Rumänische Akademie möchte Fachkräfteexodus stoppen

Absolventen sollen verpflichtet werden, in Rumänien zu arbeiten

Zwischen 2007 und 2015 sind über 36.000 Absolventen der Medizin, Zahnheilkunde und Pharmakologie ausgewandert und üben ihren Beruf unter viel besseren Bedingungen und für größere Gehälter in Westeuropa aus.

Über 75 Prozent der rumänischen Medizinstudenten wollen laut einer Umfrage nach ihrem Studium auswandern. Die meisten davon kommen in Krankenhäusern aus Deutschland an.
Fotos: Zoltán Pázmány

Rumänische Absolventen könnten demnächst verpflichtet werden, mindestens die selbe Anzahl von Jahren ihrer gebührenfreien Studiumszeit in Rumänien zu arbeiten oder das Studiengeld, das vom Staat für ihre Ausbildung ausgegeben wurde, rückzuerstatten. So lautet der Vorschlag der Rumänischen Akademie, womit demnächst der Exodus jünger Fachkräfte gestoppt werden soll.

Rumänische Studentenorganisationen sind nicht der selben Meinung, auch nicht Absolventen. Der Landesverein der Studentenorganisationen (ANOSR) sieht den Vorschlag der Rumänischer Akademie als einen totalitären Vorschlag und einen Widerspruch gegen die Reisefreiheit der EU-Bürger. Der ANOSR-Vorsitzende, Vlad Cherecheş, sagte der Presseagentur Mediafax gegenüber, dass den rumänischen Absolventen diese Möglichkeit, sich überall in der EU anstellen zu können, nicht weggenommen werden darf. „Sie sind frei auf einem globalen Arbeitsmarkt und dürfen sich die Arbeitsstelle und das Arbeitsland frei auswählen, ohne dem Staat etwas rückerstatten zu müssen“, sagte Cherecheş.

Dabei setzt der Vorsitzende des Vereins der rumänischen Studentenorganisationen fort: „Das ist nicht die beste Variante, um dem Exodus zu stoppen – junge Absolventen haben das Recht auf gute Arbeitsbedingungen und eine gute Entlohnung. Natürlich ist das im eigenen Heimatland erwünscht. Aber ohne in erster Linie diese Hauptbedingungen zu sichern, kann man ihnen keine Grenzen setzen“.

„Um den Verlust an Humankapital mit höherer Bildung, die das Land verlassen, zu reduzieren, sollte jeder Hochschulabsolvent, der von einem gebührenfreien Studium profitiert hat, entweder die selbe Dauer wie ihr Studium in Rumänien abarbeiten oder die Kosten für die Ausbildung zahlen“, heißt es in der „Strategie für die Entwicklung des rumänischen Staats in den kommenden 20 Jahren“, die jüngst von der Rumänischen Akademie veröffentlicht wurde. Das Team, das an dieser Bildungsstrategie gearbeitet hat, meint, dass der Absolventenexodus schuld am großen Manko an Forschung in Rumänien sei.

Die Akademiker geben als Beispiel vor allem den Exodus der Mediziner als Beispiel. Zwischen 2007 und 2015 sind über 36.000 Absolventen von Medizin, Zahnheilkunde und Pharmakologie ausgewandert und üben ihren Beruf unter viel besseren Bedingungen und für unvergleichlich höhere Gehälter im Westen aus. In dieser Hinsicht schlägt die Rumänische Akademie vor, dass das Finanzierungssystem der Studenten umgedacht und an die aktuelle Nachfrage auf dem rumänischen Arbeitsmarkt angepasst werden soll. Auch andere Lösungen wurden in der Entwicklungsstrategie vorgestellt, darunter die Vorbeugung des Schulabbruchs; Partnerschaften zwischen Universitäten und Unternehmen; die Entwicklung und Förderung der dualen Berufsausbildung; die Förderung des Home-Schooling-Systems und der hochbegabten Schüler.

