„Ich habe diesen Roman als freie Frau geschrieben.“

Leseabend der etwas andern Art

Estela Valazco (links) in ihrer Boutique. Archivfoto: Siegfried Thiel

An einem milden Frühlingsabend trägt der Wind die Klänge klirrender Weingläser über den Domplatz.  Ich biege in die Matei Corvin-Straße ab, wo ich bald das Schild des Artisans d'Amour finde. Hier wird die Lesung des Romans „Amantele trecutului“/ (Die Geliebten der Vergangenheit) von  Alexandra Gheorghe stattfinden, des wahrhaftig einzigen lesbischen Erotikromans Rumäniens. Leseort ist die Life-Style-Boutique in Temeswar. Kein Erotikshop. Not only for Ladys - wie ich im Laufe des Abends erfahre.

Eine Angestellte begrüßt in einem knielangen Rock aus schwarzem Tüll, der über und über mit Perlen besprenkelt ist. Ich bin überrascht: keine Inszenierung, kein junges leichtbekleidetes Personal und kein Hauch von ordinärem  Voyeurismus. Statt festgezurrten Korsagen trägt das junge Publikum elegante Blusen. Wir sind um die fünfzehn Gäste, von zwanzig bis vierzig sind alle Altersklassen vertreten. Zwei Paare befinden sich unter den Anwesenden, insgesamt „verstecken“ sich drei Männer schüchtern zwischen den anwesenden Frauen. Statt billigen Kostümen umschmeichelt im ersten Zimmer Unterwäsche aus Spitze und durchsichtigem Satin die Silhouette einer Kleiderpuppe. Aufmunternd werden wir in einen weiteren Raum geschoben, wo sich pinke Flakons mit Parfüm und Kosmetik aneinanderreihen. Darauf folgt ein offener Raum für die Lesung, an der  Wand vernascht eine hübsche Dame Erdbeercupcakes. Im Mittelpunkt des letzten Raumes befindet sich eine Vitrine, unter dessen Glas allerlei Spielzeug, schwarze Samthandschuhe und ein goldfarbenes Bondage-Lasso liegen.  Wie kommt eine anständige Frau zu diesem Beruf?, frage ich die Inhaberin Estela Velazco. Sie wurde in Peru geboren und lebte lange Zeit in der Schweiz und kam vor zehn Jahren mit ihrem Mann, einem Rumänen, nach Arad. Ihre erste Boutique eröffnete sie allerdings in Temeswar, da hier die passende Klientel zu finden sei. In der ganzen Welt wird Velazco für ihren exquisiten Geschmack fündig: sei es Peru, Deutschland oder Brasilien.  Sie verrät: „Es ist das erste Mal, dass wir so eine Lesung veranstalten. Wir haben sonst anderes Publikum. Ich kenne unter diesen Leuten niemanden.“ Am häufigsten erscheinen gestandene, gut situierte Frauen in ihrer Boutique – unverständlich angesichts der erschwinglichen Preise. Verständlicher allerdings, wenn man den Umgang mit Sexualität betrachtet. Was die rumänischen Frauen von ihrem Heimatland lernen können? „Meine Kundinnen lernen von mir als Frau.“, antwortet Velazco lächelnd. Sie berichtet von den vielfältigen Veranstaltungen in ihrer Boutique mit Künstlerinnen oder Gynäkologinnen. Ich bekomme den Eindruck, dass eine Erotik-Boutique in Rumänien echte Aufklärungsarbeit ist und gestehe, dass der Widerspruch zwischen den knappen Röcken der Frauen, Zwangsprostitution, Pornografie und der gesellschaftlichen Borniertheit angesichts von Sexspielzeugen, für mich nicht zusammenpasst. „Gleich bei uns um die Ecke gibt es einen Webcam-Laden, wo sich junge Studentinnen ihr Geld dazuverdienen“, erzählt Velazco. Durch ihre Pforte kommen sie nie herein. Dazu passt, dass das Artisans d'Amour die einzige Boutique ihrer Art in ganz Rumänien ist.

 Schließlich erscheint Alexandra Gheorghe und beginnt die Lieblingsstelle aus ihrem Roman „Amantele Trecutului“ vorzulesen. Alexandra ist eine junge Frau mit erdbeerblonden Haaren und selbstbewusstem Blick.  Die Autorin erzählt, wie sie in einem behüteten Dorf aufwächst und von den Reaktionen ihrer Bekannten, die ihre Bücher lesen.

„Alle fragen mich, ob diese Geschichte real ist. Und es tut mir leid: ich muss sagen, dass sie nicht real ist. Sie ist inspiriert aus meinem Leben. Aber alles, was ich in diesen zwei Büchern geschrieben habe, ist reine Erfindung.“ Für die Autorin gehören Sexualität und Emanzipation zusammen. Später wird sie hinzufügen: „Ich habe diesen Roman als freie Frau geschrieben. “ Besonders das offene Sprechen und das Brechen kultureller Tabus, daran hat die rumänische Gesellschaft Nachholbedarf. Alexandra Gheorge holt aus: „Es ging mir bei meinem Roman nicht um Provokation, sondern ich wollte so schreiben, dass ich den Leser emotional erreiche.“  Ich frage Velazco nach den Wünschen ihrer Kunden und erfahre, dass sie markttechnisch gesehen nicht vom bloßen Verkauf ihrer „Lingerie“ leben könnte, auch wenn sie diese sensibel im ersten Zimmer positioniert hat, um niemanden zu pikieren.  „Die meisten Leute sind sehr reserviert. Es werden natürlich auch private Probleme angesprochen.“ Eine Zuhörerin fragt, wie sich Alexandra Gheorghe in ihrer Rolle als einzige Erotikautorin Rumäniens fühlt. Wie sie nach ihrem nunmehr fünften Buch mit Kritik und Tabuisierung umgeht.  „Es war Mut. Ich habe mir gesagt: Ich muss schreiben. Ich muss etwas Anderes schreiben.“

Gespräche entstehen, Fotos werden gemacht und Bücher signiert. Das kleine Publikum beginnt sich aufzulösen. Ein Satz Gheorghes bleibt mir im Kopf, als ich durch das abendliche Leuchten der Stadt laufe. Die Liebe muss frei sein.