Bilder vom Nebeneinander

Internationales Fotografieprojekt zum Thema „Nachbarschaft“ in Nürnberg

Besucher der Ausstellung „Nachbarschaft“ in Nürnberg

Gemälde in einem Wohnblock-Treppenhaus
Fotos: Alina Andrei

Im Rumänischen gibt es den Begriff „Scară de bloc“. Er bedeutet etwa soviel wie „Treppenhaus“, ist aber eigentlich unübersetzbar. „Scară de bloc“, das ist eine Kombination aus Omelette-Geruch, Volksmusik, Türen-Zuschlagen, Babygeschrei und modriger Dunkelheit. Wer in einem kommunistischen Steichholzschachtel-Wohnblock gewohnt hat, weiss es: früher kannte man fast alle seine Nachbarn. Man besuchte fast jedes Wohnzimmer mit gestickten Tischtüchern und gläsernen Fischen auf dem Fernsehapparat. Man lud seine Nachbarn zum Kaffee ein und plauderte. Man borgte sich Geld voneinander, man half sich, man kannte alle Lebensgeschichten aus dem Treppenhaus. Heute kennt man seine Nachbarn kaum. Trotzdem teilt man den Lebensraum mit ihnen. Was bedeutet jedoch Nachbarschaft heute?

Mit dieser Frage haben sich Fotografinnen und Fotografen aus sieben Ländern beschäftigt. Das Resultat ist eine Gemeinschaftsausstellung zum Thema Nachbarschaft, die bis zum 6 . November in Nürnberg zu sehen ist. In der Fotografie-Ausstellung kann man auch ein paar Bilder bewundern, die in einem Wohnblock aus dem Kronstädter Noua-Viertel aufgenommen wurden. Alina Andrei, die Fotografin, die diese Bilder aufgenommen hat, war als Hermann-Kesten-Stipendiatin zwei Wochen lang in Nürnberg, wo sie auch an der Ausstellungseröffnung am 1. Oktober teilnahm.

Mit dem Hermann-Kesten-Stipendium lud die Stadt Nürnberg Fotografinnen und Fotografen aus Partnerstädten und befreundeten Städten zu einem zweiwöchigen Aufenthalt ein. Die Künstler sollten die Stadt kennenlernen und sich untereinander austauschen. Der thematische Schwerpunkt des Stipendiums lautete in diesem Jahr „Nachbarschaften“. Ganz im Sinne des großen Literaten und Weltbürgers Hermann Kesten (1900-1996), der seine Kindheit und Jugend bis zur Vertreibung durch die Nationalsozialisten in Nürnberg verbrachte und später Ehrenbürger der Stadt wurde.

Durch gemeinsames Erleben und gegenseitigen Austausch entstanden in den Arbeiten der Stipendiaten Eindrücke der Stadt Nürnberg. Die Fotografen brachten auch Fotos mit, die in ihrer Heimat entstanden sind. Aus allen Werken entstand eine Gemeinschaftsausstellung. Das Projekt wurde in diesem Jahr gemeinsam mit der „Fotoszene Nürnberg“ durchgeführt, die das Jahr 2016 dem europäischen Nachbarschaftsgedanken widmet.

„In meinem Wohnblock gibt es vier Stockwerke, 64 Treppen und 20 Wohnungen. Ich habe schon immer hier gewohnt und trotzdem kenne ich noch nicht alle Namen meiner Nachbarn. Was ich kenne sind nur ein paar Teile eines großen Puzzles: Gemälde, die im Treppenhaus hängen, Pflanzen und zwei Hunde, einer im Parterre, einer in der 2. Etage. Ich kenne außerdem ein paar Geschichten über gewesene Nachbarn. Einer von ihnen war im Gefängnis, ein anderer wurde von einem Bus getötet und die in meinem Alter sind schon längst im Ausland oder in einer anderen Stadt“- so steht es in der Beschreibung von Alinas Fotos. Alle Arbeiten sind von einem kurzen Text begleitet. Zum Beispiel gibt es ein Foto vom Heizkörper auf dem Treppenhaus, auf dem die Geschichte eines Nachbarn zu lesen ist, der nach Deutschland ausgewandert ist und dessen Kinder immer Gummibärchen hatten. Es gibt Fotos von Sonnenstrahlen auf der Wand, oder von einem Gemälde, das im Treppenhaus hängt und das die Fotografin etwa 730-mal pro Jahr sieht.

Am Projekt nahmen unter anderen 17 deutsche Fotografen, Mitglieder des Vereins „Fotoszene“ und sechs Stipendiaten aus Großbritannien, Italien, Spanien, Polen, der Ukraine und Rumänien teil. Die Eröffnung fand am Samstag, dem 1. Oktober statt. Zu Beginn gab es einen kurzen offiziellen Teil mit Reden von Bernd Telle, Vorstand der „Fotoszene Nürnberg“, Dr. Anja Prölß-Kammerer, offizielle Vertreterin des Oberbürgermeisters, Harald Link, stellvertretender Vorsitzender des „architekturbild e.V.“ und Silvie Preußer vom Amt für Internationale Beziehungen.Danach konnten sich die Besucher die Fotografien anschauen und mit deren Autoren ins Gespräch kommen. Die vielen Bilder von Nachbarschaften, die in der ganzen Welt entstanden sind, bilden ein höchst interessantes fotografisches Kaleidoskop von Alltagsmomenten. Von künstlerischer und abstrakter über konzeptionelle und journalistische Fotografie bis hin zur Architekturfotografie – alles ist hier zu sehen. Insgesamt 56 Fotografen und Fotografinnen sind mit ihren Fotoarbeiten vertreten. Die Ausstellung kann bis zum 6. November im 1. OG des Rundbaus Bayernstraße 100/ Kongresshalle in Nürnberg besucht werden. Mehr Informationen unter http://fotoszene-nuernberg.de.