Zwei Paar Eltern

Isabella Hollinek schreibt ein Märchen für Eltern und ihre adoptierten Kinder

Isabella Hollinek ist für den Text des Büchleins zum Thema Aufdeckungsarbeit verantwortlich, ihre Mutter Olga Hollinek für die Illustration.Foto: der Verfasser

Fester Zusammenhalt und eine glückliche Bären-Adoptivfamilie ohne belastende Geheimnisse Illustration: Olga Hollinek

Nicht alle Kinder haben die Möglichkeit, in einer glücklichen Familie mit ihren eigenen Eltern aufzuwachsen. Aus ganz unterschiedlichen Gründen verzichten ihre natürlichen Eltern - oft handelt es sich um die alleinstehende Mutter - darauf und geben ihr Kind zur Adoption frei. Glück im Unglück, könnte man diese Lage salopp bezeichnen, wenn die Beziehung zwischen Adoptivkind und Eltern stimmt und wenn alles so wie in einer „richtigen“ Familie läuft. Doch früher oder später kommt es zu einer Belastungsprobe in diesen Familien. Es ist der Zeitpunkt, wo die Kinder erfahren, dass bei ihnen Mutter und Vater gleich doppelt vorkommen, wenn man ihre natürlichen Eltern nicht verschweigt.

Wie und wann beginnt die Aufdeckungsarbeit?

Isabella Hollinek ist Psychologin und Pädagogin bei der Kronstädter „Agapedia“-Stiftung, die sich für das Wohl von Kindern in Not einsetzt und bis vor einigen Jahren auch Adoptionen vermittelt hat. Beratung in Sachen Adoption sind ebenfalls wichtig für diese Stiftung, deren Zentrale in Esslingen liegt und die weitere Tochterstiftungen in der Republik Moldau und in Bulgarien hat. So konnte die als Erzieherin ausgebildete  Kronstädterin bemerken, wie schwierig es für manche Eltern wird, wenn es darum geht, ihren Kindern die Wahrheit über ihre Herkunft zu sagen. In der Fachliteratur spricht man dabei von „Aufdeckungsarbeit“.

Sie ist sehr wichtig, sagt Isabella, denn es geht um Identitätsprobleme dieser Kinder. Auch sie stellen sich, wie jeder Heranwachsende, Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Nur, dass bei adoptierten Kindern die Antworten auf Fragen betreffend Herkunft vielschichtiger sind. Sie setzen Liebe, Vertrauen, Offenheit und Verständnis voraus. Oft schmerzt die Wahrheit, aber sie darf nicht verschwiegen werden. Und sas Kind sollte immer wissen, dass seine Adoptiveltern zu ihm stehen, egal was kommen mag. So kann die gemeinsame Verarbeitung von Schmerz, Enttäuschung, aber auch Trauer im Zusammenhang mit den leiblichen Eltern und deren Versagen, die Adoptivkinder noch enger mit ihren Adoptiveltern verbinden, unterstreicht Isabella. Sie betont jedoch, dass diese Aufdeckungsarbeit schrittweise vorgenommen werden muss, dem Alter des Kindes angepasst und nach dessen Interessen und Befindlichkeit ausgerichtet. Grundfalsch wäre, die natürlichen Eltern negativ darzustellen. Denn die Schlussfolgerung des Kindes könnte sein: „Wenn meine Eltern schlecht waren, wie kann ich dann eine gute Person werden?“

Wann sollte man beginnen, diese so wichtigen und emotionsgeladenen Fragen anzusprechen?

„Je früher, desto besser“, sagt Isabella Hollinek und beruft sich dabei auf Erkenntnisse der Fachleute seit gut vierzig Jahren, wie auch auf ihre bei „Agapedia“ gesammelte Erfahrung. Weil in Rumänien solche Fragen noch zu zaghaft beantwortet werden, entschloss sich Isabella, anhand einer aufklärenden Kurzgeschichte in rumänischer Sprache und in Form eines Bilderbuches einen Beitrag zu leisten.

Eine glückliche Bärenfamilie

Ein Buch sei ihr lieber als eine CD oder eine Computerspiel-Variante, weil es immer wieder in die Hand genommen, durchblättert, erzählt und besprochen werden kann – stets selbstverständlich gemeinsam mit dem Kind. Isabella hat sich eine Geschichte ausgedacht, in dem ein kleiner Bär erfährt, woher er eigentlich kommt.

Bubu ist gerade auf einem Ausflug mit seinen Eltern. Beim Picknick erzählt ihm sein Vater eine Geschichte: Sie handelt von dem Bärenehepaar Murmurel. Es hat alles, was es braucht, aber nicht das, was es sich am meisten wünscht – ein Kind. Frau Murmurel ist deshalb so betrübt, dass sie in ein lautes, herzzerreißendes Schluchzen ausbricht. Das bekommt auch ein Vogel zu hören, der gerne wissen will, welches der Grund dieses überwältigenden Schmerzes ist.

