Ein Dorf, im Schlamm versunken

Geamăna im Siebenbürgischen Erzgebirge, ein Opfer fahrlässiger Umweltpolitik

Die im Schlamm versunkene Dorfkirche. Foto: Ana Sălişte

Langsam wird auch die Kirche vom grauen Schlammteich verschluckt werden. Sie steht noch als letzter schweigsamer Zeuge da, um daran zu erinnern, dass hier einst das Dorf „Geamăna“(=„Zwilling“), Verwaltungskreis Alba, stand. Es ist so, als würde sie einen längst ausgestorbenen Ort überwachen. Doch auch sie kann dem Schlamm nicht mehr entkommen. Zur Hälfte liegt auch die Kirche schon unterm Abraum- und Erzanreicherungsschlamm. Nur noch der Turm und das Dach sind zu sehen, als würden sie jenen Familien nachblicken, die dem Ort den Rücken kehren mussten.

Einige trockene ausgestorbene Baumkronen vermodern still im See, als wären sie ausgestreckte Hände, die um Hilfe bitten. Ab und zu noch ein Hausdach, sonst nichts als Wasser und Schlamm, das sogenannte Tailing, das vom Bergbau übrig bleibt. 130 Hektar weit erstreckt sich das Ganze, das sind mehr als 170 Fußballfelder. Kommt man der Kirche näher, so breitet sich eine unbehagliche Stille aus. Kein Wind weht, kein Vogel ist in Sicht, kein Wasserrausch zu hören. Ringsherum wächst nichts mehr. Das Gras ist trocken, der Boden karg. Tiefer im Tal hat das sumpfige Wasser eine rötliche Farbe – alle Rückstände, die vom Kupferabbau in der Mine Roşia Poieni stammen, werden hierher gespült. Ein dickes schwarzes Rohr schlängelt sich wie ein Lindwurm am Ufer entlang und führt in den See: Hört man gut zu, so kann man den darin fließenden Tailing mit Kalk vermischt hören. Unaufhaltsam.


Berg und Dorf, vom Kupferabbau zerstört

Cornel Holhorea blickt vom Hügel herunter und zeigt dorthin, wo früher, in den 70er Jahren, sein Haus stand: „Rechts, etwa 150 Meter von der Kirche entfernt“, sagt er. Nichts ist mehr davon zu sehen. Das Haus, die Möbel, sein ganzes Hab und Gut liegen unter Tonnen von Giftschlamm. Das gleiche Schicksal hatten auch weitere 300 Familien, als Nicolae Ceauşescu 1977/78 entschied, den Kupferabbau in der Mine Ro{ia Poieni zu starten.

Ein ganzer Berg musste dafür angetragen werden, das Dorf Geam²na wurde von der Landkarte gestrichen, damit an seiner Stelle ein Tailing-See entstehen kann. Mit Tailing bezeichnet man im Bergbau feinkörnige Rückstände aus der Aufbereitung von Erzen, die in Form von Schlämmen anfallen. Sie werden an den Entstehungsorten, d. h. im Umfeld der Minen in großen, meist mit Dämmen gesicherten Becken oder Schlammteichen gelagert, was je nach Inhaltsstoffen und bei unsachgemäßer Lagerung einen hohen Gefährdungsgrad für die Umwelt bedeutet.

Das Dorf Geam²na ist in den letzten drei Jahrzehnten unter 43 Millionen Tonnen Tailing versunken. Damit ist es längst nicht vorbei: Der „See“ hat eine viel größere Aufnahmekapazität: 103 Millionen Tonnen Schlamm können hier gelagert werden. In der Mine wird allerdings nur noch an einer einzigen Produktionslinie gearbeitet, zwei wurden stillgelegt.

