Offener Brief

Foto: Zoltán Pázmány

an Hans Bergel, Schriftsteller, Deutschland

Eine Revision                           

Jahrzehntelang bin ich in bestimmten Kreisen verdächtigt worden, ein Spitzel der Securitate zu sein. Ich habe dazu geschwiegen. Auslöser, das Schweigen zu brechen, ist ein „Dokumentarfilm“ vom Bukarester Fernsehen(TVR1/10.04.10), an dem der Autor Hans Bergel maßgeblich beteiligt ist.

13. September 2010, im orthodoxen Nonnenkloster St. Spiridon/Bistritz-Nassod.

Dem hochwürdigen Bischof D.Dr. Christoph Klein zu Händen, Hermannstadt

Zur Kenntnisnahme: Kurtfelix Schlattner. Und an Nahe und Nicht-Freunde...

An

Hans Bergel, Schriftsteller.

In Rumänien wird wiederholt ein Streifen ausgestrahlt: Eginald Schlattner, trădătorul (der Verräter) - Hans Bergel, victima (das Opfer). Anbei der Originaltext, wie der Film, TVR1, angezeigt wird: 11.04.10; 16:30 Reconstituiri: Demonul simplificării… Istoria grupului de tineri scriitori germani arestaţi şi condamnaţi în septembrie 1959, în România, la 95 de ani de muncă silnică şi temniţă, după ce au fost la securitate turnaţi de către un coleg de facultate. După aproape 50 de ani, victima Hans Bergel şi trădătorul, preotul Eginald Schlattner aduc noi clarificări. Filozoful „trădării" îşi recunoaşte trădrea, dar nu realizează că a distrus prin turnătoriile lui atâtea destine. Ulterior s-a aflat că între anii 1960 - 1970, Schlattner a mai turnat 50 de persoane. Institutul de Studii asupra Estului European din Germania Federală alocă cercetări întregi acestui caz, de alienare a responsabilităţii, în care deosebirea dintre minciună şi adevăr dispare treptat şi astfel durerea şi căinţa sunt estompate. Narator Stejărel Olaru Imagine Viorel Sergovici Sorin Chivulescu Regia Dan Necşulea Producător tv Alexandru Munteanu realizator Lucia Hossu-Longin Coproducţie TVR1 şi  IICCR.  Abgesehen von der Frage nach dem ominösen Osteuropa-Institut(?) geht es mir um den Satz: Ulterior s-a aflat că între anii 1960-1970, Schlattner a mai turnat 50 de persoane.Ich hätte zwischen 1960 und 1970, nach der Haft, 50 Menschen - eingelocht, eingekerkert, hinter Schloß und Riegel gebracht, ins Gefängnis geworfen, ans Messer geliefert(rumänisch: a turna).

Mein Anliegen:  Nennen Sie mir diese fünfzig. Und wenn nicht, nennen Sie einen von ihnen. Oder veranlassen Sie - als Leidtragender sind Sie Hauptperson des Films -daß die Quellen offengelegt werden. Sie könnten antworten, ich möge mich an die Macherin des Films,realizator Lucia Hossu Longin, wenden. Aber ich wende mich an Sie, Hans Bergel.

Noch dies: Ich, der Philosoph des Verrats(Filozoful „trădării")habe die 5 Autoren im Alleingang ‚eingelocht’ (turnaţi).Ich möchte Sie erinnern, daß ich nicht der einzige Zeuge im Schriftstellerprozeß war. Aber der EINZIGE, der nach über zwanzig Monaten Zellenhaft bei der Securitate zum Prozeß eskortiert worden ist, während die anderen in ‚Freiheit’ herbei zitiert worden sind; das wird nicht gesagt. Und nicht, daß ich zwei Jahre und zwei Tage dortselbst eingesperrt war. So komfortabel dieser Aufenthalt im genannten Film geschildert wird - es bleibt unleugbar: eine etwa 7-8qm Kammer im Halbdunkeln, kein Hofgang, dafür 10.000 km in der Zelle hin und her. Ich habe mit radikaler Authentizität im Roman Rote Handschuhe, ohne Rücksicht auf mich - und ohne Rachsucht -, dargestellt, was während der Haft an mir und durch mich geschehen ist. Ich habe Verantwortung ausgesprochen. Ich habe Schuld benannt. In Berlin 2001, bei der Vorstellung des Buches, habe ich Aussöhnung angeboten denen, die unter mir gelitten haben, die an mir leiden. Erwartet habe ich freilich, ehe wir uns im Rothberger Pfarrhaus an den runden Tisch setzen, daß jeder mit seiner eigenen Vergangenheit abrechnet, jenseits von Heiligenlegenden und Heldensagen und Lügenmärchen.

