Die Begegnungen waren das Wichtigste

Pierre Gaspard im Alleingang auf der E3

Pierre und seine treue Begleiterin Proute
Foto: der Verfasser

Oft, aber nicht immer übernachtete Pierre in seinem Zelt.
Foto: Pierre Gaspard

Rund 3700 Kilometer hat Pierre Gaspard in sechs Monaten zu Fuß zurückgelegt. Seine Reise auf dem europäischen Weitwanderweg E3 begann am 16. Juli des Vorjahres in Schengen, rund 140 km Luftlinie von seinem Heimatort Liege, und endete am 5. Januar an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Der Belgier durchquerte dabei neun Länder: Luxemburg, Deutschland, Tschechien, die Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien, Serbien und Bulgarien. Rund zwei Wochen nach Abschluss dieses Abenteuers war Pierre noch immer nicht zu Hause. Der 31-jährige Globetrotter vermisst zwar seine Familie, seine Freunde und freut sich auf die Rückkehr nach Hause – aber noch kann er nicht zum normalen Alltag und zur Arbeit bei der Firma seines Vaters überwechseln. Alles Erlebte ist noch frisch und muss verarbeitet werden. Das tut Pierre auf seiner Weise: er spricht über seine Wanderung, er zeigt Fotos, die in diesen sechs Monaten entstanden sind, und bereitet eine Ausstellung vor. Es ist auch eine Möglichkeit, all jenen zu danken, die ihm auf seiner Tour nahestanden. Dazu gehört auch der Siebenbürgische Karpatenverein (SKV), die Salvamont-Bergwacht, die vielen Leute, die er treffen konnte, die einige Stunden oder Tage mit ihm verbrachten, ihn zum Essen oder zu einem Bier oder Kaffee einluden, ihm eine Unterkunft boten oder einfach ihn ermunterten, weiterzumachen.

In Kronstadt zeigt Gaspard erstmals eine Auswahl seiner Fotos und erzählt über seine Erfahrungen, vor allem auf der rumänischen Etappe, die von Oradea über das Westgebirge und die Banater Berge bis zur Donau zur Grenze zu Serbien führte. Noch nie hatte er einen Vortrag gehalten, gibt er zu. Was er zu erzählen hat, kommt aber mühelos von seinen Lippen. Nach seinem Auftritt bei der SKV-Veranstaltung, wo es um die Anbindung Rumäniens an die europäischen Fernwanderwege ging, ziehen wir uns in ein Eck der Mansarde des Baiulescu-Hauses zurück, um weitere Details zu erläutern. Dort wartet brav Proute auf sein Herrchen.
 

Das Reisen in seiner ursprünglichsten Form

Denn Pierre war die ganze Zeit nie wirklich allein. Immer an seiner Seite, an heißen Tagen oder bei klirrendem Frost und tiefen Schnee wie in Stara Planina in Bulgarien, war Proute, die elfjährige Hündin. Wie hätte er sich von Proute für ein halbes Jahr trennen sollen, wenn sie praktisch bisher immer zusammen waren? Die Beiden sind voneinander abhängig. Das merkt man schnell. Mit Proute konnte er reden, sie gab ihm die Kraft, nicht aufzugeben, wenn manchmal dunkle Gedanken ihn überwältigten. „Proute öffnete Türen“, sagt ihr Herr. Was ist harmloser als ein einsamer Wanderer, nur mit einem Rücksack und einem kleinen Hund unterwegs in einem fremden Land? Da kommt man leichter ins Gespräch mit Unbekannten, als wenn man in einem dicken Wagen sitzt. Das dachte Pierre und das bestätigte sich. Das sei für ihn echtes Reisen. Die Begegnungen mit Menschen, die Bekanntschaften die sich manchmal zu Freundschaften entwickelten, waren das Kostbarste das er auf seiner Reise entdecken konnte. Solche Menschen seien dann für ihn stellvertretend für die jeweiligen Länder gewesen. Rumänien habe er dabei besonders in sein Herz geschlossen.

Für Gaspard ist es nun wichtig, solche Erfahrungen weiter zu geben und Werbung zu machen gerade für Gegenden und Orte die abseits der bekannten Reisegebiete liegen. Zum Teil ist ihm das bereits gelungen denn seine Fotos und Eintragungen auf seinem Facebook-Konto brachten ihm in kurzer Zeit rund 850 Followers, also Personen die ihn virtuell „begleiteten“. Viele von ihnen sind aus Belgien, die allermeisten kannte er nicht. So ein Echo habe ihn selber überrascht, sehr gefreut und in seinem Unternehmen bestätigt. Nun will Pierre in rund zwei Monaten eine Ausstellung in seiner Heimat zeigen und dazu, wenn Ort und Datum feststehen, seine zahlreichen Freunde einladen.
 