Privatisierung wiederholt gescheitert

Die staatliche Kupferfördergesellschaft „Cupru Min Abrud“ besitzt den Tagebau Ro{ia Poieni. Hier sind 60 Prozent der Kupfervorkommen Rumäniens konzentriert. Der Gesamtwert des Vorkommens wird auf 13-14 Milliarden Euro geschätzt. In den letzten zehn Jahren hat Cupru Min Abrud fünf Jahre mit Verlust abgeschlossen – ein Verlust von vier Millionen Euro im Jahr 2009 – aber auch fünf Bilanzen mit Gewinn – und zwar vier Millionen Euro im Jahr 2011. Die Gesellschaft konnte wieder Profit machen, nachdem von 1500 Angestellten um das Jahr 2000 viele entlassen wurden, so dass heute nur noch 400 geblieben sind. Cupru Min gehört zu jenen Gesellschaften, deren Privatisierung die Regierung in Bukarest mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbart hat. Mehrere Versuche, die Gesellschaft zu verkaufen, waren gescheitert. Es sind u.a. die kostspieligen Umweltinvestitionen, die viele Unternehmen vom Kauf  abschrecken. Hinzu noch: Die Umweltgenehmigung der Gesellschaft ist seit Ende 2011 abgelaufen. Eine Neue kann nur dann erteilt werden, wenn umfangreiche Umweltinvestitionen nach EU-Standards unternommen werden.

Vertreter von „Cupru Min“ wollen sich zum Thema nicht äußern und meinen, die Fragen dazu müsste man dem Wirtschaftsministerium stellen. Der Eingang in die Mine Ro{ia Poieni ist gesperrt. Ein etwa 60-jähriger Mann steht vor einer kameraüberwachten Barriere, trägt eine Mütze mit dem Wort „Wache“ drauf und zeigt, dass er seinen Speech auswendig kennt: „Eintritt verboten, für Fotos und Besuche brauchen Sie eine Genehmigung vom Wirtschaftsministerium“.

Elf Familien leben noch in Geamăna

Bis eine Entscheidung bezüglich „Cupru Min“ getroffen wird, fließt der Tailing unvermindert ins Tal weiter und schluckt langsam auch die letzten Häuser, die noch am Ufer des Teichs wie ungebetene Zeugen dastehen. Elf Familien wohnen noch in Geamăna, am Fuße des Berges, mit Blick auf dem Schlammteich. Sie halten Kühe, Schweine und Geflügel, bauen Gemüse an, stapfen mit Kautschukstiefeln durch den schleimigen Boden und freuen sich, dass das Wasser in diesem Jahr noch nicht bis zu ihrer Haustür reicht.

Sie haben sich an dem Schlamm gewöhnt und mit ihrem Schicksal abgefunden.

„Geam²na gibt es nicht mehr“, so die 70-jährige Valeria Bârdea, eine der letzten Bewohnerinnen. „Umziehen? Wohin denn?“, fragt sie, während sie mit ihrem Mann das Heu sammelt. Manche Dorfbewohner wurden zu Ceau{escus Zeiten entschädigt, jedoch wie zum Spott: „35.000 Lei pro Haushalt. Mit dieser Summe konnte man keinen Neustart irgendwo anders wagen“, so Eugen Bârdea. Das war grade mal ein halber Dacia 1300. „Bei einer Familie wurde ausgerechnet, dass sich der Teich nur noch bis zu einer Hauswand erstrecken wird und dass man damit gut leben kann. Sie haben folglich kein Geld zur Entschädigung bekommen“, erinnert sich Bârdea.

Viele Bewohner wurden sich viel zu spät dessen bewusst, was eigentlich kommen wird. Manche wollten es nicht glauben und sind da geblieben, bis ihnen das schlammige Wasser die Füße nässte. „Es gab dann sogar Leute, die nicht mal ihre Sachen mehr zusammenräumen konnten“, erinnert sich das Ehepaar. Konkret wurde ihnen überhaupt nichts erklärt. „Eines Tages kam da einer und begann zu messen, auszurechnen und nachzufragen. Wozu, das wollte er nicht verraten“, erinnert sich Eugen Bârdea.

