Auf der Donau ins „wilde“ Banat (4)

Die frühe Ansiedlungszeit der Banater Schwaben im Spiegel der Literatur/ Romane von Karl Wilhelm von Martini, Adam Müller-Guttenbrunn und Gerda von Kries

Im Roman werden Geschehnisse aus der „wilden und wüsten Vergangenheit“ des Banats um 1750 erzählt, so wie sie der Urgroßvater des Verfassers erlebt haben mag. Der Erzähler versetzt sich also in die Banater Erlebniswelt seines Urgroßvaters, mit dem er sich identifiziert und aus dessen Perspektive er erzählt. Er nennt ihn Martin Initram und bedient sich bei der Namensgebung eines Kunstgriffs: Umstellung der Buchstabenfolge des Namens „Martini“ zu „Initram“! Ein  Anagramm, das von rückwärts gelesen den eigentlichen Namen des Urgroßvaters, nämlich „Martini“ wiedergibt! Damit suggeriert der Autor die Wahrhaftigkeit der erzählten „Fata (Schicksale) und Abenteuer“ seines Helden und räumt gleichsam augenzwinkernd  auch ein, sich der „poetischen Lizenz“, der dichterischen Freiheit zu bedienen. Es gehörte zum Erzählverständnis der Zeit, vor dem Leser „wahre“ Geschichten auszubreiten. Martini erfüllt diesen Anspruch mit leichter Ironie, die übrigens seinen gesamten Erzählstil prägt und ihn als zu der Zeit „modernen“ Schriftsteller ausweist.

Die Geschichte des Martin Initram beginnt damit, dass er sich aus seinem gutbürgerlichen Elternhaus und seiner Heimatstadt Regensburg davonmacht  und  auf einem Donauschiff in Richtung Banat das Weite sucht. Aus welchen Gründen, erfährt der Leser zunächst nicht. Es war kein Auswanderer-Schiff, sondern es transportierte Güter ins Banat, nach Semlin. Bei einem Zwischenhalt unweit der Theiß-Mündung erkundet der Hauptheld das dschungelartige Donau-Ufer auf eigene Faust, verirrt sich zu später Abendstunde, wird von dunklen Gestalten  aufgegriffen und gegen seinen Willen festgehalten. So kommt das blutjunge Patriziersöhnchen aus Regensburg, ein „Bürschchen im papageigrünen Seidenkamisol und rother Plüschweste“  in der rauen Welt des Banats an, in der Nähe von Perlas, zwei-drei Tagereisen vor Temeswar.

Unangenehme Überraschungen bleiben ihm nicht erspart. Zuerst diese Gefangennahme  von  ansässigen Fischern und Viehzüchtern, von Serben, die als echte Naturmenschen noch  in spätmittelalterlichen Verhältnissen leben:

Bevor er aber noch Zeit fand,  unruhig und ängstlich zu werden, waren hohe dunkle Gestalten theils aus dem noch dunkleren Waldgrund aufgetaucht, theils ihm auf dem Ufersand in den Weg getreten. Tracht, Gesichtszüge und Art der Bewaffnung der Fremdlinge konnte Martin freilich nicht unterscheiden, aber so viel hatte er gleich weg, daß die Männer an der gepriesenen Cultur des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht participierten, weil sie insgesamt – keine Zöpfe trugen.

Martin ward umrungen von  den zopflosen Wilden, deren naturwüchsiges Haupthaar frei und lustig im Nachtwinde flatterte, mit Fragen in einer Sprache bestürmt, welchen er, da er etwas Ähnliches ´íntra muros´ seiner ´reichsunmittelbaren´ Vaterstadt nie gehört, nur ein Achselzucken entgegen zu halten vermochte. Statt jeder weiteren Conversation war man nun bestrebt, unsern Freund schnell vom Fleck zu bringen, und da er wiederholt über die im Wege liegenden Baumstämme zu fallen drohte, so hob ihn einer der Wilden auf den Arm und schleppte ihn (…) (Martini)

Die ironisch-heitere Erzählweise wird am folgenden Abschnitt des Romans besonders deutlich. Der Erzähler stellt seine Eindrücke wiederum der städtischen Zivilisation gegenüber, hat aber keineswegs das Gefühl, nun in einer Märchenwelt angekommen zu sein:

Die idyllischen Freuden dieses friedlichen Dörfchens sollte Martin zunächst kennenlernen … Man schob ihn der umfangreichsten Hütte zu, in deren Inneres er mehr kriechen als gehen mußte. Fühlte sich Martins patrizische Nase schon  v o r  dem Dorfe durch den unerträglichen Fischgeruch beleidigt, so noch mehr jetzt in der Hütte seine Augen, die sich nur sehr langsam an den schweren, mißduftenden und dickqualmigen Dungrauch gewöhnen konnten …

Die Augen unseres Helden wurden übrigens groß und größer, je länger er um sich blickte, und trugen den Glanz der lebhaftesten Bewunderung zur Schau. - „Schön! - prächtig!“ - rief er unwillkürlich, denn er mußte sich gestehen, daß er in Regensburg solche Männer nie gesehen, weder solch baumhohe Gestalten, noch solch edle Profile, noch solch glänzendes Rabenhaar. Die zwar ärmliche, aber sehr kleidsame Tracht mit blutrothem Fez und farbigem Ledergürtel entlockte dem Reichsstädter den Ausruf: „Wie die Prinzen im Kasperletheater!“ - Damit, daß Martin das Schöne nur im Puppenspiel seines Zeitalters wiederfand, hatte er unbewußt der Unnatur seiner eigenen Tracht den Stab gebrochen. Konnten sich aber auch größere Gegensätze irgendwo begegnen? (Martini)

Diese Szene lässt erkennen, dass der vorliegende Roman dem Genre der exotischen Abenteuer-Geschichten recht nahe steht. Insgesamt stützt sich das Geschehen jedoch auf historische Fakten und  setzt zeitbezogene gesellschaftskritischen Akzente. Die farbigen Bilder des Banats datiert der Erzähler auf die Zeit um 1750,  während der Roman genau ein Jahrhundert später, also zur Blütezeit des Biedermeier entstanden ist.

Fortsetzung folgt