„Worschtkoschtprob“ in Maria Radna

Die Banater Zeitung führt eine fast 50-jährige Tradition fort

Es gab wiedermal viel Essen bei der Worschtkoschtprob. Im Mittelpunkt stand allerdings auch in diesem Jahr die Wurst.

Die Gewinner der diesjährigen Wurstverkostung kamen aus Temeswar, Lippa und Sanktanna.
Fotos: Zoltán Pázmány

Im Banat ging's dieser Tage buchstäblich... um die Wurst. Wir meinen jetzt nicht eine politische oder wirtschaftliche Krise im Südosten Europas, sondern eine jahrzehntealte Tradition im Banat, jenem Teil im Westen Rumäniens, wo sich vor über 300 Jahren die Banater Schwaben niedergelassen haben. Viele Rumäniendeutsche gibt es im Banat zwar nicht mehr - aber die, die noch da sind, pflegen ihre Tradition und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl.


Und sie haben ihre eigene Banater Zeitung, die einmal im Jahr, jeweils am letzten Donnerstag im Januar, punkt 12 Uhr, zu einem besonderen Anlass einlädt - zur „Worschtkoschtprob“. Das ist, hochdeutsch, eine Wurstverkostung. Und die gibt es schon seit fast fünf Jahrzehnten. Premiere in diesem Jahr: Die Gäste probierten die Produkte heimischer Fleischereibetriebe unterhalb der bedeutendsten Banater Wallfahrtskirche Maria Radna im Kreis Arad. Und eröffneten mit der „Worschtkoschtprob 2016” das rundum erneuerte Informationszentrum des Pilgerorts.

 

Schmalzbrot mit rotem Paprika

An diesem Tag sprechen viele Deutsch, im zweigeschössigen Versammlungsraum am Rande der Kleinstadt Lippa/Lipova - viele, aber eben nicht alle. Das Banat ist ein vielsprachiger Raum, Pilgermessen werden hier in einem Dutzend Sprachen gelesen.

Sie bereite Schmalzbrote vor, mit Mahlpaprika und roten Zwiebeln drauf, sagt Maria, eine Rumänin Mitte 50. Und sie kennt den Anlass: heute ist „Festivalu´ Cârnaţilor“. Banatschwäbisch: „Worschtkoschtporb“. Das ist die traditionelle Wurstverkostung, das Redaktionsfest der Banater Zeitung, des Regionalblatts der deutschen Minderheit in Westrumänien.

Rundfunkjournalist Adrian Ardelean trägt banatschwäbische Tracht, ist aus Arad angereist, der nächstgrößeren Stadt. Als Mitglied im Demokratischen Forum der Deutschen hat er sich, wie die übrigen rund 150 Gäste, schon lange auf diesen Nachmittag gefreut. „Weihnachten ist schon weit weg. Es beginnt gleich die Fastenzeit vor Ostern. Jetzt darf man noch ein bisschen essen und feiern. Dann ist es für eine Weile wieder aus“, sagt er.

Manche fühlen sich unbeobachtet, schnuppern herum. Was das für Gerüche sind im Raum! Salami, Leberwurst, Schinkenwurst, Kinnbacken mit Knoblauch, Wildschwein- oder Hirschpastete - Würste, immer wieder Würste, angerichtet auf Tellern, stehen verlockend auf den festlich gedeckten Tischen. Noch greift niemand zu. Einige der Gäste werden in einen separaten Raum geleitet - die „Wurst-Juroren“.

 

Jurylegitimierung: Lust auf Wurst

„Jeder darf Würste essen. Aber Noten vergeben dürfen nur die Jurymitglieder. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass, bis auf Wolfgang Sauer, in der Jury jetzt Wurstexperten drin sind. Da sind halt Leute, die gerne Wurst essen und sich wahrscheinlich auch ein bisschen auskennen“, sagt Raluca Nelepcu aus dem Organisatorenteam.

„Seien Sie willkommen zur Ausgabe 2016 der Wurschtkoschtprob...”. Jetzt geht's gleich los. Raluca  Nelepcu hält einen Block in der Hand, erklärt: „Es gibt zwei Wettbewerbssektionen. Das sind zum einen die privaten Wursthersteller, die Hauswurst herstellen, und die Firmensektion, industrielle Wurstwarenproduzenten. Noten werden von eins bis fünf vergeben. Fünf ist die größte“.

