Auf der Suche nach Authentizität

Diesjährige Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik erschienen

Die vom „Arbeitskreis für Geschichte und Kultur in Ostmittel- und Südosteuropa e.V.“ in Zusammenarbeit mit der Universität Vechta herausgebrachte Halbjahresschrift, deren Herausgeber Dr. Johann Böhm ist, hat in diesem Jahr die Begriffe „Bewältigung, Gedächtnis, Authentizität“ zu ihren Schwerpunkten gewählt.

Es gibt genügend Bereiche und Themen sowohl in der europäischen als auch in der Landesgeschichte die einer „Bewältigung“ oder einer Aufarbeitung bedürfen. Wenn das möglichst fehlerfrei und neutral betrieben werden soll, stützt man sich auf Dokumente, Aussagen von Zeitzeugen, auch auf das kollektive oder individuelle Gedächtnis. Inwieweit selbst dann die Authentizität garantiert ist, bleibt fraglich. Dokumente können in Frage gestellt werden, nicht nur wenn ein Fälschungsverdacht vorliegt sondern auch von anderen Dokumenten. Aussagen bleiben subjektiv, das Gedächtnis kann selektiv sein. Und alles wird von fast allen (nicht nur von Experten) interpretiert.

In der jüngsten Nummer der im AGK-Verlag Dinklage erschienenen und mit Unterstützung des Landrats Vechta gedruckten Halbjahresschrift sind es besonders zwei Beiträge die auf das Interesse vor allem Kronstädter Leser stoßen dürften. Beide sind sie im Literatur-Teil zu finden, bei beiden geht es um den Kronstädter Schriftstellerprozess 1959.

Michaela Nowotnick schreibt unter dem als Zitat gewählten Titel „95 Jahre Haft“ über die „Darstellungsformen und Deutungsmuster der Aufarbeitung“, wie es im Untertitel heißt, dieses politischen Schauprozesses. Sie unterscheidet vier Phasen dieser Aufarbeitung in folgenden Zeitetappen: Die erste die rund 20 Jahre nach Prozessende beginnt; die zweite, die das 1992 in Bukarest abgehaltenen Symposium über den Schriftstellerprozess eröffnet, die dritte Phase die dem Roman „Rote Handschuhe“ (erschienen 2001) von Eginald Schlattner zuzuschreiben ist und eine vierte Phase, ungefähr ab 2005, seitdem durch den freien Zugang zu Securitate-Akten mehr, bisher den Forschern und dem breiteren Publikum unbekannt Gebliebenes aus dem Umfeld des Prozesses zugänglich geworden ist.

Sie gelangt zu folgender Schlussfolgerung, der man gar nichts hinzufügen muss: „Dabei erscheint es umso wichtiger, die neu zur Verfügung stehenden Quellen und Materialien immer wieder kritisch zu hinterfragen. Nicht der Zeitzeugenbericht, nicht die Prosabearbeitung und sicherlich nicht auch die Akten aus den Archiven der Securitate können allein als Wahrheit angesehen werden, sondern müssen überprüft, systematisiert und kontextualisiert werden. Nur so wird eine differenzierte Darstellung des Schriftstellerprozesses möglich sein, die zugleich eine Beschreibung der späten 1950er Jahre in Rumänien ist.“

William Totok ist der Verfasser des Beitrags „Empathie für alle Opfer. Eginald Schlattner, ein Leben in Zeiten diktatorischer Herrschaft“ - ein Beitrag der in diesen Wochen auch in der ADZ-Beilage „Banater Zeitung“ in mehreren Folgen veröffentlicht wird. Dabei soll bewiesen werden, dass Schlattner den Status eines Opfers des damaligen politischen Systems verdient und nicht einfach, wie bisher, oft nur als Hauptzeuge der Anklage eingestuft wird. Gleichzeitig sollen Mängel in der Übersetzung und Wiedergabe der Zeugenaussagen von Hans Bergel ein differenzierteres Bild der damaligen Protokolle liefern.

Die Halbjahresschrift enthält unter anderen auch interessante Beiträge zur Geschichte Albaniens und des Kosovos oder über die komplexen Beziehungen zwischen den kommunistischen Staatssicherheitsdienste Rumäniens und Ungarns. Elena-Irina Macovei analysiert die Art und Weise wie im Internet (Webseite der Tageszeitung „Adevărul“) die Zeitungsleser Themen auswählen und kommentieren.

Im Literaturteil ebenfalls zu lesen: Gedichte von Georg Trakl und von Viorel Mureşan (in der Übersetzung von Rolf-Frieder Marmont) sowie Reiseeindrücke aus Israel von Joachim Wittstock („Nächstes Jahr in Jerusalem. Ein Reisebericht“).