Erdogan und Prinz Eugen

2100 gibt es 150 Millionen Türken, schätzen Demografen. Eine Folge der Entwicklung der ländlichen Bevölkerung – die, samt ihren Wertvorstellungen, in die Städte drängt. Erdogan kennt sein Wählerpotenzial.  Seine erst schleichende, jetzt offene Re-Islamisierung der Türkei (kombiniert mit militantem Nationalismus) ist folgerichtig. Schließlich hat er von sich behauptet, sich „nie geändert“ zu haben: er, der in den gewalttätigen Vororten von Istanbul aufwuchs, kommt selbst aus solchen Schichten und regiert mentalitätskonform. Die Macht hat der Stärkere, übt sie rachevoll und autokratisch aus.

Er sägt zielbewusst an den Säulen des laizistischen Kemalismus der Türkei: Armee, Justiz und Bürokratie. Er „zähmt“ sie. Seinen Wahlspruch nahm Erdogan vom osmanischen Dichter Ziya Görkalp: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Ob unser Präsident Johannis von seinem Beraterstab dieses Zitat mitbekam, bevor er mit Erdogan Gespräche führte?

Bundeskanzlerin Merkel sicher nicht. Folgen zeigten sich vergangene Woche, als Erdogan, der sich „nie geändert“ hat, in einer Rede spöttisch eine Novellierung des Antiterrorismusgesetzes (eine der Säulen seiner Diktatur und der Willkür gegenüber der freien Meinungsäußerung) ablehnte, die zu den Bedingungen für den umstrittenen EU-Visaerlass gegenüber Türken gehörte.

Immer noch gilt im Fall Erdogan die Begründung des Staatssicherheitsgerichts, als dieses ihn im April 1998 wegen „Aufstachelung zur Feindschaft aufgrund von Klasse, Rasse, Religion...“ verurteilte und ins Gefängnis steckte – was Erdogan, wie früher Osteuropas Kommunisten, als sein „Bildungsgefängnis“ in seinem 30-jährigen Schattenkrieg gegen kemalistische Machteliten und Laizismus deklarierte. Gefängnisgebildet, änderte er die Taktik, den Görkalp-Sätzen treu, indem er janusköpfig agierte. Laizistische Wertvorstellungen werden Schritt für Schritt gewürgt und durch aggressive islamistische Restaurierungspolitik ersetzt.

Sichtbar ist nicht nur Erdogans zäher Krieg gegen die Kurden (dies- und jenseits von Grenzen) und Demokraten, sein undurchsichtiges Handeln im Syrienkrieg und gegenüber IS – auf wessen Seite steht der Nato-Gestützte? – auch seine islamistischen Auslandsoffensiven: die Riesenmoschee von Bukarest, die sowohl Ex-Präsident B²sescu als auch sein Nachfolger Johannis guthießen, die Förderung der islamistischen Unterwanderung des Westens mit Visafreiheit. Außerdem die Kriegs-Allianz mit der Ukraine: Erdogan, der Nato-Alliierte, riskiert den Konflikt mit Putin-Russland.

Frage: wie würde Prinz Eugen von Savoyen 300 Jahre nach Eroberung von Belgrad und Temeswar reagieren?