Nur noch ein paar kurze Anweisungen an die Juroren, dann kann's losgehen: Mit kleinen Gäbelchen wird Wurstscheibchen um Wurstscheibchen vom Teller gepickt. „...Die ist gut, ja die ist gut. Nicht perfekt, würde ich sagen. Die ist aber nicht aus normalem Schweinefleisch gemacht. Die hat etwas Anderes. Kann sein, von der Farbe her, vielleicht Wildschwein. Aber sie ist nicht richtig gewürzt, nach meinem Geschmack. Eine Fünf kann ich dieser Wurst nicht geben. Eine Vier, würde ich mal sagen. Ich hoffe auf bessere“: Andreas Reinholz ist Pfarrer in der katholischen Wallfahrtskirche Maria Radna, nur einen Steinwurf vom Ort des Geschehens entfernt - und Mitglied der Jury. Der Mann gilt als guter Pfarrer - und exzellenter Wurstkenner: „Ich suche mehr Geschmack. Also, was ich bisher gekostet habe, muss ich sagen... es gab ein oder zwei, die besser sind, die den Namen Wurst verdienen, aber nicht Spitzenqualität“.

 

Wurstproben und Lebensmittelbezugsscheine

Helen Alba, Banater Schwäbin mit Leib und Seele, ist aus Temeswar zur Worschtkoschtprob angereist. Sie darf ebenfalls als Jurymitglied Noten verteilen. „Eine habe ich, die mir besonders gut geschmeckt hat: Man spürt ein bisschen Knoblauch, ein bisschen Pfeffer, ein bisschen roten Paprika, einen Hauch Muskatnuss, nicht zu wenig und nicht zu viel gesalzen und nicht zu hart geräuchtert“, sagt sie.

Dazu werden Schmalzbrote mit Schnittlauch und roten Zwiebeln drauf gereicht. Und man kann dazu die edlen Weine der uralten Weingegend Minisch-Maderat kosten. Die Gäste gehen von Tisch zu Tisch - es gibt knapp 50 Wurstsorten zu probieren. Schwerstarbeit für den Magen.

Etwas abseits steht BZ-Redaktionsleiter Werner Kremm, blickt zufrieden in die Runde - und erzählt die Geschichte vom Ursprung der „Worschtkoschtprob“ im Westen Rumäniens, die untrennbar mit der Geschichte des Landes verbunden ist: „Aufgekommen ist die 'Worschtkoschtprob', als der kommunistische Staat das `Prinzip der rationellen Ernährung der Bevölkerung´ lanciert hat, indem die Bezugsscheine eingeführt wurden für Grundnahrungsmittel, was eine Fleischversorgungskrise hervorgerufen hat.“

 

Wurstfest als Massenveranstaltung

Fleisch, Würste gar, waren in den Geschäften kaum mehr zu bekommen: Rumäniens Diktator Ceauşescu ließ alle Fleischprodukte ins Ausland exportieren, Devisenbeschaffung, Bartergeschäfte. Doch er hatte die Rechnung ohne die Findigkeit der Redakteure der „Neuen Banater Zeitung“ gemacht. „Der Trick, den sich die Vorgänger ausgedacht haben, bestand darin, in einer noch starken deutschen Bevölkerung trotzdem an die Würste heranzukommen. Und zwar, indem ad hoc ein Wettbewerb der besten Wurstproduzenten ausgerufen wurde, die als Leser in die Redaktion eingeladen wurden. Und während der Wurstverkostung haben sich die Redakteure dann auch mal vollgegessen mit Wurst. Das funktionierte bis 1989“, sagt Werner Kremm.

Dann kam die Wende in Rumänien - und mit ihr auch wieder Würste in die Kaufhausregale. Dennoch beschloss Werner Kremm, seit 1994 Redaktionschef der „Banater Zeitung“: Die Worschtkoschtprob darf nicht sterben. „... aber mit der Bedingung, dass wir sie zu einer öffentlichen Veranstaltung machen. Wir haben die Veranstaltung kurzerhand zu unserem Redaktionsfest erklärt. Das ist sie heute noch“, fügt Werner Kremm hinzu.

Viele Würste und gut eine Stunde Verkostung - es wird Zeit für einen Verdauungsspaziergang: Ein gutes Dutzend Gäste spazieren den kleinen Hügel hoch, auf dem die riesig anmutende, barocke Wallfahrtskirche Maria Radna emporragt.

