Eisenbahn - auch in privater Hand kein Reisemagnet

Mit dem Nostalgiegefährt im Banat unterwegs

Der Zug von Temeswar nach Radna ist streckenweise fast leer. Nur wenige Bürger steigen in den Haltestellen der vielen ehemals deutschen Gemeinden zu oder ab. Nach der Wende sind es immer weniger Fahrgäste geworden, nicht nur die Arbeitsplätze in den Großstädten nahmen ab, sondern die Eisenbahn wurde verstärkt der Konkurrenz durch das Privatauto und der Überlandbusse ausgesetzt. Die meisten, die auf dieser Route fahren, sind Pendler. Manche bevorzugen den Bus, weil dieser aus dem Dorfzentrum abfährt. Im Gegensatz dazu liegen die Bahnhöfe außerhalb der Ortschaften – manchmal sogar 1-2 Kilometer entfernt.

Der Schaffner Teodor Dogar folgt einer Schülerin den Fahrschein aus. Denisa fährt jeden Tag von Aliosch/ Alios nach Lippa/ Lipova, wo sie in der neunten Klasse im Lyzeum lernt. Sie findet die Fahrbedingungen im Regiotrans-Zug gut und bevorzugt den Zug an Stelle des Busses, weil es viel billiger ist: Eine Busfahrt kostet doppelt so viel. Der Preis pro Ticket von Temeswar bis Radna liegt bei 9,50 Lei. Teodor Dogar überprüft sein Tablet-PC, um zu sehen, wieviel Denisa zu bezahlen hat. Sie muss ihr Ticket im Zug kaufen, denn nur an den beiden End-Haltestellen gibt es auf der Route Temeswar – Radna einen Fahrkartenschalter.

Gabriel Forsea ist Mechaniker auf dem Regiotrans-Zug von Temeswar nach Radna. Regelmäßig fährt er diese Strecke. Vor zwei Wochen war er nicht im Dienst, als der Zug an einer Bahnüberfahrt auf einen Lastkraftwagen prallte. Die Lokomotive, sowie der LKW, wurden stark beschädigt und mehrere Menschen verwundet – Fahrgäste, aber auch der Lokomotivführer. „Die Firma (Anm.d.Red.: Regiotrans) ist für die Fahrgäste verantwortlich, aber die Verwundeten haben im Nachhinein deklariert, dass sie keine finanziellen Ansprüche von der Firma haben“, erklärt Teodor Dogar. Einmal pro Trimester müssen die Regiotrans-Angestellten an der „Analyse zur Verkehrssicherheit“ teilnehmen. Dort werden alle Vorfälle aus dem jeweiligen Quartal diskutiert und die Kenntnisse der Angestellten zu diesem Thema getestet. Das gilt auch für die rumänische Eisenbahngesellschaft CFR.

Im Motorraum gibt es Platz für schweres Gepäck: Von Kühlschränken bis hin zu Fahrrädern. Auf einer Strecke von bis zu 100 Kilometern kostet der Transport von schweren Gütern 0,7 Lei pro Kilogramm. Fahrradfahrer müssen 3 Lei Zusatz zum Ticket zahlen, wenn sie ihr Fahrrad mitnehmen möchten.

Nicht nur Pendler fahren diese Route, sondern auch Menschen, deren Ziel, die Wallfahrtskirche Maria Radna ist. An den wichtigsten Festtagen, die hier gefeiert werden – Mariä Himmelfahrt und Mariä Geburt – werden die Waggons an allen Zügen verdoppelt, weil die Zahl der Fahrgäste, die nach Radna wollen, sehr hoch ist. CFR-Züge fahren auf dieser Route nicht.

„Wenn ich diese Entscheidung noch einmal treffen müsste, dann würde ich mit Sicherheit nicht mehr Schaffner werden“, so Teodor Dogar, der seit sechs Jahren bei Regiotrans arbeitet. „Ich bin hier für alles verantwortlich, obwohl ich alles alleine machen muss: die technische Überprüfung des Zuges, den Sicherheitsdienst, Tickets verkaufen, alles was dazu gehört. Und trotzdem muss ich mir immer wieder Schimpfwörter von den Fahrgästen anhören, wenn ihnen etwas nicht passt“, führt er fort. Wenn die Kontrolle von Regiotrans kommt und jemanden erwischt, der keine Fahrkarte hat, bekommt der Schaffner einen Gehaltsabzug von 5-10 Prozent. Als die ADZ-Redakteure das Ticket nicht vorweisen konnten, bat Teodor Dogar sie Fahrkarten von ihm zu kaufen. Trinkgeld kam nicht in Frage.

Eine Gruppe von Asylbewerbern und Flüchtlingen steigen ebenfalls in Radna aus. „Wir machen einen Ausflug, damit sie auch ein bisschen aus dem Temeswarer einschlägigen Zentrum heraus kommen“, so Amalia Axentie, Leiterin der Gruppe und Psychologin bei der ICAR-Stiftung (Bukarester Stiftung für Unterstützung von Asylbewerbern und Flüchtlingen). Den Zug haben sie deswegen gewählt, weil dieser ihnen erlaubt, sich besser in der Gruppe zu unterhalten und ungehindert eine lockere Stimmung auf der Fahrt zu haben.

