Yard Sales

Ein neues Leben für Kleider

Ein Lächeln, und die Ware ist schon halb verkauft

Der Yard Sale im Cafe „Dianei 4“ findet jede zweite Woche samstags und sonntags statt.
Fotos: die Verfasserin

Es ist ein Samstagnachmittag Mitte Juni. Im Hof des Cafes „Dianei 4“ aus Bukarest geht es lustig zu. An den Bäumen baumeln Kleiderbügel mit bedruckten T-Shirts, viele Frauen stöbern in Kisten und Koffern zwischen bunten Kleidern. An den Verkaufsständen trinkt man Kaffee und Holundersaft. Ein Mädchen im Jeansrock begutachtet ein Seidenkleid von allen Seiten. „Wieso kostet das nur 65 Lei?“, fragt es die Verkäuferin. „Das ist ein schönes Kleid, das ist Naturseide. Ich habe mich von meinem Freund getrennt und bin in eine neue Wohnung gezogen. Ich will alles los werden, was mich an mein altes Leben erinnert und neu anfangen“, erzählt die Verkäuferin. Beim gegenüberliegenden Stand verkauft eine andere junge Frau Blusen und T-Shirts. „Die sind fast neu. Ich habe nach der Schwangerschaft zugenommen, jetzt passen die Sachen nicht mehr“, erklärt sie.

Vor der Damentoilette im Cafe muss man Schlange stehen. Hier probiert man die Kleider an, die man entdeckt hat. Auf der Terrasse spielt jemand Gitarre. Das Event, an dem Kleider verkauft werden, nennt sich „Yard Sale“ und findet regelmäßig in Bukarest statt. An manchen Wochenenden werden auch in anderen Städten Yard Sales organisiert.

Gut für Käufer und Verkäufer

Mein Kleiderschrank quillt über. Ich besitze über 20 Paar Jeans (von denen ich vielleicht drei Paar regelmäßig trage), eine riesengroße Anzahl an T-Shirts (viele seit Jahren unberührt) und unzählige Kleider. Trotzdem finde ich, dass ich immer etwas Neues zum Anziehen brauche. Mehr als 30 Prozent der Sachen, die in meinem Kleiderschrank liegen, werde ich nie mehr in meinem Leben tragen. Etwa die rote Bluse mit Rüschen, die ich im Kaufrausch erworben habe und in der ich wie ein gerupfter Papagei aussehe. Oder das goldene Satin-Hemd, das ein Vermögen gekostet hat. Ich hoffe jedes Jahr vergebens, dass es vielleicht wieder in Mode kommt. Jede Frau kennt das: es gibt Sachen, die man seit zehn Jahren trägt und liebt. Andere liegen unberührt im Schrank. Zu klein, zu groß, zu bunt, zu unmodisch. Aber zum Wegwerfen zu schade.  Ebenfalls in meinem Schrank gibt es seit Juni dieses Jahres eine enge Jeans mit Löchern. Ich habe sie vom  Yard Sale in Bukarest für 30 Lei gekauft. Sie passte wie angegossen und ist fast neu. Ihre Besitzerin erzählte mir, dass sie sie einfach nicht mehr gemocht hat.

Das „Neue zum Anziehen“ muss nicht unbedingt ein reduziertes Kleid von Zara oder Mango sein. Es kann zum Beispiel ein Teil sein, das man im Yard-Sale findet. Auch umgekehrt funktioniert es: Vielleicht mag ich das geblümte Designer-Kleid aus Samt nicht mehr. Für jemand anderen könnte es jedoch genau das Passende sein. Eine neue Besitzerin bedeutet auch für das Kleid ein neues Leben. Beim Yard-Sale hat man Spaß. Es herrscht eine  angenehme und ausgelassene Stimmung. Modebegeisterte treffen aufeinander und bieten neben Kleidung auch Schmuck, Accessoires, Taschen und Schuhe an. Man kann stundenlang stöbern, feilschen und entdecken. Doch der Yard Sale ist mehr als ein Flohmarkt. Er ist eine Veranstaltung. Dabei steht eine Idee im Vordergrund: man kommt nicht, um Geschäfte zu machen. Sondern um anderen eine Freude zu bereiten.

Yard-Sale Verkäufer sind sich einig: am besten, man kauft sich gar keine neue Kleidung mehr. Oder so wenig wie möglich.  Obwohl besonders im Monat August die Versuchung groß ist. An allen großen Läden steht in Großbuchstaben: Sommerschlussverkauf. Dabei werden Rabatte von 50,70 oder sogar 90 Prozent angepriesen. „Wenn Hersteller wie Zara oder Mango das tolle Kleid zu einem Schnäppchenpreis anbieten, bedeutet dieses: damit du dir dieses Kleid kaufen kannst, wurde jemand nicht bezahlt. Das sind natürlich die Näherinnen. Viele von ihnen schuften in Fabriken aus Marokko oder Indonesien für weniger als einen Euro pro Stunde bis zu 16 Stunden am Tag. Wenn du zum Beispiel ein Kleid für 19 Lei kaufst, profitierst du als Schnäppchenjäger genau so viel von der Tatsache, dass die Arbeiter unterbezahlt sind, wie die großen Textilketten. Am besten, du durchbrichst diesen Teufelskreis und lässt das Kleid liegen“, meint Alina, die seit zwei Jahren ihre Garderobe ausschließlich beim Yard Sale erneuert.

