Rumänien: Medizinisches Personal wandert ab

Eine Strategie zum Stoppen des Phänomens ist vorläufig nicht in Sicht

Auf den Fluren des Kreiskrankenhauses Temesch warten die Patienten auf die Ärzte. Manchmal gar stundenlang.
Foto: Zoltán Pázmány

Der Korruptionsskandal, in dem drei Frauenärzte des staatlichen Notkrankenhauses Vaslui involviert sind, schlägt derzeit hohe Wellen in den Medien. Zu Jahresbeginn kam im Laufe des Ermittlungsverfahrens, das seit Mitte Februar 2015 andauert, die menschenunwürdige Art und Weise ans Licht, wie die Gynäkologen gerade Patientinnen  mit einer prekären finanziellen Lage behandelten. Neben den illegalen Geldkassierungen, die die angeklagten Mediziner forderten, seien die Frauen furchtbar beschimpft worden, berichteten Betroffene vor Gericht. Der Fall sorgte landesweit für Empörung bei den Bürgern.

Dass sich rumänische Ärzte an staatlichen Krankenhäusern in Rumänien für ihre Dienste bezahlen lassen, ist kein Novum. Die Unverschämtheit, mit der die Ärzte aus Vaslui von ihren Patientinnen das Geld forderten, prägt allerdings nur die wenigsten. Es gibt unter den an staatlichen Krankenhäusern angestellten Medizinern auch solche, die die Geldumschläge von den Patienten ablehnen. Die meisten nehmen jedoch die zugesteckten Summen dankend an. Wenn man bedenkt, dass ein Assistenzarzt in Rumänien umgerechnet 300 Euro im Monat verdient, so sei dies nicht mal so verwerflich, meinen viele Bürger.

„Wenn du in Rumänien kein dezentes Gehalt beziehst, wirst du egoistisch und verfolgst deine Interessen. Niemand denkt an das gemeinsame Wohl“, sagt M.A. Es sei in erster Linie die Mentalität der Leute gewesen, die die Temeswarer Frauenärztin dazu brachte, sich nach Abschluss der Medizinhochschule fürs Auswandern zu entscheiden. Fehlendes Team-Work in ihrem Tätigkeitsfeld, der Gynäkologie, habe sie am meisten enttäuscht. „In Deutschland arbeitet man zwar mindestens genauso viel wie in Rumänien, aber man wird auch entsprechend entlohnt“, sagt sie.

Dass es junge Assistenzärzte verstärkt ins Ausland zieht, ist kein Novum. Zu Jahresende 2015 wurde gerade dieser Aspekt in der Plenarsitzung des Temescher Kreisrats angesprochen. Der Kreisrat veröffentlichte die Wirtschafts- und Sozialstrategie zur Entwicklung des Verwaltungskreises Temesch und das Strategische Programm für die Zeitspanne 2015-2023.  In der 800 Seiten starken Studie wird hervorgehoben, dass seit 2005 die Zahl der Mediziner pro Einwohner im Kreis Temesch stark zurückgegangen ist. In Ortschaften wie Otelek, Secaş, Bara und Ohaba Lungă seien unzureichend Hausärzte tätig, und auch in anderen Gemeinden müssten mehr Ärzte angestellt werden, damit die gesamte Ortsbevölkerung Zugang zu den medizinischen Dienstleistungen haben könne. In dem Dokument wird auch der schlechte Zustand einiger Krankenhäuser angeführt.

Für den Orthopäden Dan Ciurel aus Reschitza war das einer der Hauptgründe, weshalb er vor einigen Jahren beschloss, nach Deutschland auszuwandern. „Als ich am Kreiskrankenhaus in Temeswar als Assistenzarzt angefangen habe, gab es dort fast kein Geld. Das Erste, was ich dem Patienten sagen musste, war, dass er Handschuhe und ein steriles OP-Feld kaufen muss, wenn er sich operieren lassen will“, sagt der zur Zeit in Bielefeld tätige Mediziner. „Nicht zu sprechen von Implantaten – Platten, Stifte, Stäbe. Wenn der Patient kein Geld hatte, um diese zu kaufen, so mussten die Ärzte mit dem, was gerade auf Lager war, improvisieren. Und man kann nicht ewig improvisieren...“, erinnert sich der Arzt. Zu den schlechten Bedingungen zum Ausüben des eigenen Berufs zählt Dan Ciurel die geringen Gehälter und die vom ehemaligen Premierminister Emil Boc durchgesetzte 25-prozentige Lohnkürzung für Staatsangestellte - alles Gründe für seine Entscheidung, auszuwandern. „Von meinem Gehalt damals konnte ich kaum die Unterhaltskosten begleichen. Und auf die Unterstützung der Eltern kann man ja nicht ewig bauen“, sagt er.

Wenn die meisten Ärzte auswandern wollen, weil sie in Rumänien ihren Beruf nicht unter dezenten Bedingungen ausüben können, so gibt es auch solche, die sich einfach eine Veränderung wünschen, die sich beruflich weiterentwickeln wollen. „Ich wollte in einem Land arbeiten, in dem das Gesundheitssystem extrem gut funktioniert und in dem man als Arzt für seine Arbeit gut bezahlt wird. Ich bereue meine Entscheidung überhaupt nicht“, sagt Marius Miculiţă, der seinen Beruf in Österreich ausübt. Der Frauenarzt war in Rumänien in der privaten Praxis seiner Familie tätig gewesen.

Die Auswanderung rumänischer Mediziner scheint nicht zurückzugehen. Im Gegenteil: Das Phänomen soll in den kommenden Jahren weiterhin aktuell bleiben, so Livius Cârstea, Vorsitzender der Temescher Ärztegewerkschaft Sanitas, den lokalen Medien gegenüber. Solange Ärzte in Rumänien mies bezahlt werden, zieht es viele Hochschulabsolventen ins Ausland. Statistiken belegen: Seit 2007, als Rumänien Mitglied der EU wurde, verließen ungefähr 14.000 Ärzte ihr Heimatland – die Zahl der Krankenpfleger und –schwestern ist sogar zwei- bis dreimal höher. Auch im Verwaltungskreis Temesch sieht die Situation nicht anders aus. An den hiesigen Medizineinrichtungen werden Posten ausgeschrieben, für die sich niemand meldet. Oder aber es kommen junge Mediziner, die in zwei-drei Monaten die Perspektivlosigkeit im Gesundheitssystem erleben und sich schließlich doch fürs Auswandern entscheiden. Vor allem Ärzte für innere Medizin, Intensivärzte und –krankenschwestern wandern verstärkt ab. Der Mangel an medizinischem Fachpersonal wurde nach dem Großbrand im Bukarester Colectiv-Club eklatant. Eine landesweite Strategie, um die Massenauswanderung der Ärzte zu stoppen, ist nicht in Sicht.