„Unsere Vorfahren haben immer ihre Pflicht erfüllt“

Festvortrag zum Bartholomäusfest am 26.08.2018 (I)

Festredner Dr. Horst Müller, zweiter Vorsitzender der „Heimatgemeinschaft der Kronstädter“.

Liebe Festbesucher,
hochwürdigste Exzellenz
Bischof Guib,
sehr geehrte Honoratioren,

es ist für mich eine besondere Ehre, heute hier den Festvortrag halten zu dürfen.
In den vergangenen Jahren hatten die Festansprachen einen thematischen Schwerpunkt, der durch das Wiederauffinden des „Neuen Kelchs“ bestimmt war. Also betrachtete der Festredner auch intensiv die Ereignisse, die rund 100 Jahre früher zum Verlust des Kirchenschatzes geführt hatten.
Diese Tradition des Rückblicks auf die Ereignisse vor 100 Jahren möchte ich beibehalten und Kurator Dr. Albrecht Klein sowie Archivar Thomas [indilariu haben mir dankenswerterweise Material für die Vorbereitung zur Verfügung gestellt.
Vorher möchte ich aber versuchen, noch zwei andere Fragen zu beantworten, nämlich
1.  Wieso darf ausgerechnet ich, ein ausgewanderter früherer Bewohner der Oberen Vorstadt, den Festvortrag zum Bartholomäusfest halten? und
2.  Wie können wir als evangelische Christen das Patronatsfest des wohl vorwiegend katholischen  Heiligen Bartholomäus einordnen?
Daran anschließend sei mir der Rückblick auf die Ereignisse im frühen 20. Jahrhundert gestattet.

Meine Berechtigung und Motivation als Festredner
Dass die Bewohner der Oberen Vorstadt und die Bartholomäer sich gegenseitig als „Tiroler“ bzw. „Mexikaner“ bezeichneten, ist hinläng-lich bekannt. Ob ich der erste Tiroler bin, der den Festvortrag in Mexiko halten darf, wäre zu prüfen. Allerdings stelle ich die Behauptung auf, dass ich auch ein wenig Mexikaner bin und traue mir zu, diese Behauptung zu beweisen.
Als meine Eltern in den späten 1930er Jahren heirateten, nahmen sie ihre erste gemeinsame Wohnung in der Langgasse Nr. 142, sie gehörten also zur Gemeinde Bartholomä. Meine Mutter war übrigens am 24. August, also am Bartholomäustag, geboren.
Meine beiden 1940 bzw. 1942 hier geborenen Schwestern wurden in dieser Bartholomäer Kirche an diesem schönen Taufbecken getauft.
Ich selbst bin nach dem 2. Weltkrieg und der Deportation und Rückkehr der Eltern aus dem Donbass in der Oberen Vorstadt geboren und aufgewachsen. Ob Nachkriegsgeneration und Nesthäkchen ein Privileg, eine Last oder eine Herausforderung ist, kann man trefflich diskutieren, das ist aber hier unwichtig.
Viel bedeutender stufe ich die Tatsache ein, dass ich zahlreiche Bartholomäer in der Honterusschule und im Schaguna-Lyzeum zu meinen Schulfreunden zählen durfte und mit manch einem von denen auch heute noch in Verbindung stehe.
Erwähnt sei noch, dass ich seit vier Jahren stellvertretender oder 2. Vorsitzender der Heimatgemeinschaft der Kronstädter bin, die wenige Jahre vorher aus dem Zusammenschluss der HOG (Heimatortsgemeinschaft) Bartholomä mit der HOG Kronstadt entstanden war.
Aus all dem ziehe ich die Schlussfolgerung, dass ich mich auch ein wenig als Teil der großen und starken Gemeinschaft der Bartholomäer bezeichnen darf. Ich gehe sogar so weit, ein bekanntes Zitat von John F. Kennedy leicht abzuwandeln, indem ich sage: Jeder Kronstädter sollte stolz darauf sein, wenn er von sich sagen kann „Ich bin auch ein wenig Bartholomäer!“