Aktuelle Statistiken zeigen: Über 75 Prozent der Medizinstudenten wollen nach ihrem Studium auswandern. Die meisten davon kommen in Krankenhäusern und Kliniken aus Deutschland an. Für einen einzigen Medizinabsolventen gibt der Staat in den sechs Studienjahren rund 12.000 Euro aus. Wer nicht mindestens sechs Jahre weiter in Rumänien tätig sein möchte, sollte laut Vorschlag der Rumänischen Akademie diese Summe dem Staat rückerstatten.

Marius Miculiţă ist Oberarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe beim Krankenhaus Zell am See (Österreich). Der Temeswarer Frauenarzt hat sein Studium an der Medizinuniversität Temeswar abgeschlossen und war weitere zehn Jahre in Temeswar als Arzt tätig. Die Entscheidung, auszuwandern, kam für ihn 2015. Der Drang auszuwandern kam, da er sich wünschte, in einem Land zu arbeiten, wo das Gesundheitssystem extrem gut funktioniert und wo die Ärzte auch dementsprechend entlohnt werden, lässt Miculiţă der BZ gegenüber wissen.

„Wenn zum Beispiel der Staat um die 1500 Euro pro Jahr rückerstattet bekommen möchte, wäre das kein Problem für die ausgewanderten Ärzte. In einem einzigen Jahr könnten sie die Summe ihres gesamten Studiums zurückbezahlen und trotzdem noch gut mit dem von ihnen verdienten Geld leben. Ich denke also, dass dies niemanden entmutigen wird“, sagt Marius Miculiţă zum Thema des Vorschlags der Rumänischen Akademie. „Wenn die Studiengebühr höher angesetzt wird, dann würden auch viel weniger Studenten ein Medizinstudium antreten. Auch das ist keine Lösung für das System in Rumänien. Wobei Gehälter für Mediziner oder Krankenhausbedingungen, ähnlich wie im Ausland, für Rumänien bloß unrealistische Hoffnungen bleiben“, fügt der 36-jährige Arzt hinzu. Andererseits gibt der Frauenarzt auch zu, dass es nicht abnormal für den rumänischen Staat ist, das investierte Geld zurückzuverlangen ist. „Im Ausland passiert das oft. Dort geraten Leute auch sehr schwer dazu, ein solches Studium anzutreten und danach es auch noch zu absolvieren“, schließt Miculiţă.

Corina Voinea ist Zahnärztin und Endodontie-Arztanwärterin. Die 30-Jährige hat die Hochschule 2014 abgeschlossen und seither in der Klinik für Zahnheilkunde und in einer privaten Zahnarztpraxis gearbeitet. 2015 wanderte sie nach Nizza aus. Nun plant sie, ein Jahr später, zurück nach Rumänien zu kehren. „Ich konnte mich ans System hier nicht anpassen. Im Bereich der Zahnheilkunde wird in Rumänien mehr auf Qualität gesetzt als in Frankreich“, erzählt Corina Voinea. Mit der Pflicht, das Studiengeld dem Staat rückzuerstatten, ist sie völlig einverstanden. „Man sollte hiermit auch die Anzahl von Studenten, die ein Studium antreten, begrenzen, denn in Rumänien gibt es all zu viele Zahnärzte“, schließt Zahnärztin Corina Voinea.

„Die Idee der Rumänischen Akademie wird vom sogenannten ´Brain-Drain´ (wörtlich: Gehirn-Abfluss, im Sinne von Talentschwund, somit der Abwanderung der Intelligenz einer Volkswirtschaft) ausgelöst. Der Staat investiert in die Ausbildung von Fachkräften, die dann auswandern. Somit hat der Staat recht, diese Investition mindern zu wollen, aber nicht durch die Begrenzung von Mobilität - wir leben doch nicht mehr im Kommunismus! Der Staat soll doch Absolventen einen Arbeitsplatz sicher können und dabei auch die besten Bedingungen, Forschungs- und Innovationsbedingungen und der Berufsausbildung bereitstellen. Soweit das nicht passiert, darf der Staat auch nicht die jungen Leute davon abhalten, sich eine Zukunft aufbauen zu wollen“, sagt der Temeswarer Bauingenieur Dr. Lucian Blaga, der schon seit mehreren Jahren in Deutschland lebt und tätig ist.