25 Jahre Proklamation von Temeswar

Ein Traum der niemals gänzlich aufging

Vor 25 Jahren stellte der Journalist und Akademiker George Serban auf dem Opernplatz in Temeswar die Proklamation vor. Die darin enthaltenen 13 Punkte sollten eine rasche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit gewährleisten. Die rumänische Politik nach der Wende hat das Dokument und seine Punkte ignoriert.

Das Gesicht der Revolution von 1989, der reformierte Pfarrer László Tökés, hat nach 25 Jahren die Proklamation von Temeswar unterschrieben. Der Europaabgeordnete fordert, dass das Europäische Parlament den Kommunismus verurteilt und einen europäischen Gerichtshof einführt, um die Verantwortlichen der sozialistischen Regime aus Osteuropa anzuklagen.
Foto: Àrpád Lászlo

Was wäre das für ein Rumänien geworden, wäre man von den 13 Punkten der Proklamation von Temeswar/Timisoara 1990 als tragende Pfeiler eines rumänischen Rechtsstaates ausgegangen. Es geht ein tiefer Seufzer durch die Reihen der Historiker und Unterstützer des Dokumentes, wenn sie nur daran denken.  Die vor 25 Jahren von dem journalisten George Serban verfasste Proklamation hätte die Mitglieder der Kommunistischen Partei davon abgehalten, das durch den Fall Ceausescus entstandene Machtvakuum, zu füllen. Es hätte einen Neustart für das Land bedeutet. Eins, das es bitter nötig hatte, nachdem 42 Jahre Sozialismus Rumänien an den Rand des Bankrotts und zu menschenrechtlichen Desastern führte. Doch anders als die Charta 77, die ihren Protagonisten nach dem Sturz des Sozialismus in der Tschechoslowakei zum politischen Aufstieg verhalf, konnte die Proklamation den Aufstieg prominenter Kommunisten in Rumänien nicht verhindern.

Die Proklamation von Temeswar wurde als Reaktion auf die Vorfälle im Winter 1990 in Bukarest verfasst: Minenarbeiter aus dem Schil-Tal gingen tätlich gegen die sich bildende politische Opposition vor. Sie stürmten und verwüsteten die Zentralen, der sich wieder bildenden historischen Parteien, und zerschlugen Demonstrationen gegen die Nationale Rettungsfront. Die sogenannten „Minieriaden“ verhalfen dem ehemaligen Parteifunktionär Ion Iliescu dazu, erster Staatspräsident Rumäniens nach der Wende zu werden. Einem Vertreter des alten Regimes, der von Nicolae Ceausescu als ernst zunehmender Rivale gefürchtet wurde. Iliescu war ein überzeugter Kommunist. Schon in den letzten Tagen der Revolution wurden die Absichten Iliescus offensichtlich, als er in seiner Neujahresansprache, als Stimme der Nationalen Rettungsfront, das Regime Ceausescus verurteilte, nicht aber den Sozialismus selbst. Stattdessen sprach Iliescu von einer Reform, statt der Abschaffung.

Der sechste Punkt in der Proklamation von Temeswar sprach das Problem einer Fortsetzung der bestehenden Ideologie an. „Auf der am 28. Januar 1990 den Demonstranten vom Banu-Manta-Platz in Bukarest verteilten Listen von Losungen, standen auch Schlagworte von vor 45 Jahren“, steht unter Punkt 6 in der Proklamation geschrieben. „Die Gleichstellung "historischer", Parteien beispielsweise mit Parteien die das Land verkaufen wollen, ist ein solcher Slogan und stellt eine Verleumdung dar. Die Kommunisten von vor 45 Jahren, von denen einige auch heute noch bedeutende Ämter in der Führung des Landes begleiten, können des Landesverrates und der Auslieferung Rumäniens an die UdSSR beschuldigt werden.“

Aus dem sechsten Punkt wurden die nächsten zwei abgeleitet, von denen der achte bis heute, als der wichtigste angesehen wird. Die Revolution 1989, die von Temeswar ausging, richtete sich gegen das gesamte Regime und nicht ausschließlich gegen einen Mann. Dagegen wurde in den Monaten nach der Revolution eine Kampagne betrieben, die in erster Linie dazu diente, den gestürzten Diktator zu dämonisieren und von der Schuld der Mittäter abzulenken. Am Ende sollte durch die Hetzkampagne gegen den hingerichteten Ceausescu der allgemeine Konsens herrschen, dass Ceausescu und seine Gattin an allem Schuld waren - eine Taktik, die in der rumänischen Politik in den letzten 25 Jahren mehrmals betrieben wurde. Doch für Serban und viele Intellektuelle stand sofort fest, dass die Nomenklatura eine Hydra mit vielen Köpfen ist und dass man alle Köpfe abschneiden müsste, sonst wachsen andere nach, was dann tatsächlich in den letzten 20 Jahren durchaus passiert ist. Hätten einflussreiche Funktionäre der Kommunistischen Partei tatsächlich eine Veränderung angestrebt, hätten sie es schon zehn Jahre vorher machen können, als auf dem 12. Parteitag nur ein einziger Politiker das Ceausescu-Regime anklagte und eine Änderung verlangte. Constantin Pârvulescu wurde von den Anwesenden beschimpft und Ceausescu zum Staatsführer wiedergewählt.

Darum verlangte Punkt 8, dass ehemalige Funktionäre der  Rumänischen Kommunistischen Partei und Securitate kein öffentliches Amt für zehn Jahre bekleiden dürfen. Die sich gebildete Nationale Rettungsfront, woraus später eine eingeschriebene Partei wurde und ein Grundstein der heutigen Solzialdemokratischen Partei (PSD) ist, bestand zum Großteil aus ehemaligen Funktionären. Zwar gehörten zu den Mitgliedern auch prominente Regimekritiker und Dissidenten, doch die meisten traten schnell wieder aus, weil sie aufgrund einer zahlenmäßigen Unterlegenheit kein wirkliches Stimmrecht hatten.

Das Lustrationsgesetz, das in der Proklamation von Temeswar ausdrücklich verlangt wurde, wurde erst 22 Jahre später vom Parlament verabschiedet, in einer überarbeiteten Form mit Schlupflöchern. Eine Behörde zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit wurde erst zehn Jahre später gegründet. Und erst heute, 25 Jahre später, werden die „Mineriaden“ untersucht, um die Schuldigen zu ermitteln und anzuklagen. Der drei Mal gewählte Ex-Staatspräsident Ion Iliescu ist 85 Jahre alt geworden. Er dürfte zu den Hauptverdächtigen in der „Mineriade“-Akte zählen.

George Serban hat weder das Lustrationsgestz, die Gründung der CNSAS, noch die Wahl des ersten Staatspräsidenten, der keine Verbindungen zur Nomenklatura hat, erlebt. Er starb im Jahr 1998. Sein Dokument nur ein Traum, den viele hegten und noch immer hegen: Von einem Rumänien frei von den Machenschaften des alten Kaders.