Als der Vogel erfährt, dass ein Bärenjunge der Familie das fehlende Glück bescheren kann, weiß er dafür auch eine Lösung. In einem Wald lebte nämlich ein verlassener Bärenjunge. Der Vogel bringt die drei zusammen und es kommt zum Happy End. An diesem Punkt ahnt der Kleine, dass es sich eigentlich  um die Geschichte seiner Familie handelt. Von der Bärenmutter erhält er ein schönes Geschenk – ein Medaillon, das sie zu dritt als feste, glückliche Familie darstellt. Es ist gleichzeitig auch das Versprechen, dass dieser Zusammenhalt nie in Frage gestellt werden kann. Die Adoptiveltern sind froh, mit ihrem Kind in einer glücklichen Familie  zu leben; das Positive an diesem Schicksal wird in den Vordergrund gestellt.

Es gab im Laufe der Jahre mehrere Varianten der Geschichte, dann wieder Unterbrechungen. Tatkräftige Unterstützung leistete auch die Mutter der Autorin, Olga Hollinek. Als ehemalige Absolventin der Kronstädter Volkskunsthochschule setzte sie ihre künstlerische Begabung in den Dienst dieser bemerkenswerten Initiative ein und sicherte die Bildillustration des modernen Märchens. Denn bei Kinderbüchern sind Bilder mindestens so wichtig wie die eigentliche Handlung.

Das Buch ist nun so gut wie fertig. Nun folgt der Teil, bei dem nicht nur künstlerische Begabung und literarische Kreativität gefragt sind, sondern Managerqualitäten und finanzielle Ressourcen. Die Suche nach einem Verlag, der das Buch veröffentlicht, ist noch nicht  abgeschlossen. Sie setzt Wege nach Bukarest voraus, Vorstellungsgespräche, Geduld und Ausdauer. Denn seitens der Behörden gibt es bisher keine Unterstützung, obwohl gerade in diesem Bereich ein Mangel an Kinderbüchern besteht. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Isabella Hollinek. Fest steht nur, dass das Buch gedruckt wird, denn ihr geht es nicht um materiellen Gewinn. Nicht das Geld sei die Motivation, sondern der Wunsch, Eltern von Adoptivkindern behilflich zu sein.

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Vom richtigen Zeitpunkt

Wenn man ein Kind adoptiert hat (in unserem Fall sind es Zwillinge), denkt man natürlich ab und zu daran, wann denn der richtige Zeitpunkt kommt, den Kindern zu sagen, dass sie nicht die leiblichen sind. Gott sei Dank nehmen einem die Kinder so eine schwierige Entscheidung ab, denn sie fragen einfach. So ist es jedenfalls bei uns geschehen.

Es war vor ungefähr viereinhalb  Jahren. Meine Jungs waren damals etwas über drei Jahre alt. Wir saßen abends gemeinsam im Kinderzimmer und ich las ihnen eine Geschichte vor. Es war Vorweihnachtszeit und unsere Lektüre war ein Bilderbuch über die Herbergsuche von Josef und Maria in Betlehem. Auf den Bildern war die hochschwangere Maria zu sehen und auf der nächsten Seite dann Jesus in der Krippe.

Ich erklärte meinen Kindern, dass das Baby zuerst im Bauch der Mutter wächst, bis es groß genug ist, und danach wird es eben geboren. Plötzlich kam die Frage: „Mama, waren wir auch in deinem Bauch?“ Ich musste schlucken. Zwar wusste ich, dass irgendwann diese Frage kommen würde, aber so früh hatte ich noch nicht damit gerechnet.

Mit der momentanen Situation überfordert, konnte ich nicht gleich antworten und versuchte, irgendwie meine Kinder von der Frage abzulenken. Da schon bald Schlafenszeit war, wollte ich das Ganze auf den nächsten Tag verschieben, um mich erst mal zu sammeln.

Am nächsten Tag kam es natürlich wie es kommen musste. Wir sahen uns abends wieder dasselbe Buch an, bis meine Kinder wieder dieselbe Frage stellten. Nur war ich diesmal darauf vorbereitet. Trotzdem erhöhte sich mein Pulsschlag, als ich den beiden nun erklärte, dass  sie nicht in meinem Bauch waren und dass das bei uns etwas anders sei als bei anderen Familien.
Ich erklärte ihnen, dass sie im Bauch einer anderen Frau waren -  diese ist die Bauchmama. Sie hat sie im Krankenhaus geboren und ihr Papa und ich haben sie dann dort abgeholt und ich bin eben die Herzmama. Ich wollte dann noch ein bisschen weitererzählen, aber ich merkte, dass  meine Söhne das irgendwie gar nicht hören wollten. Also beließ ich es dabei und dachte mir, ich erzähle eben weiter, wenn wieder Fragen von den Kindern kommen.

Und genauso war es dann auch - und ist es bis heute geblieben. Meine Jungs sind nun fast acht Jahre alt und die Adoption ist im Grunde kein Thema. Ab und zu sprechen wir darüber, aber nur, wenn sie bestimmte Dinge wissen möchten. Man merkt ohnehin, ob sie das Thema momentan beschäftigt oder nicht.