Am Ende meiner und Ihrer Biographie (1933, 1925), möchte ich Ihnen versichern, daß ich nie ein Agentder Securitate gewesen bin; und es allen sagen, die so zäh daran hängen. Ich habe mich, in Freiheit, dem Zugriff der Securitate entziehen können; und das jahrzehntelang - bis zum blutigen Schlusswort der kommunistischen Diktatur in Rumänien im Dezember 1989.

Als Sie 1957 - im  Jahr meiner Verhaftung durch die Securitate -  im Deutschen Literaturkreis der Studenten in Klausenburg gelesen haben, da haben Sie mir folgendes ans Herz gelegt: „Man möge sich im Leben Aufgaben stellen, so hoch, daß man sie gerade noch mit den Fingerspitzen berühren kann.“ Bedenkenswert bis heute und hier. Und der Himmel ist wohl mitgemeint.

Eginald Schlattner

Gefängnispfarrer

ELÄUTERUNGENEN über das „Trauma der Securitate“.

Es wird kaum etwas ändern an den eingefressenen Meinungen der Nichtfreunde und den festgefahrenen Meinungen mancher Freunde, aber es sei gesagt:

Als erstesTagebuchnotizen, Rothberg auf dem Pfarrhof,  X/XI 2010

Nur in einer zeitdifferenzierten und kontextgebundene Methodik kann man sich dieser furchtbaren Securitate-Zeit nähern (wie Dieter Schlesak das in einem Text akribisch ausgearbeitet hat).  Ferner: Alle haben wir panische Angst gehabt vor der Securitate. Vor dem Auto, das vor dem Haus hält (so in einem Gedicht von Oskar Pastior). Und vor der anonymen Männerstimme im Telefon. Und vor der ‚Wanze’ unterm Sofa. Und vor Nachbarn und Besuchern. Und vor dem 'besten Freund', denn DER weiß alles.  Mit der verschwiegenen Frage: Haben die ihn nun doch in ihren Dienst gezwungen, gegen Erziehung, Herkunft und gegen sein Gewissen. Ein solcher bleibt gezeichnet von Angst und Wahn ein Leben lang. Und wird für ewig verteufelt, wenn es ans Tageslicht kommt. Ein später Triumph der Securitate, die noch immer durch die Biographien geistert, die Gemüter in Wallung versetzt durch Gerede und Gerüchte, selbst nach dem Tod, und als Ungeist mächtig bleibt.      

Zu mir notiere ich: Darf ich es so sagen! Ich hatte das 'Glück', 1957 verhaftet zu werden, somit von der Bildfläche zu verschwinden, ehe ich ‚in Freiheit’ von der Securitate drangsaliert hätte werden können. 18 Jahre später, schon in der Zeit des Roten Sonnenkönigs Nicolae Ceauşescu, stand das ominöse Auto vor meinem Haus in Freck, das Oskar Pastior voll apokryphen Schreckens nennt. Es war dies die zweite Periode der Diktatur in Rumänien (so Dieter Schlesak), ab 1965, wo es offiziell keine politischen Häftlinge mehr gab. Und wenn, dann saßen sie als Hooligans im Gefängnis, Freiwild für die Mithäftlinge, die den Auftrag hatten, dieses fertig zu machen - bis zu genehmigtem Mord. Über ein Jahr lang bin ich von einem Căpitan de Securitate, der sich als Inginer Constantin ansprechen ließ, verfolgt worden, daß mir Hören und Sehen vergangen ist. Dazu jeden Tag die Angst im Nacken: Jetzt kommt er, jetzt rufen sie dich. Ausgeliefert! In solchen Zeiten hält Gott sein Antlitz  bedeckt .

