Sicherungsarbeiten an dem Chor der Schwarzen Kirche in den Jahren 1924 – 1925 (I)

Wie alle vergleichsweise großen Kirchenbauten, sind auch an der Schwarzen Kirche ständig Reparaturen durchzuführen. Selbst nach dem Abschluss der großen Restaurierung im Jahre 1999 gibt es auch heute noch Arbeiten, vor allem im Bereich der Dächer.

So ist es vielleicht nicht ohne Interesse, wenn wir über eine, nun bald hundert Jahre zurückliegende Instandehaltungsarbeit berichten, deren sichtbares Resultat das „Kettenpolygon“ im Chor der Kirche ist. Zwar hat es durch die Einfassung der Chormauern und Pfeiler mit einem Gürtel aus Stahlbeton seine Funktion verloren, aber es wurde als Denkmal einer sehr guten Ingenieurleistung weiter im Chor belassen und nicht zu Unrecht. Es beeindruckt auch heute durch die Eleganz seiner Ausführung und es hat seine Wirksamkeit bewiesen, denn zwei schwere Erdbeben, 1940 und 1977 hat der Chor ohne Schäden überstanden. In alten Bildern des Innern der Schwarzen Kirche sind die massiven Balken zu sehen, die ursprünglich den Bau sichern sollten, dieser Aufgabe aber nur wenig entsprachen und den Innenraum des Chores verunstalteten.

Nun etwas zu der Geschichte dieses Kettenpolygons, wie wir sie in dem „27. Bericht der evangelischen Stadtpfarrgemeinde A.B. In Kronstadt über die Jahre 1916 – 1930“ finden:   

„In den Jahren 1912, 1913 und 1914 wurden von dem ungarischen Denkmalamt Renovierungsarbeiten am Chor der Schwarzen Kirche vorgenommen. Dabei wurden stark verwitterte Steine am Fuße der Chorwände ausgetauscht. Durch diese, wohl nicht sachverständig durchgeführten Arbeiten war die Statik des Chores stark gefährdet. Diese Arbeiten wurden durch den ersten Weltkrieg unterbrochen.
Als 1924 der bisherige Leiter der Arbeiten, Architekt Oskar Fritz und Presbyter Albert Schuller den Chor untersuchten, stellten sie viele, sich weiter verbreitende Risse fest, was die Gemeindevertretung bewog, sofort Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen, die in dem Bericht des Architekten Schuller an die Gemeindevertretung beschrieben werden.

Im folgenden bringen wir diesen Bericht auszugsweise:
„Löbliche Gemeindevertretung, in der Sitzung am 3. Nov. 1925 haben Sie die Durchführung der Sicherungsarbeiten am Chor der Schwarzen Kirche beschlossen und hiefür eine Million Lei bewilligt. Ich erlaube mir, über die inzwischen erfolgten Arbeiten Bericht zu erstatten:

Durch verschiedene genaue Messungen und eingehende Beobachtungen bin ich heute in der Lage Ihnen über den vorgefundenen Zustand und die Ursachen der Schäden ein klares Bild geben zu können. Den Bericht glieder ich in vier Teile:
1. Der vorgefundene Zustand am Chordach und die durchgeführte Sicherung.
2. Der Zustand der Chorgewölbe und der Chorumfassungsmauern und die durchgeführte Sicherung.
3. Die Zeit der Durchführung, die beteiligten Unternehmen und die Baukosten.
4. Noch bevorstehende Arbeiten und Schlussfolgerungen.  
Das Chordach, im Jahr 1689 nach dem großen Brande erbaut, besteht bekanntlich aus den beiden, nach Süd und Nord geneigten Satteldach- Längsseiten und dem gegen Osten gelegenen pyramidalen Abschlussteil, der von sieben Seiten eines vollständigen Sechszehneckes gebildet wird. Die Sparren der gegen Süd und Nord gerichteten Dachflächen liegen paarweise einander gegenüber und an ihrem Fußpunkt greifen sie in den gemeinsamen Bundbalken ein. Sie können sich leicht vorstellen, dass die in schiefer Lage gelegenen Sparren an dem Fußpunkt eine schiebende Kraft ausüben, wo sie durch den gemeinsamen waagerecht liegenden Bundbalken zusammen gehalten werden;  diese Bundbalken heben also die schiebende Sparrenkraft auf, so dass das Dach auf den Längsseiten des Chores nur lotrecht gerichtete Kräfte überträgt, ganz anders sind aber die Verhältnisse am siebenseitigen Abschlussteil des Chordaches.

