„Die Bedingungen sind vielversprechend und ich persönlich genieße eine gute Herausforderung!“

Interview mit Chris Torch vom Verein „Temeswar – Kulturhauptstadt Europas 2021“

Temeswar 2021 geht uns alle an. Denn es passiert hier und recht bald. Eine der Personen, die sich mit dem Programm befassen, ist Chris Torch, der 2016 als künstlerischer Leiter für die Startphase angestellt wurde. Dem Leser der „Banater Zeitung“ war er nur durch wenige Aussagen und aus Berichten bekannt. Jetzt sprach er mit der Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu über seine Aufgaben, das Programm und seine Vorhaben.

Foto: Zoltan Pazmany

Sie waren der Programmdirektor von Rijeka 2020, was war das wichtigste, was Sie dort gelernt haben?

Ich habe mit den Teams in Matera 2019 und Rijeka 2020 während der Kandidatur-Etappe zusammengearbeitet; es sind intensive und fruchtbare Monate gewesen, die zu Titeln als europäische Kulturhauptstädte für beide Städte geführt haben. Ich war tiefgehender in der Arbeit in Rijeka involviert, denn ich bin zu dem Team dazugekommen, kurz nachdem die Stadt auf die Kurzliste aufgenommen wurde. Es war eine kollektive Anstrengung. Ich wurde gebeten, als Programmdirektor zu bleiben, was ich auch angefangen habe ... bis ich im Dezember 2016 nach Temeswar für TM2021 rekrutiert wurde.

Aus Rijeka habe ich gelernt, dass es zwei Elemente gibt, die den Übergang von der Kandidatur zur Umsetzung erleichtern können: Erstens sollte in der Bidbook-Phase (wenn die Kandidatur-Dokumentation vorbereitet wird N. Red.) eine vordefinierte Vereinbarung zwischen den engagierten Partnern, ob unabhängig oder institutionell, häufig in Zusammenarbeit, getroffen werden. Zweitens ist die Publikumsperspektive, die auf bestimmte Orte und verschiedene Gruppen abzielt, wesentlich, um das Vertrauen der Bürger zu gewinnen.

Wie schwierig kann ein Übergang von der Vision zur Realität sein! Vor allem bei groß angelegten Aktionen wie einer Europäischen Kulturhauptstadt. Und wie viel einfacher ist es, wenn man in einer entstehenden unabhängigen Plattform eingewurzelt ist, oft in Zusammenarbeit mit Institutionen. Viele Kulturmenschen haben nie geglaubt, dass ihre Stadt den Titel hätte gewinnen können. In Rijeka nahmen sie trotzdem an dem Verfahren teil. Überrascht, aber motiviert gingen sie an die Arbeit, als der Titel verliehen wurde.

 

Worin liegen die Ähnlichkeiten beziehungsweise die Unterschiede zwischen den Projekten dort und hier und in Ihrer Arbeit sowie den angetroffenen Situationen?

Temeswar ist ein anderer Kontext. Wir haben unsere Stationen aus dem „Bid Book“ und eine klare „Reise“, basierend auf Engagement und der Idee des Bürgers/Besuchers. Eine Art „Fahrplan“ - aber noch nicht bei allen lokalen Kulturveranstaltern verankert. Wir arbeiten daran, einen Konsens zu erreichen.

Der unabhängige Sektor ist das A und O in jeder urbanen Kulturszene. Rijeka hat eine Tradition, diesen Sektor zu unterstützen und sogar Institutionen mit neuer Führung herauszufordern. In Temeswar haben die unabhängigen Institutionen eine begrenzte Stabilität und - obwohl die Stadt viel größer ist, was die Anzahl der Bevölkerung betrifft - müssen wir immer noch das richtige Ökosystem schaffen, ein gutes Gleichgewicht zwischen Eigeninitiativen und Kulturpolitik finden.

TM2021 konzentriert sich im Jahr 2018 weiterhin auf den Aufbau der Kapazitäten und des Netzwerks aufstrebender kreativer Produzenten, um ihre Fähigkeiten für die Verwaltung großer internationaler Projekte zu entwickeln. Dies ist grundlegend für eine einzigartige und relevante europäische Kulturhauptstadt.