In einer Periode absoluter Wohnungsnot in den Städten der Sozialistischen Republik Rumänien hatte die Securitate in Hermannstadt/Sibiu konspirative Wohnungen noch und noch. Doch auch in meinem Haus in Freck wurde ich bedrängt. Plötzlich stand er da, der Todesengel, der Mann der Securitate! Kein Winkel unterm Himmel, wohin man fliehen konnte. Doch das, was ich Frau und Tochter und Brüdern und Schwägerinnen ans Herz gelegt habe: Nein und NEIN und Nein, nein auf Teufel komm heraus: Dies NEIN hat gewirkt. Zuletzt schrieb ich an die Securitate einen Brief: Was immer die Folgen sein mögen, mich wird man als ‚colaborator’, als Mitarbeiter, nicht gewinnen, "selbst wenn die schwarze Sonne über mir aufgeht" (wie über Grigori Melekhow in Scholochows Der Stille Don). Nachher gaben sie Ruhe.

Es war die Zeit, wo mir diese Mitarbeit bei der Securitate als hohe Ehre angedient wurde: Man bewege sich in bester Gesellschaft von Akademikern und Persönlichkeiten, sogar kirchliche Würdenträger sähen das Vaterland in Gefahr und hielten es für ihre patriotische Pflicht, die Sicherheitsorgane zu unterstützen. Es war aber auch die Zeit - die ganze Zeit der Diktatur übrigens -, wo man seine konfirmierte Tochter nicht nur aufmerksam machen mußte, was zu tun sei, wenn ein Bursche ihr zu ungebärdig auf den Leib rücke. Sondern man mußte Söhne und Töchter instruieren, wie sie sich zu verhalten haben, wenn die Securitate sich über sie tut. Das Rezept eben: Nein und Nein und nein.  Dies Nein  war ein Kraftakt unter Angst.

Ich habe das mit unserer Tochter geübt, ein Szenario, daß sich genau so abgespielt hat! Ein Lehrer ruft dich aus der Stunde: Zum Direktor. Der Direktor sagt kurz und bündig: Jemand will dich sprechen. Im Nebenraum zwei Herren, unauffällig aber teuer gekleidet, Anzüge, Hemd, Krawatte. Sieh ihnen auf die Schuhe. Romarta-Schuhe. Ein Schuh, soviel wert wie das Monatsgehalt deiner Mutter. Die Herren mit der falschen Krawatte:

Numero 1: Niemand darf von diesem Gespräch erfahren.

Numero 2: Zuckerbrot!

Nummer 3: Peitsche.

Das Procedere eventuell mehrmals. Du antwortest stereotyp und stoisch: „Nein! Nein! Nein!“ Läßt dir nicht einmal eine Telefonummer zustecken. Wenn es dir zu dumm wird, sagst du dann dieses: Ich werde alles meinem Vater berichten, der Pfarrer ist. Und der wird es dem Bischof weitermelden. Dann hörst du nur noch eines: „Hier, unsere Telefonnummer, wenn dir etwas einfällt, ruf an.“  Statt la revedere heißt es dann zum Abschied für immer: „Auf das nächste Mal!“ Genau so geschehen.

Somit gibt es weder von mir, noch von meiner Frau, noch von unserer Tochter, die, wenn auch milde, hergenommen worden sind, sogenannte 'note informative'. Man kann alle Dossiers der rum. 'Gauck'-Behörde öffnen. Von uns, und von mir liegt nichts über andere vor.   Einzig eine Verpflichtunghabe ich bei der Securitate unterschrieben (die alle unterschrieben haben): In der Nacht vom 30. Dezember 1959, als man mich nach zwei Jahren und zwei Tagen Haft aus der Zelle 26 bei der Securitate in Stalinstadt entließ. Und zwar war das ein vorgedrucktes Formular des Inhaltes, daß ich niemals jemanden berichten dürfe, wo ich war und wie es war und was war.  Daran habe ich mich gehalten bis zum Erscheinen des Romans Rote Handschuhe (Verlag Paul Zsolnay, Wien, vorgestellt im Großen Literaturhaus in Berlin im Februar 2001).