Eine amerikanische Tradition

Der „Yard Sale“ oder „Garage Sale“ ist ein amerikanisches Konzept und hat seinen Ursprung in Schiffswerftanlagen, wo Anfang des 19. Jahrhunderts unzustellbare Fracht günstiger vertrieben wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts begann man, in Rathäusern und Kirchen zu verkaufen, oft für einen wohltätigen Zweck. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Massenproduktion begann und viele Menschen in Vorstadthäuser zogen, verkauften sie ihre gebrauchten Sachen in der eigenen Garage oder im Vorgarten. Oft finden die „Yard Sales“ nach dem Frühjahrsputz statt. Oft schließen sich dabei ganze Straßen oder Viertel zusammen. Der längste Yard Sale der Welt, der insgesamt sechs Staaten einschließt, ist der 127 Corridor Sale. Von Michigan bis Alabama gibt es auf mehr als 1100 Kilometern Stände zum Stöbern. Jedes Jahr findet der Yard Sale am zweiten Wochenende im August statt. Über die Yard Sales aus den USA könnte man Romane schreiben. 2014 hat ein Schrotthändler bei einem Yard Sale den Fund seines Lebens gemacht, als er, ohne es zu wissen, eins der acht verschollenen Fabergé-Eier zu einem Spottpreis kaufte. Weniger Glück hatte eine Frau bei einem Garagenverkauf in North Carolina. Für 30 Dollar kaufte sie eine gebrauchte Tiefkühltruhe. Als sie diese zu Hause öffnete, fand sie eine gefrorene Leiche.

„Wir unterstützen das Recycling“

In Rumänien gibt es Yard Sales unter diesem Namen seit etwa drei Jahren. Die ersten Events fanden im Februar 2013 in einem kleinen Bukarester Cafe statt. Es waren nicht mehr als 15 Leute, die kauften und verkauften. „Die Idee ist, Kleider und Schmuck zu verkaufen, die sich in einem sehr guten Zustand befinden. Es kann sein, dass man zunimmt und einem die Kleider nicht mehr passen. Oder man kauft sich ein Paar Schuhe und merkt anschließend, dass sie viel zu stark drücken. Dann kann man zum Yard Sale kommen und die Sachen für einen niedrigen Preis verkaufen. Manchmal wurden auch Designer-Kleider hier verkauft. Es ist wie ein  Secondhand-Laden, der von allen gestaltet wird“, meint Gabi, eine der Organisatorinnen des Bukarester Yard Sales.
Alle Kleider, die man verkaufen will, müssen frisch gewaschen und gebügelt sein. Es können auch neue Kleider sein. Oft findet man bei Yard Sales Sachen, die noch das Etikett tragen. „Die Preise müssen immer sehr klein bleiben. Wir unterstützen das Recycling. Auch akzeptieren wir keine Kleider, die aus Billigläden gekauft wurden, um anschließend Profit damit zu machen“, meint Ioana, eine andere Organisatorin.
Wie verkauft man bei einem Yard Sale?

Wer sich dazu entscheidet, Platz in seinem Kleiderschrank zu schaffen, sollte zuerst nach Yard Sales in seiner Stadt Ausschau halten. Meistens werden diese auf Facebook angekündigt. Für die Yard Sales, die regelmäßig in Bukarest stattfinden, erfolgen die Einschreibungen per Email. Jeder Verkäufer muss eine Gebühr von 85 Lei bezahlen. Dafür bekommt er einen Tisch und einen Stuhl. Auch eine Rechnung wird erstellt, und er muss einen Vertrag unterzeichnen. Einen Ständer und Kleiderbügel muss man selbst mitbringen. Viele Verkäufer gestalten ihre Verkaufsstände sehr kreativ. Sie legen zum Beispiel ihre Kleider in alte Koffer, kleben Etiketts mit lustigen Texten auf die Kleidungsstücke oder verwenden verschiedene Marketing-Strategien. Etwa: Wer einen Pullover kauft, bekommt ein kostenloses T-Shirt, wer ein T-Shirt kauft, bekommt ein Paar Ohrringe. An anderen Ständen gibt es kostenlosen Kaffee oder Fruchtsaft. Auch haben alle Teilnehmer die Möglichkeit, Kleidungsstücke, Schuhe oder Spielzeug an Waisenhäuser zu spenden. Für Besucher ist der Eintritt kostenlos.

Tipps für Käuferinnen

- Kaufe nichts, von dem du nicht zu 100 Prozent sicher bist, dass du es tragen wirst. Es hat keinen Sinn, dass ein Kleidungsstück nur aus einem Schrank in einen anderen gelangt.

- Kaufe kein Kleidungsstück, nur weil es günstig ist. Frage dich, ob du es auch kaufen würdest, wenn es doppelt so teuer wäre.

- Achte auf jedes Detail. Es kann sein, dass das Kleidungsstück Risse oder andere Defekte hat, die nicht einmal der Verkäufer bemerkt hat.

- Probiere alle Kleidungsstücke an, die du kaufen willst.

- Rede mit der Verkäuferin. Es könnte sein, dass du die Geschichte des Kleidungsstücks erfährst, das du kaufen möchtest.

- Wer Geduld hat und ausgiebig stöbert, kann wahre Schätze finden.

 Am besten, man geht mit einer guten Freundin zum Yard Sale. Dann kann sie einem raten, was einem am besten steht und man verbringt einen gemütlichen Nachmittag beim Kaffee.

Nützliche Links:

www.yard-sale.ro
www.vforvintage.ro
www.facebook.com/Garage-
SALE-Bucuresti
talciocurban.blogspot.ro