Menschen und Stadtgeschichten

Ein Programm für erweiterten Zugang zu Kultur

Ovidiu Savu, Leiter der Abteilung für Geschichte und Literatur des Casa Mureşenilor Museums bei der Vorstellung der Broschüre „Menschen und Stadtgeschichten“, zusammen mit Teilnehmern am Programm.
Foto: Hans Butmaloiu

Ältere, alleinstehende und kranke Menschen haben meistens einen eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu sozialem Leben und Kultur. Ein Partnerschaftsprojekt der Verwaltung des Nationalen Kulturbestandes (AFCN), des Medizinisch Sozialen Heimes für Lungenkrankheiten in Petersberg und des Casa Mureşenilor – Museums Kronstadt erfasste in diesem Sommer mehrere Gruppen Patienten in ein Programm durch welches sie ihre Fähigkeiten beweisen konnten. Zeichnen, Malen, Basteln oder Schreiben/Erzählen sind Tätigkeiten, durch welche ein seelischer Ausgleich erzielt wird, der für den Heilungsprozess sehr wichtig ist und eben diesen Teil des Programms übernahm das Casa Mureşenilor- Museum, wo vergangene Woche die Ergebnisse vorgestellt wurden.

Einen besonderen Teil nahm das Schreib-Programm ein, durch welches ein Heft entstanden ist. Darin sind zehn Kurzgeschichten erfasst, mit besonderen persönlichen Erinnerungen an Geschehnisse, die sich vor Jahrzehnten zugetragen haben. Die Geschichten sind so wiedergegeben, wie sie in Erinnerung geblieben sind, ohne literarischen Anspruch doch mit viel Selbstironie, selbst wenn es sich um ernstere Begebenheiten handelt. Ovidiu Savu, Leiter der Abteilung Geschichte und Literatur des Museums, beschrieb sie für uns als „Geschichten der Stadtgeschichte, Erinnerungen an zeitlich gar nicht so weit entfernte Begebenheiten welche die Erzähler stark beeindruckt haben“.

Als Gedächtnisstütze wurde ein Stadtplan verwendet, vor dem sich die Gruppe auf viele Punkte in der Stadt beziehen konnte, welche heute ganz anders aussehen als vor fünf oder sechs Jahrzehnten.

Ob es nun der Blumengarten neben dem Reihenhaus im verschwundenen Stadtviertel neben dem alten Bahnhof ist, an den sich ein Erzähler erinnert oder der Abschnitt in der Graft, zu Zeiten als dieser versperrt war, jede Geschichte an sich, ergänzt die Stadtgeschichte wie kleine Mosaiksteinchen und frischt beim Leser eigenen Erinnerungen auf.

Eine Pointe war es z.B. den neu Zugewanderten die Stiefel zweier Denkmäler der Stadt zu verkaufen: der Unbekannte Soldat am Angerplatz und der im Stadtpark mussten dafür herhalten. „Viele Male habe ich die Stiefel verkauft, an Neuankömmlinge im Werk, die Schuhwerk suchten in Zeiten als Knappheit herrschte. Das Opfer gab einen Kasten Bier aus oder mehrere Flaschen Wein, den Geheimtipp zu bekommen, wo man in Kronstadt festes Schuhwerk bekommt. Am Ende wurde der Hereingelegte dann vor das Denkmal geführt und man sagte ihm: Schau, da sind deine Stiefel!“ Diese Geschichte war in allen Industriewerken der Stadt bekannt, und bis in die 80er Jahre zeigten einem die Kollegen auch noch die Opfer des Streiches.

Eine andere Geschichte ist die des Brandes des Hirscherhauses, bevor es zum „Karpatenhirsch“ umgebaut wurde, in einer Zeit als es irgendwo im hinteren Bereich noch eine Kantine gab „Von wo das Feuer irgendwann vor 1960, auf die „Halle“ über gesprungen ist.“

Die Obere Vorstadt mit den Eigenheiten seiner Bewohner kommt ebenso zur Geltung wie das verschlafene Leben an Rande der Altstadt, bevor die neuen Plattenbauten entstanden, welche im Bereich der Lebensgeschichten liegen. All diese Anekdoten  ergeben ein Gesamtbild der Jugendzeit der Erzähler, Stadtgeschichten die zur Geschichte der Stadt gehören.