Zerstörte Schicksale aus dem Banat

Dokumentarfilm zur Deportation der Rumäniendeutschen in die UdSSR

Regisseur Cristian Amza (links), Werner Kremm und Erwin Josef Ţigla im Schillerhaus
Foto: George Dumitriu

„Die Gedanken sind frei”, singt eine zarte Mädchenstimme. Dann gleitet der Ballon über blühende Rapsfelder. Die Kamera schwenkt über Dörfer, schnurgerade Straßen, minutiös im Schachbrett angeordnete Häuser, gebaut für die deutschen Aussiedler. Auf primitiven Zillen waren sie die Donau herunter gefahren, auf der Suche nach einem neuen Glück...

Ein Gesicht nimmt großflächig die Leinwand ein, darunter steht in weißen Lettern auf rotem Grund: Katharina Sculteti. „Um sieben Uhr morgens kamen sie”, beginnt die Zeitzeugin zu erzählen. Sie ist eine der wenigen, noch lebenden Opfer der Deportation der Deutschen aus Rumänien in die ehemalige Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Film „Destine frânte” (Zerstörte Schicksale) von Cristian Amza, Regisseur und Mediengestalter bei TVR2, vorgeführt am 25. Juli im Bukarester Schillerhaus, ist Teil einer Serie zum Thema Deportation. Ein Wettlauf mit der Zeit, in der diesmal die letzten Zeitzeugen unter den Banater Schwaben zu Wort kommen.
 

Das Schweigen wird gebrochen

Um sieben Uhr morgens war sie ausgehoben worden, dann in die katholische Schule verbracht, wo alle versammelt wurden. Dann ging es mit Viehwaggons ab über Râmnicu Sarat in die ferne Sowjetunion. 500.000 ethnisch Deutsche hatte Stalin zur Zwangsarbeit deportieren lassen, aus Bulgarien, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, die meisten jedoch aus Rumänien, denn in den anderen Staaten lebten nur noch wenige Deutsche. Katharina Sculteti wechselte mehrmals das Lager, arbeitete auf dem Bau, in der Küche, in der Wäscherei. 76 Kilogramm hatte sie zur Zeit der Aushebung gewogen, mit 40 kehrte sie zurück. Täglich saure Krautsuppe. Bis sie 1947 überraschend mit dem Zug über Brandenburg und Passau nach Wien gebracht wurde. Doch Katharina kannte dort niemanden, sie wollte heim nach Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare. Vor laufender Kamera bricht die alte Frau heftig in Tränen aus...

Historikerin Hannelore Baier, die das Schicksal der Deportierten ausführlich studiert und erforscht hat, erzählt von den Bedingungen in den Lagern: In den ersten drei Jahren waren besonders viele Tote zu beklagen. Die Menschen hatten sich aufgegeben, verfielen in Depression, ließen sich von den Läusen regelrecht auffressen.

Maria Gilde gehört zu den 517 aus Billed ins Donezbecken verschleppten Banater Schwaben. Auch sie erlebte vier Lager, arbeitete in Minen, im Transport, auf dem Bau. Der Morgen begann für sie mit Tee und einem Bonbon. 750 Gramm Brot war die Ration für einen ganzen Tag. Jeden Monat sagte man ihnen, am 15. geht es nach Hause. Fünf Jahre lang! Als sie endlich tatsächlich zurückkehrte, war der Vater verstorben, die Familie enteignet - kein Haus, kein Land, keine Pferde mehr. Doch die Mutter erwartete sie voll Freude am Bahnhof von Temeswar...

Aus Karasch-Severin wurden 10.000 Deutsche deportiert, erzählt Hannelore Baier weiter. Oft waren es beide Eltern, die zurückbleibenden Kinder landeten auf der Straße, im besten Fall bei den Großeltern. Wenn die Eltern nach Jahren zurückkamen, erkannten ihre Kinder sie nicht mehr. Familien waren entfremdet. Zu den Opfern dieses historischen Unrechts zählen nicht nur die Deportierten, sondern auch ihre Nachkommen, denen ein Heim, elterliche Fürsorge und Ausbildung verwehrt geblieben sind. Kaum eine deutsche Familie in Rumänien, die nicht betroffen war, betont auch Erwin Josef Ţigla, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen, in der anschließenden Diskussion mit Regisseur Amza und dem Reschitzaer Journalisten Werner Kremm. In den Zeichnungen und Skizzen zu Erinnerungen aus dem Lager, die }igla sammelt, wiederholen sich die Motive: Züge, die durch einsame Schneelandschaften ins Nirgendwo entschwinden. Wachen mit Maschinenpistolen, Baracken, Stockbetten.

Margarete Szivaksec berichtet, wie sie im ersten Lager eines Tages aus dem Fenster stundenlang eine Frau beobachtete, nur weil diese ihrer Mutter ähnlich sah.
Reinhold Fischer erzählt von den Kohlenminen im Donbass: Auf Knien musste man in nasskalten, schlecht beleuchteten, mit morschen Balken abgestützten Stollen schuften. Viele blieben für immer unten... Weil so viele dabei gestorben sind, dass die Anzahl der Arbeitskräfte bedenklich schwand, gab es schließlich Kontrollen, danach verbesserte sich die Lage, erklärt Hannelore Baier.