 

Was war das Auffälligste, was Sie gesehen haben, als Sie nach Temeswar gekommen sind?

Zwei Dinge sind mir früh aufgefallen: die unsichtbaren Orte und die sichtbare Stärke der Menschen, die hier leben. Ich wurde von einem kleinen Ort zum anderen geführt, Räume, die oft mit eigenen Mitteln aufgebaut wurden, schwierige Räumen, kaum bemerkt, sehr gepflegt. Zur gleichen Zeit beobachtete ich, dass immer mehr Bürger ohne Angst, ruhig und freudig auf die Straße gingen. Die Energie der Stadt manifestierte sich in kleinen Initiativen und in großen Demonstrationen. Die Vision von Partizipation, die im Bewerbungsbuch vorgestellt wird, ist in einer Stadt verankert, die kurz davorsteht, kulturell zu explodieren.

 

Und das Beste?

Ich genieße die Stimmung des Stadtzentrums, mit den untereinander verbundenen „pie]e“ und einer entspannten Atmosphäre entlang der Straßen, in den Cafés und Bars. Es ist ein Magnet für alle, ohne dabei zu schick zu sein.

 

Sie sind hier für die Startphase des Programms. Bitte beschreiben Sie genau, was Sie als künstlerischer Berater tun.

Ich begann mit TM2021 während der letzten Phase der Kandidatur, Frühjahr und Sommer 2016. Ich wurde dann gebeten, beizutreten und helfen, die StartUp-Phase für Timisoara 2021 aufzubauen.

Meine Aufgabe ist es, die künstlerische Abteilung während der StartUp-Phase zu leiten. Mein Fokus liegt auf der Verteidigung und Entwicklung der Vision des Kulturprogramms. Meine Aufgabe ist es, eine künstlerische Einheit zu bilden. Wir erweitern die Kontaktfläche zu Europa und pflegen ein leistungsfähiges lokales Team, das in der Lage ist, das Programm in der kommenden Produktionsphase 2019-2021 umzusetzen.

Der Mangel an Gesetzesvorgaben für mehrjährige Finanzierungen, selbst für bedeutende Projekte wie die Kulturhauptstadt Europas, macht unsere Arbeit als künstlerische Einheit schwieriger. Wir verbringen sehr viel Zeit damit, die Bedingungen für ein Projekt vorzubereiten. Schließlich müssen wir auf die Dringlichkeiten reagieren, die jeden Tag durch finanzielle Unsicherheit entstehen. Somit ist Anpassung Teil meiner Berufsbeschreibung.

 

Wie haben Sie Ihre Ideen in das diesjährige Programm eingebracht?

2018 ist das zweite Jahr der StartUp-Phase. Der Weg des „Geschmackstestens“ und der Entwicklung kultureller Veranstaltungen, die bereits funktionieren, wird fortgesetzt.

Mit „DYBBUK“ (9.-10. Juni) konzentrieren wir uns auf eine fast verlorene jüdische Gemeinde, die viele kulturelle Erinnerungen in Temeswar hinterlassen hat. Mit „WINDOWS“ (12.-24. Juni) setzen wir unsere Auseinandersetzung mit Stadtvierteln fort, diesmal ist es Dacia. Und die „Engagement Unit“ wächst weiter mit fast 80 Personen, die sich in der Schulung und Praxis für die Zielgruppenentwicklung engagieren, während andere aufstrebende Produzenten ihre Fähigkeiten bei Seminaren und Konferenzen der „Power Station“ erwerben.

Es geht nur ums Lernen. Bei einer Kulturhauptstadt Europas geht es nicht so sehr darum, was wir bereits an Schönem und Bedeutungsvollem tun. Es geht darum, Neuland zu betreten, sich aus der Ferne für Impulse zu öffnen und Energie zu erzeugen, die zu Innovationen führt.

 

Wie sieht ein Tag in Ihrem Leben in Temeswar aus?

