„Es ist schon im Ansatz ein sehr großes Gefälle. Wenn man das nicht ändern kann, dann geht man.“

Interview mit Lucian Vărșăndan, dem ehemaligen Intendanten des Deutschen Staatstheaters Temeswar

Nimmt vorläufig Abschied vom DSTT: Lucian Vărșăndan.

Vor wenigen Tagen trennte sich Lucian Vărșăndan von der Stelle eines Leiters der Abteilung für Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit am DSTT. Im vergangenen Herbst war Lucian Vărșăndans Amtszeit als Intendant am selben Haus abgelaufen. Eine Erneuerung des Mandats hatte er erwartet, da die Stadt ihm die Note 9.88 für seine zweite Amtszeit gegeben hatte. Diese Erneuerung blieb aus.Die Stadtverwaltung wies auf das Gesetz hin, wonach der Intendant ein im betreffenden Bereich abgeschlossenes Studium haben sollte. Lucian Vărșăndan ging vor Gericht. Über die letzten Entwicklungen sprach mit ihm die Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu.

 

Welches ist der Stand der Dinge, was das Gerichtsverfahren betrifft?

Ich habe die Stadt Temeswar durch ihre zwei Verwaltungsbehörden – Bürgermeisteramt und Stadtrat – verklagt. Das Verfahren hat als Hauptgegenstand jenen, dass die Prozeduren zur Analyse meines neuen Managementprojekts fortgesetzt, zu Ende gebracht werden und die Stadt mit mir einen weiteren Intendanzvertrag schließt. Das ist nichts anderes als das, was mir gesetzmäßig zusteht, nach den bisherigen Prozeduren, die teilweise letztes Jahr stattgefunden haben, dann aber ohne jedwede Erklärung vom Bürgermeisteramt gestoppt wurden.

Der Stadtrat ist Teil des Verfahrens geworden, da er eine Rahmenvorschrift über die Veranstaltung des Wettbewerbs für die neue Besetzung der Intendanz am DSTT verabschiedet hat. Gegen diesen Stadtratsbeschluss Nr. 29 vom 30. Januar hatte ich beim Stadtrat selbst Berufung eingereicht, die wurde –wiederum ohne Mitteilung einer Erklärung – abgewiesen. Der Berufung wurde der Standpunkt des Kulturministeriums angehängt. In diesem vom vormaligen Kulturminister unterzeichneten Standpunkt steht schwarz auf weiß, in einer Situation wie jene vom DSTT ist die Überprüfung der Ausbildung des Intendanten nicht fällig, denn man ist nicht in der Situation eines Wettbewerbs.

Nun liegt die Kündigung vor. Welches sind die Gründe?

Um eines klar zu machen: Ein Intendanzvertragist nicht davon abhängig, ob man einen Arbeitsvertrag am selben Haus hat oder nicht. Ich bin zurückgetreten von meiner vormaligen Stelle als Leiter der Dramaturgie, die ich auch bis zur Besetzung der Intendanz hatte. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens gibt es keinen anderen Weg, in Würde mit meinen eigenen Prinzipien in Einklang zu kommen mit dem, was sich derzeit am DSTT leitungs- und entscheidungsmäßig abspielt. Zweitens, weil ich im Hinblick auf diese Entwicklungen keinerlei Einfluss nehmen kann.

Was für Entwicklungen sind es denn?

Bürgermeister Nicolae Robuhat eine nicht einmal interimistische Leitung eingesetzt, sondern den Verwaltungsleiter mit Leitungsbefugnissen bevollmächtigt. Aus gesetzlicher Sicht ist selbst diese Ernennung in meinen Augen ein höchst prekäres Konstrukt. Ein interimistischer Intendant müsste laut Gesetz über die nötige Kompetenz verfügen. Es ist diskutabel, ob ein nichtdeutschsprachiger Diplom-Ingenieur über diese Kompetenzen im Sinne des Gesetzes verfügt. Wenn dann durch diesen delegierten Leiter auch noch Entscheidungen im künstlerischen Bereich getroffen werden, wie zum Beispiel Gespräche mit Regisseuren oder die Änderung der Zusammensetzung des künstlerischen Beirates des Theaters, in dem die Dramaturgie nicht mehr vertreten ist, dann muss man sich fragen,ob man selbst am Theater erwünscht ist. Laut Gesetz müssen in diesem Beirat hausinterne und –externe Theaterpersönlichkeiten sitzen. Man kann sicherlich über den Begriff Persönlichkeit streiten, aber es ist schon extrem, dass unter den neuen Mitgliedern Leute sind, die seit zirka15 Jahren in der Theaterpraxis eigentlich überhaupt nicht mehr aktiv waren. Außerdem sitzen zum ersten Mal seit 1999 Menschenim künstlerischen Beirat, die des Deutschen nicht mächtig sind. Dann ist das alles schon ein sehr großes Gefälle zwischen dieser Art der Herangehensweise und jener, die das Theater im Hinblick auf seinen Anspruch auf erstrangige Qualität noch bis vor einigen Monaten hatte.

