennen – faschistischen Tendenzen folgt, die in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas um sich greifen.
Die rumänische Verfassung definiert die Ehe neutral als Bund von „Ehegatten“ und ist dabei – sozu-sagen aus Versehen – modern.

Denn fortschrittliche Staaten, auch Demokratien genannt, sind weltanschaulich neutral. Sie kümmern sich um Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, die Garantie der Grundrechte, ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitswesen und viele, viele andere Dinge – nur nicht um das Schlafzimmer der Bürger.

In Rumänien ist es anders: Die Regierenden kümmern sich um die Frage, wie die Justiz ausgehöhlt, Proteste unterdrückt, Korrupte belohnt und Freiheiten beschnitten werden können. Zudem bemühen sie sich, einen Keil in die ohnehin schon gespaltene Gesellschaft zu treiben und ihre eigene Macht zu sichern, koste es, was es wolle.

So scheint es im Land zurzeit nichts Wichtigeres zu geben, als die Ehe zwischen Mann und Frau. Leider unterstützen Teile der Öffentlichkeit sowie die Orthodoxe und Katholische Kirche diesen „unverschämten Akt von politischem Opportunismus“, wie die Zeitung „Politico“ das Referendum nennt. Die „besorgten“ Bürger und die Kirchen „verteidigen“ zwar das, was sie für moralisch halten, aber es scheint sie nicht zu stören, dass dabei Hass gegen Minderheiten geschürt wird – und alles dient einzig und allein dem Machterhalt einer postsozialistischen Regierung, die seit Monaten auch international nur noch peinlich ist.

Die eingetragene Partnerschaft, so die Orthodoxe Kirche in einer Pressemitteilung vom Februar letzten Jahres, stehe im Widerspruch zur „Tradition des rumänischen Volkes“ und könne „möglicherweise schwerwiegende Auswirkungen“ auf die Moral, das Familienleben und die Gesellschaft haben. Es ist, wie wenn man sagen würde, Frauen sollten nicht studieren, denn das stehe im Widerspruch zu alteingesessenen Traditionen und habe schwerwiegende Auswirkungen auf Familie und Gesellschaft.

Filip Standavid bemerkt zu Recht: Wenn die Kirche Steuergelder für diverse größenwahnsinnige Projekte kassiert, interessiert sie sich weder für die sexuelle Identität der Zahler, noch für deren Moral.
Die Apotheose des Zynismus ist die Verlängerung der Volksbefragung von einem auf zwei Tage – da überrascht die Regierung mit ihrer Zielgerichtetheit, die sonst in keinem Bereich ihres Wirkens erkennbar ist.

Welch Inbrunst und welch Geldsummen hier in Rekordzeit mobilisiert, welch Ausnahmen vom regulären Prozedere zugelassen werden! Wenn es nicht traurig wäre, wäre es bewundernswert. Traurig ist es, weil die Familie instrumentalisiert wird, um Homophobie zu fördern und in der Verfassung zu verankern und um Menschen herabzuwürdigen und auszuschließen, die ohnehin noch nicht die gleichen Rechte haben, wie der Großteil der Gesellschaft.

Auch ist diese Volksbefragung ein Test: Man schaut, wie weit man mit der Diskriminierung kommt, wie weit sich die Massen mobilisieren lassen und wo die Grenzen des Machbaren liegen. Und wenn es gut läuft, weiß man beim nächsten Mal, wie man es noch besser macht.

Liviu Dragnea, zurzeit einer der fleißigsten Hüter der nationalen Moral, nennt die Volksbefragung „Wendepunkt“ („cumpănă“) für das „rumänische Volk“. Sie ist jedoch kein Wendepunkt, sondern ein Spiegel der rumänischen Demokratie. Denn Demokratie misst sich seit jeher auch daran, wie Mehrheiten mit Minderheiten umgehen.

Mir wäre es lieber, wenn meine Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen würden, in der Straftäter im Knast sitzen, das Recht nicht gebeugt werden kann, alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, Religion und sexuelle Identität Privatsache sind und Regierungen regieren. Bei der Volksbefragung am Wochenende geht es aber nicht darum, auch nicht um gleichgeschlechtliche Ehen oder christlich-traditionelle Werte, sondern um Macht. Wer wählen geht, „verteidigt“ nichts, sondern legitimiert eine Regierung des Unrechts.