Ein langes Frühstück und viele Informationswebseiten. Dann fahre ich gewöhnlich mit meinem Fahrrad zu den Büros des Vereins TM2021. Der Tag ist voll mit Terminen, Treffen, ob kürzer oder länger, entweder mit Teammitgliedern oder verschiedenen Vereinen mit Projektideen, mit denen sie beitragen wollen. An vielen Abenden versuche ich bei Theateraufführungen und Musikkonzerten anwesend zu sein. Die Stadt ist wirklich lebendig, es ist schwer mitzuhalten!

 

Welche Veranstaltung oder Ereignisse im diesjährigen Programm sollten die Bürger nicht verpassen?

Wenn ihnen die Idee der Beteiligung und des Mitgestaltens gefällt, sollten sie eine der folgenden Möglichkeiten nutzen: „FO(U)R PUBLIC SPACES“ (Wortspiel für-vier öffentliche Räume – N. Red.), während des Teszt-Festivals (20.-27. Mai), als separates Programm; „WINDOWS“ (12.-24. Juni im Dacia-Viertel), bei dem zwei Künstler aus Regionen in Europa, die Konflikte und demokratische Herausforderungen erlebt haben – das sind Nordirland und das Baskenland -  mit den Bewohnern des Viertels zusammenkommen, um den Puls nehmen, was den Menschen, die dort leben und arbeiten, wirklich wichtig ist. Ein weiteres Angebot ist „WERKSTATT: IDENTITÄT“, der Termin wird noch bekannt gegeben; es geht um Workshops von „Subcarpa]i“ mit traditionellen Instrumenten; organisiert wird dies vom Nationaltheater Temeswar.

Wenn das Publikum es vorzieht, nur zuzuschauen und zu genießen, dann würde ich „DYBBUK“ (9.-10. Juni) im Sommergarten des Freilichtkinos empfehlen, wobei das Philharmonische Orchester zusammen mit der israelischen Kunstgruppe „SALA-MANCA“ auftritt, als Begleitung zum ältesten Stummfilm mit Jiddischen Untertiteln. Oder „DAS LICHT DER FREIHEIT“ (21.-23. September) auf dem Freiheitsplatz: An drei Nächten und drei Tagen erwacht der gesamte Platz einschließlich der Gebäude. Jede Nacht stellt einen Akt in der Stadtgeschichte der letzten 100 Jahren dar. Oder „BEGA!“ (5.-7. Oktober) im Hafen, am Bega-Kanal. Das Kulturzentrum „Plai“ bietet die erste „Bega!“-Vorstellung an: Kunst, Musik, Menschen und ein Schauspiel.

 

Wenn jemand mitmachen will, was muss er tun?

Er sollte der „Engagement Unit“ beitreten, ein Training besuchen oder eines der „Cafés 21“, sich für ein TMwork-Seminar registrieren oder einfach als Zuschauer zu einer TM2021-Aktivität kommen. Es gibt eine wachsende Zahl von Freiwilligen und Fachleuten. Bis zum Jahr 2020 brauchen wir eine gut organisierte Freiwilligen-Gemeinschaft von 700 oder mehr Menschen, damit alles funktioniert. Neue Projekte können sich auf den nächsten „Open Call: Searchlight“ vorbereiten, der im Oktober gestartet werden.

 

Wenn Sie die Zeit zurückspulen könnten, würden Sie wieder Temeswar wählen?

Absolut. Die Bedingungen sind vielversprechend und ich persönlich genieße eine gute Herausforderung. Meine Erwartungen passen sich immer an, so wie sie es müssen. Aber mein Optimismus bleibt.

 

Sie sind hier für die Startphase des Programms, bis Ende 2018. Werden Sie 2021 nach Temeswar zurückkehren, um das Produkt zu sehen?

Meine ursprüngliche Aufgabe bestand darin, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2021 zu schaffen. Das bedeutet, ein Team und eine Neugier aufzubauen, Strukturen und internationale Beziehungen zu pflegen. Ich bleibe „Temeswar 2021“ verpflichtet, bis eine hochwertige künstlerische Einheit vorhanden und voll funktionsfähig ist. Solange ich glaube, dass ich etwas beitragen kann, setze ich meine Arbeit fort, sicher über 2018 hinaus. Mein Blick ist nur teilweise auf das „versprochene“ 2021, aber ja ... ich kann mir nicht vorstellen, nicht dabei zu sein.