Äquilibristik mit der Realität

Doppelnummer 2015 der „Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik“ erschienen

Die neuste Ausgabe der „Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik“ (HJS) führt auf dem Titelblatt den Vermerk „Zeitachsen  Äquilibristik und Realität“. Die Publikation, die in Dinklage erscheint und deren Herausgeber Dr. Johann Böhm ist, verfolgt aufmerksam die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Mittel- Ost- und Südosteuropa, interpretiert sie und stellt sie in ihren historischen Kontext. So kommt der Aufarbeitung der Geschichte eine entscheidende Rolle zu, wobei man sich um Objektivität bemüht.

Die HJS ist bekannt geworden, schwierigen Themen, wie der Nazi-Verstrickung gewisser Amtsträger aus den Führungskreisen der ehemaligen Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland oder die Mitarbeit mit der kommunistischen „Securitate“ nicht aus dem Wege zu gehen. Durch eine gründliche und unermüdliche Forschungsarbeit in verschiedenen Archiven (nicht nur aus Deutschland und Rumänien) konnten Dokumente vorgelegt werden, die Licht bringen in Bereichen, wo es von manchen Seiten eher vorgezogen wird, nur oberflächliche oder allgemeine Diskussionen zu führen. Dass es dabei auch zu Enthüllungen kommt, die für viele störend und unangenehm sein können, macht die HJS nicht gerade beliebt, dafür aber umso interessanter. Auf der Webseite www.halbjahresschrift. homepage.t-online.de sind auszugsweise einige der Beiträge zu lesen. Hinzu kommt noch ein interessantes Blog, wo Dokumente und weiterführende Beiträge einzusehen sind. Ein einziges Beispiel dafür: Berichte eines inoffiziellen Securitate-Mitarbeiters und Einflussagenten mit dem Decknamen Victor Dumitrescu aus Kronstadt aus den 60- und 70-er Jahren einschließlich seiner Reisen in die Bundesrepublik Deutschland.

In der aktuellen HJS-Ausgabe deren Redaktion aus Dr. Johann Böhm, William Totok (Berlin) und Dr. Georg Herbstritt (Berlin) besteht, werden zwei umfassende Beiträge der vorherigen Ausgabe fortgesetzt. Der bekannte Bürgerrechtler Gabriel Andreescu schreibt „Über den institutionalisierten Misserfolg der Aufarbeitung. Der Beitrag der Securitate-Akten-Behörde CNSAS und des rumänischen Verfassungsgerichtes.“  Es geht dabei um die Schwierigkeiten und Gefahren der Aufarbeitung und Bewertung von Securitate-Akten, wobei die Gesetzgebung betreffend Definition von inoffiziellen Mitarbeitern in den letzten Jahren eher für Verwirrung und mutwillige Interpretationen sorgte.

Andreescu geht da auf Nuancen ein, deren Einschätzung sehr komplex ist: „Es ist eine Sache für sich, die Securitate-Akten zu deuten. Das Erkennen der sprachlichen Standards der Securitate-Offiziere, die Identifikation des Redestils der Informationsquellen und derjenigen, die sie kontrollierten, die Unterscheidung zwischen Information und Aussagen, das Ritual der Treffen in konspirativen Häusern, der Unterschied zwischen den Kontakten in einem Dienstgebäude und in einem Restaurant, die bloß formale Anerkennung einer Tätigkeit im Vergleich zu einer begründeten Anerkennung, das Akzeptieren von Aufträgen der Securitate-Offiziere versus das unwillentliche Einbezogen werden in ein kompromitierendes Szenario, all das sind Bausteine für Erkenntnisse, auf die man sich stützen kann.“

William Totok ist vertreten mit dem dritten Teil seiner Studie: „Mit tückischer Durchtriebenheit. Durchsetzung der offiziellen Geschichts- und Kulturpolitik im national-kommunistischen Rumänien mit nachrichtendienstlicher Unterstützung.“ Einige aussagekräftige Untertitel lauten: „Adam Müller-Guttenbrunn als völkisches  Kampfinstrument der Securitate“; „Feindbild: Richard Wurmbrand (1909-2001)“; „Legenden, Gefängnisfolklore und Zerrbilder“.

Im Abschnitt „Dokumente“ stellt Klaus Popa „Berichte von Pfarrern der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien aus Transnistrien und aus dem Generalgouvernemt 1942-1944“ vor, ein bisher kaum beachtetes Thema.Dr. Johann Böhm geht ein auf „Die Gleichschaltung der deutschen Presse in Rumänien durch Volksgruppenführer Andreas Schmidt ab September 1940“. Das „Siebenbürgisch-Deutsche Tagesblatt“ und die „Banater Deutsche Zeitung“ fusionierten zur „Südostdeutschen Tageszeitung“ und wurden zu einem Nazi-Blatt. Laut Böhm spielten dabei sechs Männer die entscheidende Rolle: Alfred Hönig, Hans Hartl, Dr. Otto Liess und Dankwart Reissenberger in Siebenbürgen, Josef Gaßner und Robert Reiter im Banat“.

Gleich zwei Beiträge (von Christoph Nehring und Björn Opfer-Klinger  sind den Entwicklungen in Bulgarien gewidmet. Ein weiterer Beitrag behandelt den historischen Kontext der ukrainischen Staatsbildung am Ende des erste Weltkriegs (Karl-Heinz Gräfe). Waldemar Schmidt bietet einen Einblick über die Geschichte der deutschen Minderheit in Kasachstan im 19. und 20. Jahrhundert.

Im Literaturteil der Zeitschrift ist Lyrik zu lesen von Werner Kremm und Johann Lippet. Wolfgang Knopp erinnert an Matthias Claudius anlässlich dessen Todes vor zwei Jahrhunderten.