Der letzte von Süd nach Nord quer durch das Chor durchgehende Bundbalken liegt an der Stelle, wo die halbe Pyramide des Chorschlussdaches beginnt, er liegt also ungefähr im Mittelpunkt des Grundrisspolygons. In diesem Punkt laufen Bundbalken des halben Pyramidendaches strahlenförmig hinein und sind hier mit dem durchgehenden Bundbalken durch Klammern fest verbunden. Aus dem Wesen der halben Pyramide geht hervor, dass hier die Sparren kein Gegenüber haben, weshalb der am Fußpunkt dieser Sparren wirkende Schub durch die strahlenförmig liegenden Bundbalken auf den quer durchgehenden Bundbalken übertragen wird. Dieser Bundbalken musste aber bei seiner großen Länge von 16 m elastisch nachgeben, sich seitlich ausbiegen, wodurch dann der polygonale Dachstuhlteil dort, wo er auf den Umfassungsmauern aufsitzt, zum Teil selbst in Bewegung kam, zum Teil die Mauern nach außen drückte.

Der Schreck über die Bewegung des Dachstuhles und die damit verbundene Gefährdung der Umfassungsmauern muss seiner Zeit sehr groß gewesen sein, denn das unterhalb der Bundbalkenlage über dem Gewölbe angebrachte Schließensystem, das sämtliche Bundbalken mit dem obersten Teil der Umfassungsmauern verband, ist so übermäßig stark ausgeführt und außerdem so wenig zweckentsprechend angelegt, dass dafür nur die Hals über Kopf gemachte Durchführung eine Erklärung geben kann. Die Folge dieser verfehlten Maßnahme war, dass jetzt nicht nur der eine, sondern sämtliche Bundbalken seitlich in Richtung nach Osten ausgebogen und auch die in die Bundbalken eingebundenen Dachstuhlmittelsäulen mitgerissen wurden. Die seitliche Ausbiegung des mehrfach genannten, im Polygonmittelpunkte liegenden Bundbalken beträgt 12 Zentimeter. Die dort damit fest verbundene, bis zum First herauf reichende Säule ist aber um das große Maß von 30 Zentimeter  verbogen. Dass die Säule nicht nur so viel wie der Bundbalken, also 12 Zentimeter, verbogen wurde, erklärt sich daraus, dass nach der Natur der ganzen Konstruktion der Dachstuhl in der Traufenhöhe nach außen schiebt, in seinen höheren Teilen aber nach dem Gesetz der Gegenwirkung denselben Schub nach innen, von Ost nach West richtet und sich so die verbiegende Wirkung addiert. So wie diese Säule, sind auch die in Richtung nach Westen aufeinander folgenden Firstsäulen je um 20, 16 und 24 Zentimeter verbogen. 
 