Keine Angst vor dem Schlamm

Die meisten Dorfbewohner sind zu Verwandten in den anrainenden Dörfern und Gemeinden geflüchtet, manche – so wie Cornel Holhorea – haben sich ein neues Haus höher auf dem Hügel gebaut. Andere sind geblieben und leben nun mit dem Schlammteich am Hausrand. Jetzt sei es gut, in diesem Sommer. „Das Wassser muss normalerweise bis hierher kommen“, sagt Valeria Bârdea und zeigt auf ihren Hausrand. Dass Schlamm ins Haus kommen könnte, das schreckt sie längst nicht mehr ab. „Na und? Das Wasser macht uns keine Angst mehr“, sagt sie. Und doch gehen sie sorgfältig mit dem kleinen Giftbach vor ihrem Haus um. Vor allem ihre Tiere sollen davon fern bleiben. „Steckt man den Finger da rein, so juckt die Haut“, fügt Valeria Bârdea in gedämpfterem Ton hinzu.

Ab und zu bekommt der Teich eine weiße Farbe. Die kommt vom Kalk, der manchmal ins Wasser gespült wird, um die toxischen Elemente des Tailings zu neutralisieren. „Damit werden aber auch die Bäume ringsherum trocken“, so Bârdea. Zum Glück gibt es noch den Brunnen mit reinem Trinkwasser. „Noch ist das Wasser gut“, sagt das Ehepaar. Wenn dieser manchmal austrocknet, müssen sie fünf Kilometer weit bis zur nächsten Wasserquelle gehen. „Am schlimmsten ist aber der Geruch, der vor allem morgens am stärksten zu spüren ist“, sagen sie.

Das nächste Dorf ist Hădărău – bis dorthin sind es sieben Kilometer hin und weitere sieben, zurück – insgesamt etwa vier Stunden zu Fuß. Wer noch in die Gemeinde Lupşa will, zu der Geamăna gehört, muss noch mindestens eine Stunde hinzurechnen. Diesen Weg muss auch der Priester Albu zurücklegen, der hier 2010 eine neue Kirche bauen ließ und nun jeden zweiten Sonntag herkommt, um für die verbliebenen Familien eine heilige Messe zu zelebrieren.

Resigniert auch der Bürgermeister?

Eine Lösung für den Transportmangel steht nicht in Sicht. Zumindest nicht in diesem Jahr, so Dănuţ Vasile Bârzan, seit zwei Monaten der neue Bürgermeister der Gemeinde Lupşa. Und ob man im kommenden Jahr noch von Geamăna sprechen kann, dessen ist sich Bârzan auch nicht so sicher: „Glauben Sie, dass man noch von einer Zukunft des Dorfes sprechen kann?“, fragt er. Das Niveau des Tailings soll noch um zwölf Meter anwachsen. „Weitere sechs Familien müssen schnellstmöglich weg“, so Bârzan und fügt empört hinzu: „Wissen Sie, 80 Prozent der Kupferfördergesellschaft funktioniert auf dem Gelände der Gemeinde Lupşa, die Bewohner haben aber nur all zu wenig davon. Nur wenige haben einen Arbeitsplatz in diesem Unternehmen, obwohl viele hier jahrelange Erfahrung im Bergbau haben und sich in diesem Bereich gut auskennen“, sagt er. „Ich bin damit einverstanden, dass der Kupferabbau wieder aufgenommen wird. Damit würden neue Arbeitsplätze geschaffen werden.  Die Angestellten sollen aber überwiegend aus meiner Gemeinde stammen“, so Bârzan.

Er zeigt sich bereit, der Leitung der Gesellschaft eine Liste von Dorfbewohnern mit Bergbauerfahrung bereit zu stellen. Ob das noch irgendwann passieren wird, ist ungewiss. „Das Dorf stirbt aus“, so  Cornelia Ţârău , während sie auf die Apfelbäume zeigt, die schon ein halbes Meter im schlammigen Wasser stehen. „Dieses Jahr konnten wir noch die Äpfel einsammeln, wer weiß, was im nächsten Jahr auf uns zukommen wird“, sagt sie.

Der Staat als Alleineigner der Kupfergesellschaft hat seelenruhig auch den Friedhof des Dorfes im Giftschlammsee verschwinden lassen. Als wollte er jede Erinnerung an ein Dorf namens Geamăna-der Zwilling, für ewig auslöschen.