Das Kunststück

Zum 120. Geburtstag von Alexander Tietz

Die Medaille zum 120. Geburtstag von Alexander Tietz, geprägt 2018 vom DFBB Foto: Erwin Josef Țigla

Alexander Tietz hat ein Kunststück vollbracht, als er in seinem Hauptwerk „Wo in den Tälern die Schlote rauchen“ (Bukarest: Literaturverlag, 1967) über die Herkunft und Geschichte der Deutschen wie auch anderer Bewohner des Banater Berglands informierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im kommunistisch regierten Rumänien, war die Geschichte der deutschen Minderheit (wie die Geschichte aller nationalen Minderheiten) aus den Geschichtsbüchern ausgeschlossen. Offenbar wollte die Parteiführung vermeiden, dass man in der Schule wirtschaftliche und kulturelle Leistungen würdigt, die in Siebenbürgen und im Banat erbracht worden sind, bevor diese Gebiete zu Rumänien gehörten. Stadtführungen mit einem Lokalhistoriker, anderswo im Rahmen des Geschichtsunterrichts eine Selbstverständlichkeit, erwiesen sich aus dem genannten Grund als unmöglich. Wir gehörten zur deutschen „mitwohnenden Nationalität“ und besaßen offiziell Rechte, aber keine Geschichte. Wie viele Deutsche in der Welt leben und in welchen Ländern, durften die Lehrer uns nicht sagen. Wie viele Deutsche bis zum Zweiten Weltkrieg aus dem Banat und aus Siebenbürgen in die weite Welt ausgewandert sind, wie viele Dobrudscha-Deutsche und Bukowina-Deutsche während des Kriegs zwangsweise umgesiedelt wurden, wie viele deutsche Familien aus Angst vor der Roten Armee geflüchtet sind, kam ebenso wenig zur Sprache. Ich war Schüler des Nikolaus-Lenau-Lyzeums in Temeswar. Die Landesberatung deutscher Autoren vom Juli 1957 wurde an einem Tag nach den Sommerferien erwähnt – aber nicht im eigentlichen Unterricht, sondern in einer Pause. Unsere Deutschlehrerin Friede Fuchs zeigte uns die Ausgabe des „Neuen Wegs“ (vom 26. Juli) mit dem Bericht zur Lage der deutschen Literatur in der Rumänischen Volksrepublik. Den Bericht hatte Franz Liebhard verfasst. Ich muss gestehen, dass wir uns unter dieser Landesberatung nichts vorstellen konnten, auch waren wir damals noch nicht geübt, zwischen den Zeilen zu lesen. Alle deutschsprachigen Zeitungen bemühten sich, die Lücke zu füllen, indem sie Ortsmonographien veröffentlichten, desgleichen Rezensionen von Büchern aus dem literarischen Erbe oder von Veröffentlichungen mit Bezug auf das Banat und Siebenbürgen. Sie stellten die einheimischen deutschen Künstler vor. In der Rubrik „Dem Alter die Ehr“ von Walther Konschitzky kamen bejahrte Landsleute zu Wort, die über ihr Leben und damit über weit zurückliegende Ereignisse, Bräuche und Feste erzählten. Das erste Buch über die deutschen Bewohner Rumäniens war die „Sächsisch-schwäbische Chronik“, ein Kompendium, herausgegeben von Eduard Eisenburger und Michael Kroner. Im Vorwort wird der Grund nicht ausdrücklich genannt, aber deutlich umschrieben. Die „Chronik“ sollte im Unterricht als Hilfsmittel dienen. Weil der Verfasser des Vorworts Mitglied im Zentralkomitee der Partei und im Staatsrat war, konnte man diese Mitteilung so auslegen, dass der Lehrer, falls dazu bereit, zusätzlich Informationen über die deutsche Minderheit mitteilen darf. Die „Chronik“ ist aber erst 1976 erschienen, also ganze dreißig Jahre nach dem Krieg ...Alexander Tietz hat die Mauer des Schweigens durchbrochen. Er hat in seiner Enzyklopädie des Banater Berglands die wirtschaftliche Entwicklung und die sozialen Verhältnisse dargestellt, in diesem Rahmen wird selbstverständlich auch über die Einwanderung der Deutschen, ihre technischen Leistungen, ihre Kultur und Folklore berichtet. Gleichzeitig geht er auf die Geschichte, die Lebensumstände und die Folklore der anderen Minderheiten ein – der Slowaken, der Kraschowänen, der Serben, der Zigeuner. Wir erfahren auch, wer die Tzaraner waren – Rumänen, die aus der Ţara Românească geflüchtet sind, um der grausamen Behandlung durch die Türken zu entkommen. Die Zensur, genauer das Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung, hat dem Verfasser Schwierigkeiten gemacht, alles Sozialdemokratische sollte ausgemerzt werden. Dabei reicht das Buch als Chronik nur bis zum Ersten Weltkrieg, als die Kommunistische Partei noch gar nicht existierte. Vielleicht hat dieses Rote Tuch die Zensur vom Tabu der „mitwohnenden Nationalitäten“ abgelenkt.