Ignaz Bernhard Fischer erzählt von einem Schlitten, von dem Tote heruntergeworfen wurden. 1, 2 ... 25 nummeriert er laut - dann kam noch so ein Schlitten. Insgeheim fragte er sich: Werden wir die nächsten sein?

Aus Sanktanna/Sântana wurden 700 Menschen deportiert, erinnert sich Rozalia Buttinger. Nach der Fabrikarbeit ging man zum Betteln in die Häuser. Doch die Russen waren selbst bitter arm, fast niemand konnte etwas geben...

Die Geschichten wiederholen sich, kaum jemand, der noch etwas wirklich Neues beitragen kann. Doch das Schweigen ist gebrochen, endlich, nach so vielen Jahrzehnten. „Wir hatten noch Gelegenheit, mit unseren Großeltern zu reden“, bemerkt }igla, dessen Großvater ebenfalls zu den Deportierten gehörte, „doch unsere Kinder haben sie nicht mehr.“ Es ist die letzte Chance, noch aus dem Munde der Betroffenen von dem Leid und Schrecken zu erfahren, mitzufühlen, mitzuleiden, sich zu wünschen, dass so etwas nie wieder geschehen möge - bis dieses historische Kapitel zu trockener Geschichte wird.
 

Zu wenig Aufarbeitung der Geschichte

Am Ende des Films zeigt Werner Kremm zwei Haufen Schriftmaterial. Der linke, Publikationen in rumänischer Sprache, ist verschwindend klein im Vergleich zu dem, was im rechten auf Deutsch veröffentlicht wurde. „Wir haben ein Defizit in zeitgenössischer Geschichte“, warnt er. „Wir müssen die wahre Geschichte besser kennen, nicht die mystifizierte, denn die führt nicht zu einem besseren Verständnis.“ Einen wichtigen Beitrag dazu leistete Hannelore Baier. „Was sie sagt, ist das Alpha und Omega“, bemerkt Ţigla anerkennend.„Sie hat am meisten zur Dokumentation beigetragen, hat in nationalen Archiven recherchiert, war sogar in Moskau.“ Vieles davon wurde in der ADZ veröffentlicht. Aber auch Herta Müller hat mit ihrem Roman „Atemschaukel“, der sich an wahre Begebenheiten anlehnt, das Thema bekannt gemacht. Bücher – auch sehr gute zu „Oral History“ – gibt es zwar viele, doch hätte sie nicht den Nobelpreis bekommen, wäre ihr Buch nie in mehrere Sprachen übersetzt worden, das Thema hätte nie internationale Aufmerksamkeit erfahren.

Immer wieder überraschend nach vielen Zeitzeugenberichten, Konferenzen und Diskussionen sind die Reflexionen der einzelnen Gesprächspartner: Jeder zieht sein eigenes Fazit, setzt einen Baustein in Kontext, ergänzt ein Eckchen im Puzzle der historischen Aufarbeitung. „Es gab Leute, die waren zuerst fünf Jahre in Russland und wurden dann nochmal für fünf Jahre in den Bărăgan deportiert“, bemerkt Werner Kremm. Und fügt ironisch an: „Wie sehr liebst du dann noch dein Vaterland?“ Auch, dass Rumänen – und teilweise auch Serben und Ungarn - in den Bărăgan verschleppt wurden, wird nur selten thematisiert. Jeder, der etwas hatte - sich etwas erarbeitet hatte - war dem System suspekt. Interessant ist aber auch, dass kaum einer der Verschleppten die Russen für das Angetane hasste.

Dr. Klaus Fabritius, Vorsitzender des Regionalforums Altreich, gibt zu bedenken, dass die Arbeitslager gleichzeitig Umerziehungslager waren: „Es gab eine unbegründete Geheimhaltung. Kontakte waren verboten. Niemand wusste, wo man war, wie lange und ob man überhaupt je zurückkehren würde.“

Als besonders krass empfindet Kremm die Anpassung der extrem ordentlichen Schwaben an das heillose Chaos im Lager: „Sie müssen sich vorstellen, seit dem 18. Jahrhundert ging im Banat der Trommler durch die Dörfer und die Leute mussten sofort ihre Abflussgräben für Regenwasser reinigen, weil das Wasser knapp war, und damit keine Feuchtigkeit die Wände hochsteigt“.
Am Beispiel ihrer Tante, die bis zu ihrem Tod mit 95 Jahren als Witwe allein lebte, weil ihr Mann in Russland verstorben war, illustriert Unterstaatssekretärin Christiane Cosmatu (Departement für interethnische Beziehungen an der rumänischen Regierung, DRI), dass die Spätfolgen bis zu 100 Jahre nach der eigentlichen Deportation reichten. Die Deportierten trugen die Kollektivschuld für den Zweiten Weltkrieg, resümiert Werner Kremm.