Alle Sorgen erwiesen sich als unbegründet

Nach seiner Reise kann sich der Belgier nur wundern über die vielen Sorgen, die ihn bei der Planung der Tour beschäftigten. Ist der Weg nicht zu lang? Wie komme ich mit fremden Leuten aus? Was mache ich, wenn das Wetter nicht mitspielt? Diese und viele andere Fragen hätten genauso viele Gründe sein können, um auf so ein Wagnis zu verzichten. „Was war eigentlich zu befürchten?“, fragt sich Pierre nachträglich und antwortet einfach: „Nichts“. Heute ist es für ihn eine wahre Genugtuung, diverse Vorurteile in Bezug auf das eine oder andere Land oder auf Zigeuner auf Grund eigener Erfahrung aus der Welt zu schaffen. Deshalb auch sein Ratschlag für jene die sich ähnliche Abenteuer zutrauen. „Nicht wartet zu viel! Besorgt euch eine gute Ausrüstung und zaudert nicht!“

Pierre hatte einen Rucksack samt Zelt und Schlafsack und Wanderstöcke mit. Täglich besorgte er sich drei Liter Wasser und bereitete auf seinem Benzinkocher in der Regel selber sein Essen zu. Vorgenommen hatte er sich ursprünglich ein Tagespensum von 30 km. Das konnte er nicht immer einhalten – mal war das Gelände schwierig, mal verbrachte er den einen oder anderen Tag im Zelt, denn das Wetter hielt ihn fest, so dass die tatsächliche tägliche Weglänge bei rund 20 km lag. Entscheidend für die noch nicht durchgehend markierte rumänische E3-Trasse war der GPS-Track, den der SKV zur Verfügung stellte. Ioan Bodnar von der SKV-Sektion Zărneşti hatte ihm auch mitgeteilt, wo er übernachten konnte, wo er Lebensmittel einkaufen sollte, wo es Quellen gab und andere wichtige Details, die das Leben in einer unbekannten Gegend erleichtern. Marcel Şofariu war derjenige, der ihn auf seiner Anfrage via Datenbank der Europäischen Wandervereinigung Mut zusprach, auch die Rumänien-Etappe zu wagen, obwohl die Weg-Infrastruktur noch nicht offiziell anerkannt ist. Das einzige Bedenken des SKV-Präsidenten stand im Zusammenhang mit den Wetterverhältnissen, denn ab Mitte Oktober konnte man bereits mit einem Wintereinbruch rechnen.

Tatsächlich gab es auch Schnee in den Westkarpaten – aber Pierre besorgte sich Schneeschuhe (ein Salvamont-Mitarbeiter nahm dafür eigens einen langen Weg auf sich, um sie ihm nachzuliefern).
 

Ein Kapitel für sich

Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Aus dem Zelt auf dem Schnee direkt ins feine Hotelzimmer. Aber Pierre hat sich das gegönnt, weil ihn auch seine Freundin dort, an der Schwarzmeerküste, erwartete. Wie das Treffen zustande kam, ist eine Geschichte für sich, die Pierre gern erzählt. Pierre hatte sie unter jenen entdeckt, die seine Reise via Facebook verfolgten. Nun hatte er einen triftigen Grund, auch privat mit ihr zu sprechen und so war er glücklich, dass sie (es war ja auch zum Jahreswechsel) ihn am Ende der Trasse erwarten wollte. Ursprünglich wollte Pierre bis nach Istanbul gelangen, dort ein Fahrrad kaufen samt Anhänger für Proute und weiter reisen Richtung Iran und Asien. Vielleicht wäre es auch zu einer Weltreise über Nordamerika gekommen. Aber da stellte sich Pierre die Frage: Was bringt es, so viele Länder hinter sich zu lassen, weitere tausend Kilometer aneinander zu reihen? Vielleicht wird es auch dazu kommen – aber später.

Vorerst ist ein Kapitel seiner Reisen und, wie Pierre es eingesteht, auch seines Lebens beendet. Es handelte über seine Fußwanderung in Mittel- und Osteuropa – ein Erlebnis, das er nie vergessen wird.