Zwischen Oktoberfest und Graf Dracula

Foto: sxc.hu

Als ich neulich in Paris war, kam ich dort mit einem Englisch sprechenden Ehepaar ins Gespräch. Beide trugen ein T-Shirt, auf dem der Eiffel-Turm abgebildet war, und sie baten mich, sie davor zu fotografieren. Zu ihrer Enttäuschung passte aber der Turm nur zur Hälfte ins Foto. Wir unterhielten uns dann ein wenig über Paris und unsere Herkunftsländer. Sie kämen aus Australien, erzählten sie.

„And you? Where are you from?“

„I’m from Germany“, sagte ich.

„Oh, Germany!“, sagte der Mann. „Wir fliegen nächstes Jahr zum Oktoberfest. Lots of beer!“

„Oh yes! Germany is great!“, sagte die Frau. „Aber wie kommt es, dass Sie nicht blond sind?“

Ich zuckte hilflos mit den Schultern.

„Sind Sie wirklich Deutscher?“, hakte die Frau nach.

„Yes.“

„Aus Deutschland?“

„Yes. Aber ich wurde in Rumänien geboren.“

„Oh yes! Romania! Sie sind also ein Roma?“

„Wieso denn Roma?“

„In Rumänien leben doch diese Roma. Wir haben es im TV gesehen“, meinte der Mann.

„Oh“, sagte ich. „Wirklich?“

„Ja. Sie betteln und klauen und wollen nicht arbeiten.“

„Soso. Sie wissen also Bescheid“, sagte ich.

„Ja.“ 

„ Nun darf ich Sie auch etwas fragen?“

„ Ja, klar.“

„Wie kommt es denn, dass Sie keine Känguruhs sind?“

„Wieso denn Känguruhs?“

„Sie kommen doch aus Australien, oder?“

 „Sir! Ich bitte Sie! Wir waren höflich zu Ihnen!“, meinte die Frau. Worauf die beiden sich umdrehten und beleidigt davon hüpften.

Das muss ich  meinem Freund Vasile erzählen, er lebt in Rumänien, ist in der Tat Roma und wird sich bestimmt über diese Geschichte kaputt lachen.
Ja, so ist das mit den Klischees, man weiß schon vorher über alles Bescheid und das erspart einem eine Menge Zeit, denn man braucht über nichts mehr nachzudenken und kann seine Birne nur noch zum Mützetragen benutzen.

Beim Stichwort Frankreich denkt man an den Franzosen mit Baskenmütze, der Rotwein trinkt, ein Baguette unter dem Arm, bei Russland an raue Wodkatrinker und Ostmafia, bei Polen an Autodiebstahl. Und bei Rumänien? Nun ja, als ein deutscher Journalist den vielbeachteten rumänischen Schriftsteller Mircea Cărtărescu wieder mal auf Ceauşescu ansprach, platzte diesem der Kragen:
„Warum zum Teufel erwähnt ihr ständig diesen Ceauşescu?“ sagte er. „Als ich in Deutschland war, fühlte ich mich wie ein Pawlowscher Hund, der immer sabbern soll, wenn er diesen Namen hört. Ich bin ein Schriftsteller! Ich schreibe über Liebe und Hass, genau wie eure Autoren. Nur weil ich das Pech hatte, in einer schlimmen Zeit und an einem schlimmen Ort aufzuwachsen: Muss ich jetzt deshalb den Rest meines Lebens dafür büßen?“

Das verlange niemand, sagte der Journalist. Und er fügte hinzu: „Vielleicht erzählen Sie uns dann lieber etwas von Graf Dracula oder von den bettelnden Roma.“ Der Rest war betretenes Schweigen.