Einst verkehrte auf der Route Radna – Arad „der grüne Pfeil“ auf den schmalen Gleisen, die inzwischen auf der ungenutzten Strecke gestohlen wurden – so gleich mehrere Aussagen. 1991 zog man die Schmalspurbahn aus dem Verkehr, nachdem sie 85 Jahre lang die Verbindung zwischen Arad und den Ortschaften an den Arader Weinbergen sicherte. Einen Teil der sogenannten „Weinstraße“ legen wir mit der Überland-Straßenbahn zurück, die immer noch auf den alten Gleisen des „grünen Pfeils“ fährt. Wegen Reparaturen an einer Brücke fährt sie derzeit nicht bis Giorok/ Ghioroc, sondern nur bis Mîndruloc.

25 Kilometer lang ist die Strecke von Mîndruloc bis nach Arad. Auf dieser Route gibt es keine Busse, deswegen ist die Straßenbahn die einzige Alternative im Nahverkehr. Unternehmen haben zwar private Busse für ihre Angestellten eingerichtet, aber es gibt viele andere Bürger, die aus den umliegenden Dörfern regelmäßig nach Arad wollen und die Straßenbahn nehmen müssen. Eine Fahrt von Mîndruloc nach Arad kostet 5 Lei und dauert ungefähr eine halbe Stunde. Die Bahn sichert guten Anschluss zur Weiterfahrt, denn sie hält am Arader Hauptbahnhof. (Foto).

„Arad als Bahnhof gehört zum vierten paneuropäischen Verkehrskorridor und erlebt derzeit massive Sanierungsarbeiten, die über das Europäische POS-Programm für Verkehr finanziert werden“, sagt Corina Draghici, Sprecherin des Arader Bürgermeisteramtes. Arbeiter sind überall am Werk und leiten von Zeit zu Zeit die umher irrenden Menschen zu den Fahrkartenschaltern, die wegen der Bauarbeiten verdeckt sind.

Zurück im Zug. Diesmal ist es ein staatlicher Personenzug der CFR, der von Arad nach Temeswar fährt. Die orangene Lackfarbe blättert vom Mobiliar des Abteils ab. Auch wenn der Zug gereinigt wurde, möchte man so wenig wie möglich anfassen. Der Schaffner sagt uns, dass „die große Kontrolle im Zug ist“. Dann finden wir kurz darauf unsere Tickets, die wir vorerst nicht zeigen wollten. Doch wie der Schaffner reagiert hätte, wenn keine Kontrolle im Zug gewesen wäre, darüber können wir nur spekulieren. Ziemlich mitgenommen sieht das Gebäude am Rangierbahnhof Ronat bei Temeswar (Foto) aus. Die anderen klassischen Dorfbahnhöfe auf den beiden befahrenen Trassen sind über weite Strecken gut erhalten geblieben.

Sanierungsarbeiten werden auch am Temeswarer Bahnhof (siehe Foto) durchgeführt. Die ehemaligen Pendler-Strecken - von den Fachleuten „Sekundär-Linien“ genannt - werden alle von Motorzügen des privaten Betreibers Regiotrans befahren, sagt Florin Nita, Direktor in Temeswar des mit Hauptsitz in Konstadt/ Brasov angesiedelten Unternehmens für Schienen-Transport Regiotrans.

Weit über 100 Jahre alte Zugverbindungen, Bahnhöfe, die z.T. auch heute noch wie Denkmäler anmuten und ein dichtes Schienennetz – das ist die nostalgische Variante des Banater Eisenbahnverkehrs. Durch letzte Jahrzehnte schlängeln sich jedoch auch mit Galgenhumor getragene und gar genossene Szenen aus überfüllten Pendlerzügen, von sträflich bestechlichen Schaffnern, schmutzigen Toiletten und nachtsüber stockfinsteren Abteilen. Dazu kamen nach der Wende vielerorts verlassene und dem Verfall preisgegebene Bahnhöfe, wegen fehlender Rentabilität stillgelegte Strecken und in den Fahrplan wieder aufgenommene Routen durch private Betreiber, deren Angestellte viele alte Eisenbahnergepflogenheiten in die Privatwirtschaft mitgenommen haben. Auch 25 Jahre nach der Wende, schickt der Schaffner „in den anderen Nebenwaggon, weil es da wärmer ist“, Toiletten sind auch heute nichts, wohin man auf einer Fahrt auch ein zweites Mal gerne geht, und Schaffner verdienen sich noch immer gerne ein Zubrot durch kleine oder größere Bestechungen. Weit mehr als die Hälfte aller Eisenbahnrouten im Kreis Temesch werden von der privaten Eisenbahngesellschaft Regiotrans bestritten. Die ADZ/BZ-Redakteure Marion Kräutner und Siegfried Thiel sind einen Tag lang durch die Kreise Arad und Temesch gereist, um Strecken zu begutachten, Züge und Bahnhöfe zu testen und Schaffner auf ihre Korruptionsanfälligkeit zu prüfen. So entstand folgende Fotoreportage, mit all ihren Facetten, die auf einer von Regiotrans befahrenen Strecke von knapp 60 Kilometern, auf einer Reise mit der staatlichen Eisenbahn CFR über 50 Kilometer und einer halbstündigen Überland-Straßenbahn ersichtlich wurden.