Der Fehler des alten Schließensystems liegt also nach dem Gesagten darin. Dass die Umfassungsmauern an die elastisch nachgiebigen Bundbalken angekettet wurden und dass der Dachstuhl nicht schon in sich selbst so verankert wurde, dass ein Schub auf die untern Mauern ausgeschlossen ist. Die neue durchgeführte Verankerung ergab sich aus folgenden Überlegungen: Die ganze Last des Dachstuhles ruht auf den Umfassungsmauern, wo ein eichenes Schwellenpaar die Unterlage bildet. Diese Schwellen haben bei 11 m Länge an der Längsseite des Chores  nur einen einzigen Stoß. Denkt man sich an dieser Stoßstelle die Schwellen durch Eisenschienen fest verbunden, so ist klar, dass wenn dieses Schwellenpaar durch eine nach ihrer Längsrichtung gehenden Kraft gepackt wird, die bedeutende Last des ganzen Dachstuhles einer Verschiebung unbedingt Widerstand leistet. Der strahlenförmige auseinander strebende pyramidale Dachstuhlteil des Chores konnte also nur an dieses Schwellenpaar sicher und unverrückbar angebunden werden. Es ist dies in der Weise geschehen, dass ein polygonaler Linienzug von Rundeisen mit Spannschlössern jeden einzelnen radialen Bundbalken packt und in seiner Lage festhält. Über die Wirkungsweise dieser Konstruktion bekommen Sie vielleicht ein anschauliches Bild, wenn Sie sich statt der Eisenstäbe ein Seil an den eichenen Längsschwellen des Chores befestigt denken und die schiebenden Kräfte des Dachstuhles durch Rosskräfte ersetzen. Wenn jedes Ross mit der Schubkraft des Dachstuhlteiles in radialer Richtung anzieht, dann wird dieses Sechsergespann das Seil in einer Form anspannen, die mit der Form des Eisenpolygones übereinstimmt. Eine Bewegung kann aber nur dann eintreten, wenn das Gewicht des ganzen, auf den eichenen Schwellen lagernden Chordachstuhles mitgerissen würde, was ausgeschlossen ist. Der Anteil, den der unglücklich konstruirte pyramidale Dachstuhlteil des Chores an dem bedenklichen Zustand  der Umfassungsmauern und Gewölbe hatte, war nicht unbedeutend. Durch die ausgeführte Verankerung sind diese üblen Wirkungen vollständig und dauernd ausgeschaltet.

Die früher erwähnten, für den Dachstuhl schädlichen und jetzt überflüssig gewordenen  Schließen haben wir entfernt.

Über den vorgefundenen Zustand der Chormauern- und Gewölbe ist folgendes zu berichten. Es ist bekannt, dass die Sicherungsarbeiten durch die Risse an den Chorgewölben und die starke Außenneigung  der Strebepfeiler veranlasst wurden... Die Ablotungen haben nun das bemerkenswerte Resultat ergeben, dass die Strebepfeiler an der Längsseite des Chores nicht nach außen, sondern nach innen geneigt sind. Eine Ausnahme macht nur die Stelle Nr. 16, wo der Strebepfeiler fehlt und die Mauer daher begreiflicher Weise nach außen geneigt ist und zwar 17 Zentimeter. Bei den Strebepfeilern Nr. 3 und Nr. 14 ist die Neigung nach innen je 16 Zentimeter, bei Nr. 5 und Nr. 12 ist sie je 5 Zentimeter. Strebepfeiler  Nr. 1 zeigt keine Abweichung vom Lot. Aus diesen Messungen geht hervor, dass die Längsmauern des Chores schon ursprünglich mit einer kleinen Neigung nach innen aufgebaut waren und dass sie aus dieser Lage nur verhältnismäßig wenig heraus gedrückt wurden. Dagegen sind die am Chorabschluss liegenden radialen Strebepfeiler Nr. 6, 7, 8, 9, 10 und 11 nach außen 14, 24, 29, 46, 24 und 22 Zentimeter geneigt. Sie sehen, dass insbesonders Pfeiler Nr. 9 mit 46 Zentimeter Außenneigung ganz außerordentlich gefährdet erscheint und überhaupt lässt sich feststellen, dass der polygonale Abschlussteil des Chores den schwachen Punkt des Chorbaues darstellt.

(Fortsetzung folgt)