Die verlorene Jugend Rumäniens

Zu Elise Wilks Stück „Papierflugzeuge“

Aus der TNT-Vorführung "Avioane de hârtie"
Foto: Adrian Pîclişan

„Papierflugzeuge“ von Elise Wilk ist ein Stück, das eigentlich auch das Deutsche Staatstheater Temeswar hätte inszenieren müssen. Obwohl Volker Schmidts „Eigentlich schön“ Unterhaltung mit Tiefgang bietet und die Stimme einer Generation gekonnt einfängt, so fehlt doch etwas, was man in dem Stück Wilks findet: der Bezug zu Rumänien. Wilk schafft authentische Figuren, voller Wortwitz und Tiefe. Das Stück lebt von der Interaktion dieser Figuren, von den cleveren Wortgefechten, den stillen Momenten, sowie den lauten. Sie findet dabei stets eine Balance, läuft niemals Gefahr, zu sehr in die eine Extreme zu schlittern. Es macht einfach Spaß den sechs Figuren zuzuhören und immer wieder entlocken sie dem Publikum ein Lächeln. Und das trotz des ernsten Themas. Es geht in Wilks Stück um Jugendliche, die ohne Eltern aufwachsen, weil diese im Ausland arbeiten müssen. Ihre Ersatzfamilien können die entstandene Lücke nicht füllen. Eigeninteresse diktiert das Handeln der abwesenden Figuren. Ihr Zynismus ist auf die sechs Jugendlichen abgefärbt. Es gibt keine moralischen Grenzen mehr, keine Verbote, keine Richtung für sie. Sie sind genauso verloren, wie Volker Schmidts „Millennials“. Der Unterschied ist aber gewaltig: Schmidts Figuren kriegen es irgendwie hin, schließlich sind sie auch erwachsen, mehr oder weniger, und sowieso auf sich allein gestellt. Wilks Figuren brauchen dagegen Elternfiguren, die ihnen zur Seite stehen, die sie in den Arm nehmen, sie trösten, ihnen Aufmerksamkeit schenken. Aus Mangel daran versuchen die Jugendlichen alleine zurechtzukommen und sich gegenseitig zu helfen. Was nicht klappt.

Ich-bezogene Teenager können ihre eigenen Probleme nicht beiseitelassen, was nach außen dringt, sind Frustrationen. Wut, Angst, Unsicherheit verleiten Alex (Dragoş Lupău) und seinen Kumpel Bobo (Alexandru Olariu) den Außenseiter Miki tagtäglich fertigzumachen. Die Mädchen haben indessen andere Probleme. Es geht nicht nur um Jungs, sondern auch um das eigene Aussehen. Lena (Ana Munteanu) versucht sich als eine Art „Bişniţar“ – sie handelt mit Küssen mit oder ohne Zunge, prostituiert sich quasi und ist gleichzeitig entsetzt, dass Männer sie darauf reduzieren. Andra (Amalia Huţan) ist magersüchtig und in ihren Lehrer verliebt. Anders als ihre Freundin Laura (Mădălina Toderaş) spart sie sich auf. Sie ist zutiefst verunsichert, wandelt sich vom stillen Mauerblümchen zur psychotischen Furie, die ihre Wut an sich selbst auslässt. Sie und Miki sind die tickenden Zeitbomben in „Papierflugzeuge“. Die, die es nicht schaffen werden, weil sie nicht stark genug sind.

Die Figuren verhalten sich oft wie Knastis, die nur darauf warten, endlich frei zu kommen. Sie träumen davon, zu ihren Eltern nach Italien zu fahren, harren in Rumänien aus, bis sie endlich volljährig sind und ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Doch dazu sind sie unfähig.

Ein dramatischer Text hängt immer auch von der Interpretation des Regisseurs ab. Ob „Papierflugzeuge“ in der Regie von Ion-Ardeal Ieremia dem Text gerecht wird, vermag ich nicht zu sagen, weil ich nur die Bühnenfassung sehen und nicht auch den Text lesen konnte. „Papierflugzeuge“ würde einen spannenden Film abgeben, einen der dem rumänischen „New Wave“ eingeordnet werden könnte. Denn „Papierflugzeuge“ lebt von cleveren, witzigen Dialogen, authentischen Figuren und dem Rumänen eigenen schwarzen Humor, der selbst einem bitteren und zutiefst tragischen Thema eine komische Seite abgewinnen kann.