Ein Wort zu meinem  Brief an Hans Bergel, den Ankläger und Klagenden: Es ist ein (irenischer) Brief, der nicht auf Wirkung und Antwort steht. Vielmehr - wie mir post festum im Nach-Denken aufgefallen ist - mir gilt. Mir, indem ich mich zu Wort melde nach Jahrzehnten einer irrationalen Hetze und einer Schlammschlacht, von der ich mich ferngehalten habe. Was während der Haft bei der Securitate 1957-59  geschehen ist, habe ich im Roman Rote Handschuhe dargestellt, aufgeschrieben in radikaler Wahrhaftigkeit, keiner hat mich bis noch einer Unwahrheit zeihen können. Und der Film Rote Handschuhe jüngst (Radu Gabrea, Produzent, Regisseur, Bukarest), kaum zu ertragen: sehr nah am Buch, nah an der Biographie, zu nah an der Wirklichkeit, bestätigt das!

Wobei ich mich für meine Entscheidungen hinter Gittern - Entscheidungen an der Grenze - haftbar gemacht habe und Verantwortung trage bis heute. Denn ich stehe dafür, halte daran fest:

In jedwelcher noch so verzweifelten Grenzsituation gibt es ein infinitesimales Minimum an Freiheit, so daß ich die Verantwortung für meine Entscheidungen übernehmen kann und muß.

Dieser obsessive Drang zur Schuldlosigkeit des heutigen Menschen führt dazu, daß in allem, was einem geschieht und durch einen geschieht der andere Ursache ist, die Umstände herhalten müssen… Indem man dauernd Verantwortung abweist, in allem Opfer sein will, beraubt man sich der eigenen Persönlichkeit. Der Nobelpreisträger Naipaul meint sinngemäß: Opfersein heißt immer auch lächerlich sein.

Das Letzte soll etwas Gutes sein, heißt es im Roman Der geköpfte Hahn.

Meine Frau, Susanna Dorothea geb. Ohnweiler, die mit 18 -  nicht lange nach meiner Entlassung -  in mein Leben getreten ist, und die mich 45 Jahre lang getreulich und kritisch begleitet hat, ist mein bester Zeuge: Nie war ich Informant der Securitate.

Antworten, Nichtantworten: Unsere Tochter Sabine Maya Schlattner, München,  hat -  nachdem eine Antwort von Hans Bergel auf sich warten ließ  -  die Filmemacherin Lucia Hossu-Longin in Bukarest in einem Brief aufgefordert, die Namen der 50 Personen zu nennen, die ich ‚zwischen 1960-70  der Securitate 'ans Messer geliefert’ haben soll, hat gefordert, die Quellen dieser Anschuldigung zu benennen. Keine Antwort.

Die Antwort jüngst von Hans Bergel, nicht direkt an mich, kann in einem Satz zusammengefaßt werden: Von den 50 erwähnten Personen hat Hans Bergel keinen einzigen Namen nennen können. Da es sich um einen ‚Dokumentar’-Film handelt, ich wiederhole: Eginald Schlattner, trădătorul -  Hans Bergel, victima (ich Verräter, er das Opfer),  x Mal von TVR ausgestrahlt,  wäre zu erwarten,  daß Hans Bergel als Ehrenmann -  und  als Opfer,  nunmehr in Solidarität mit dem ‚Opfer’, das bin ja wohl ich im gängigen Jargon -  die Sache in Bukarest nicht nur klärt, sondern auch bereinigt.

AUSBLICK:

Mir wird hoffentlich zu Teil, was die Losung für heute, den 26. XI. 2010 bereithält: Jesaja 30,15: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ Und ebenso ermutigt der Apostel Paulus im Lehrtext, Galater 5,5: „Im Geist und aus Glauben warten wir auf die Erfüllung unserer Hoffnung: die Gerechtigkeit.“

Ob der Glaube reichen wird? 

Doch getreulich werde ich auch weiterhin jeden Freitag Abend die Namen derer, die an mir leiden und die unter mir gelitten haben, auf den Altar der alten Kirche in Rothberge legen, erbaut 1225.

Wobei Hans Bergel der erste auf der langen Liste ist.

Eginald N.F.Schlattner

Diplom-Hydrologe

Lizentiat der Theologie

Evang. Gefängnispfarrer

557210 Rosia-Rothberg

Romania