Dieses Gefälle weist eine Tendenz auf, es zeigt, dass die neue DSTT-Leitung schon im Ansatz sich gar nicht mehr zum genannten Qualitätsanspruch bekennen will. Wenn man als theaterinterner Akteur, der sehr umdie Qualität der Theaterarbeit bemüht war, dieseTendenz nicht ändern kann, dann geht man. Das Theater befindet sich in dieser Situation, weil die Stadt im Hinblick auf das DSTT nicht die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Die Konsequenzen dieser Fehlentwicklung wird man in Monaten und Jahren sehen. Man bedenke nur, dass das Theater bis auf die Koproduktion „Die Riesen der Berge“, die mit EU-Mitteln entsteht und die man in Temeswar im April dreimal zeigen wird, seit September keine einzige neue Inszenierungproduziert hat. Irgendwann wird das derzeitige Reservoire an Inszenierungen aus den Vorjahren ausgeschöpft sein, und ich möchte nicht im Theater selbst die Tage erleben, wo man aus dieser Krise herausmuss.

Kann die Intendantenstelle ausgeschrieben werden, solange das Gerichtsverfahren läuft?

Darüber wird das Gericht entscheiden. Wenn sie ausgeschrieben wird, und sollte also ein Wettbewerb stattfinden, dann muss der neue Intendant, falls ich den Prozess gewinne, früher oder später, aber sehr wahrscheinlich noch vor Ende seiner Amtszeit,die Stelle räumen.

Wie sehen die Zukunftspläne aus?

Mein jetziges einziges Vorhaben ist, dass ich mir eine wohlverdiente Ferien- und Auszeit gönne,klaren Kopf bekomme und eine gewisse Distanz gewinne. Nach dieser Auszeit werde ich entscheiden, was ich machen werde, bis der Prozess endet.

Bürgermeister Nicolae Robu hat sich in den letzten Monaten oft über verschiedene Kulturinstitutionen oder ihre Vertreter geäußert,zuerst über das DSTT, dann über den Verein „Temeswar, Kulturhauptstadt 2021“. Eine Meinung dazu.

Ich finde, dass sich eine Stadtverwaltung in die Kulturfragen der Stadt einbringen soll, allerdings als Partner und Vermittler, nicht als Hauptakteur. Eine größere Dialogbereitschaft von den beteiligten Parteien, auch von der Verwaltung, wäre wünschenswert. Auch im Hinblick auf die DSTT-Krise misse nicht nur ich eine offene Diskussion, die vielleicht zur Lösung hätte beitragen können.Die Stadt hat weder auf den offenen Brief seitens der Rumänisch-Deutschen Kulturgesellschaft noch auf das Schreiben des Ensembles des DSTT oder auf meine Berufung geantwortet. Das zeugt doch von einem prekären Kommunikationsverständnis innerhalb der Stadtverwaltung, wenn es um Kulturbelange geht.

Einen Aspekt, den ich in den Diskussionen um die Kulturhauptstadt auch misse, ist der Gedanke einer Entwicklung bis 2021 und auch darüber hinaus.

Das ist jedoch im Programm einbezogen.

Ja, aber in meinen Augen erfolgt die Umsetzung mit großer Verzögerung. Um aus dem Bewerbungsdossier nur einen Punkt hervorzuheben, der auch das DSTT angeht:In den paar Jahren ist doch recht wenig bezüglich der zweiten Spielstätte des DSTT geschehen, selbst wenn dieses Vorhaben in erster Linie von der Stadt selbst verantwortet wird. Das Projekt nimmt im Bewerbungsdossier und in der Kulturentwicklungsstrategie der Stadt eine wichtige Rolle ein, da sind weder EU- noch Regierungsmittel im Spiel, und trotzdem ist man seit Jahren aus der Etappe der Dokumentation nicht heraus.