 

Ununterbrocherner Pilgerzug

Ein Fremdenführer erzählt auf Rumänisch die Geschichte der katholischen Kathedrale, ursprünglich die Kirche eines Franziskanerklosters, die aber immer wieder auch von den anderen Konfessionen genutzt wurde: 1325 errichteten die Franziskaner hier ein Kloster; 1520 wurde eine kleine Kapelle auf dem Hügel errichtet; 1767 schließlich kam es zur Weihe der barocken Wallfahrtskirche. Papst Johannes Paul II. erklärte sie zur päpstlichen Basilica minor.

In den vergangenen zwei Jahren wurde die Wallfahrtskirche umfangreich saniert. Jährlich kommen tausende Pilger aus ganz Europa hierher - und dafür gibt es einen Grund: Der Überlieferung zufolge soll ein auf Papier gedrucktes Marienbild norditalienischen Ursprungs 1695, als die Vorgängerkirche von osmanischen Truppen niedergebrannt wurde, völlig unversehrt geblieben sein. Das Muttergottesbild befindet sich heute noch in der Wallfahrtskirche, barock in Silberschmiedearbeiten einer Wiener Werkstatt gerahmt, als Altar- und Gnadenbild.

„Ich bin jetzt im 90. Lebensjahr, da wollte ich diese Gelegenheit nutzen und nochmals nach Radna zum Wallfahrtsort kommen“, sagt Ignaz Bernhard Fischer. Fischer ist Banater Schwabe aus Temeswar - sein Leben ist zum Teil verbunden mit der Geschichte der Wallfahrtskirche. Schon in seiner Jugend war er bei den Wallfahrern nach Maria Radna mit dabei. Allerdings: „1947, da kamen die Kommunisten, haben das alles abgeschafft, man durfte nicht mehr pilgern.“

In den 50-er Jahren war es Fischer selbst, der nach einer Lockerung der Regeln eine der ersten Wallfahrten von Temeswar nach Maria Radna anführte - über 60 Kilometer zu Fuß. An die Rückkehr erinnert sich der 90-Jährige heute noch, als wär´s gestern gewesen: „Als wir nach Temeswar zurückgekommen sind, war grade Sonntag. Sie können sich nicht vorstellen: Tausende Leute haben am Rande Temeswars auf uns gewartet. Das war eine Demonstration unseres Glaubens. Während der Zeit des Kommunismus“.

„Natürlich haben die Behörden versucht, die Wallfahrten in Grenzen zu halten. Die Wallfahrt zu unterbrechen gelang nie. Mitten im Kommunismus sind 40.000- 50.000 Leute pro Jahr nach Maria Radna gepilgert”, erinnert sich Martin Roos, heute Bischof des römisch-katholischen Bistums Temeswar.

 

Die beste Wurst kam aus Sanktanna

Zwischenzeitlich richtet sich die Aufmerksamkeit der Gäste wieder auf ein weltliches Sujet: Preisverleihung bei der „Worschtkoschtprob“: Es gibt silberne Teller für die Besten. Astrid Weber darf einen mit nach Hause nehmen. Sie vertritt einen winzig kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieb aus dem banatschwäbischen Kleinstädtchen Sanktanna/Sântana, der aber mit seinen Würsten groß herauskommt: Erster Preis. Ihr Geheimrezept: „Liebe, einfach Liebe. Schweinefleisch aus der eigenen Schweinezucht. Ein paar Gewürze dazu. Alles ohne Schadstoffe gehalten, also bio, wie man heute so schön sagt. Das schmeckt man auch in der Wurst drinnen, auch im Fleisch.“

So ist denn die Worschtkoschtprob 2016 im Westen Rumäniens auch schon wieder am Schluss angelangt. Koordinator Werner Kremm von der Banater Zeitung lächelt zufrieden, hält ein Glas Rotwein in der Hand - aber keine Wurst:

„Wir schneiden die Würste auf, am Vorabend. Knochenarbeit und Geruchstortur. Ich schwöre: Wenn man 40-50 verschiedene Würste für 150-200 Personen aufschneidet, Berge von Wurstscheiben, und den Geruch von Rauch, fettem Fleisch und Gewürzen stundenlang einatmet, hat man am nächsten Tag keine Lust mehr auf ein Scheibchen Wurst.“