In unserem Bekanntenkreis haben wir auch ein paar Adoptiveltern, wo die Kinder bis auf einen Jungen noch um einiges jünger sind als meine zwei Rabauken. Wir treffen uns alle von Zeit zu Zeit. Dann sage ich meinen Jungs schon auch, dass das Adoptivfamilien sind, damit sie nicht das Gefühl haben, dass sie ganz alleine sind.

Ich glaube, je offener und selbstverständlicher der Umgang mit dem Thema Adoption vonstatten geht, desto besser ist es für die betroffenen Kinder.

Ganz schlimm stelle ich es mir vor, wenn alle anderen Bescheid wissen und der Betroffene selbst erfährt es durch Zufall von jemand anderem als seinen Eltern. Ich glaube, ein solcher Vertrauensbruch ließe sich nie mehr ganz gut machen.

In einer Konfliktsituation hat mir einer meiner Söhne schon mal an den Kopf geworfen: „Du bist ja gar nicht meine richtige Mama!“ Daraufhin hab ich gefragt:  „Was ist denn für dich eine richtige Mama? Eine, die dich geboren hat oder eine, die dich pflegt, wenn du krank bist, dich versorgt, für dich da ist, mit dir kuschelt?“

Mein  Sohn sah mich daraufhin ganz betreten an und sagte nichts mehr.  Ich weiß, dass er mich mit dieser Aussage  treffen wollte  – hat er natürlich auch – aber ich wollte mir das nicht anmerken lassen.

Es gibt immer wieder Situationen, wo man daran erinnert wird, dass man nicht die leibliche Mutter ist. Zum Beispiel im Krankenhaus, wenn man nach der Familienanamnese gefragt wird und man sagen muss, dass diese keine Rolle spielt, weil es sich um ein Adoptivkind handelt.
Oder wenn man über Schwangerschaft oder Geburt befragt wird. Dann hat man die Wahl, zu lügen oder zu erklären. Nicht immer hat man Lust dazu.

Aber trotz allem müssen wir den Bauchmamas danken, dass sie uns die Möglichkeit geben, Mutter bzw. Eltern zu werden. Dass sie ihre Kinder nicht abtreiben oder weglegen, sondern zur Adoption freigeben.

Bestimmt fällt es diesen Frauen nicht leicht, ihr Kind, welches sie neun Monate im Bauch getragen haben, herzugeben. Gewisse Lebensumstände zwingen sie zu diesem Schritt. Vermutlich lieben sie ihre Kinder dennoch - weil es ihnen eben nicht egal ist, was mit ihnen geschieht, und weil sie sich wünschen, dass es ihnen gut geht. So schließt sich ein Kreis, denn wir Adoptiveltern wollen auch, dass es unseren Kindern gut geht und lieben sie von ganzem Herzen. Ob wir sie nun selbst geboren haben oder nicht.

M.K.

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Warum haben sich meine Eltern vor mir versteckt?

Wie soll ich beginnen …

Ich bin Inna und ich bin als Folge eines Ferienabenteuers meiner natürlichen Eltern auf die Welt gekommen. Sie waren zunächst darüber erschrocken und waren irgendwie gezwungen, auf mich zu verzichten (mein Vater war Schüler einer Offiziersschule). So wurde ich von der Schwester meines Vaters adoptiert, die damals noch unverheiratet war, aber bereits eine Beziehung mit ihrem zukünftigen Mann hatte.

Ich hatte eine schöne Kindheit und wurde gut erzogen – so gut, dass ich es nie wagte, ihnen zu sagen, was über mich gemunkelt wurde. Das hat mich leider zu einem schüchternen, unsicheren Kind gemacht, das nicht wusste, was es noch von sich glauben sollte.

Die Wahrheit habe ich mit 29 Jahren von meinem leiblichen Bruder erfahren. Es war ein Schock, ich habe viele Tage heimlich geweint. Meine Adoptiveltern wollte ich nicht verärgern … Sie haben sich so schön um mich gekümmert, ich habe so vieles von ihnen gelernt – vielleicht weit mehr als meine leiblichen Eltern mir hätten bieten können. Mit ihnen habe ich auch versucht, zu sprechen, aber uns trennen Welten. Ich achte sie, ich werde ihnen helfen — das ist aber auch alles.

Wie ich mich damals fühlte - und heute? Schwer zu sagen. Es ist eine Mischung von Wut und Hass mit einem Hang zur Einsamkeit. Warum gerade ich? Warum haben sich meine Eltern vor mir versteckt? Warum, warum?

Die Schlussfolgerung: meine Adoptiveltern hatten Glück mit mir und ich mit ihnen. Falls ich Mutter werden sollte  (dafür müsste ich jetzt ein Kind adoptieren), bin ich mir sicher, nicht den Fehler meiner leiblichen Eltern zu wiederholen. Ich werde meinem Kind alle Liebe dieser Welt schenken - aber auch Ehrlichkeit.

Inna
(Name v. d. Red. geändert)