Patronatsfest in einer                         evangelischen Kirche
Damit leite ich über zu der zweiten angekündigten Frage nach der Einordnung dieses Patronatsfestes. Der Heilige Bartholomäus taucht in jeder Liste der 12 Apostel Christi auf. In der Wikipedia finden wir folgende Informationen: Die Bibelwissenschaft sieht in Nathanael und Bartholomäus die gleiche Person. Jesus Christus bezeichnet ihn als „Mann ohne Falschheit“ (Joh1,47 EÜ) Einige Überlieferungen sehen in ihm auch den Bräutigam der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11 EÜ). Erst nach der Berufung zum Apostel wurde er Bartholomäus (Mt 10,3 EÜ) genannt. Er predigte der Überlieferung nach in Persien, möglicherweise auch in Indien, wo er eine hebräische Abschrift des Mathäus-Evangeliums hinterlassen haben soll. Teils wird ihm auch die Verbreitung des Evangeliums in Ägypten und Armenien zugeschrieben.
Den Märtyrertod starb er 71 n. Chr. vermutlich in der Stadt Albanopolis in Albanien.
Sein Tod wurde der Überlieferung  nach herbeigeführt, indem ihm die Haut abgezogen wurde. Sein ikonographisches Heiligenattribut ist daher das dabei verwendete Schindermesser. In der katholischen und orthodoxen Kirche wird er als Heiliger und Märtyrer verehrt. Seine Reliquien werden an zahlreichen Orten verehrt, unter anderem auch im Kaiserdom St. Bartholomäus in Frankfurt am Main. Als einstige Wahl- und Krönungskirche der römisch-deutschen Kaiser ist der Dom eines der bedeutenden Bauwerke der Reichsgeschichte und galt vor allem im 19. Jahrhundert als Symbol nationaler Einheit.
In mindestens 14 Ländern der Welt tragen zahlreiche Kirchen den Namen des Heiligen Bartholomäus, darunter zwei im Großherzogtum Luxemburg, vier im französischen Elsass und eine ganze Reihe von Kirchen im Trierer Umfeld und der südlichen Eifel, also alle im moselfränkischen Raum gelegen. Ob das irgendwie mit der Herkunft jener Vorfahren zusammenhängt, die vor vielleicht 800 Jahren diese Gemeinde gegründet haben, wäre noch zu erforschen, verliert sich auch vielleicht im Nebel der Geschichte.
Besonders wichtig finde ich aber die Tatsache, dass diese durchaus einmalige kleine Gemeinde Bartholomä nicht allein dasteht, sondern zu einer großen, man möchte sagen weltumspannenden, Gemeinschaft gehört.
Nachdem ich nun schon zweimal das Wort Gemeinschaft besonders betont habe, will ich im Folgenden die Entwicklung der Gemeinde Bartholomä vor rund 100 Jahren betrachten.

Bartholomä am Ende und                kurz nach dem 1. Weltkrieg
Neben den bekannten Werken, die sich mit dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Übergang Siebenbürgens aus der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie in das damals noch recht junge Königreich Rumänien beschäftigen, standen mir Kopien von Unterlagen aus dem Archiv der Gemeinde sowie vom Tagebuch des damaligen Pfarrers, Dr. Eugen Lassel, zur Verfügung.
Was geschah in Europa, in Österreich-Ungarn oder Rumänien, in Kronstadt und in Bartholomä zu jener Zeit vor rund 100 Jahren?
Wahrscheinlich hat der 1. Weltkrieg die Agonie der unzeitgemäßen österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie beschleunigt und die über viele Jahrzehnte ungelöste Nationalitätenfrage sowie die von manch einem Angehörigen der jeweiligen Elite geschürten nationalistischen Tendenzen einer gewaltsamen, mit schwerem Blutzoll bezahlten, Lösung zugeführt.
Unsere Siebenbürger Sachsen waren daran kaum gestaltend, sondern überwiegend erleidend  beteiligt. Von den österreichischen Habsburgern enttäuscht und noch mehr von der ungarischen Regierung nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 zutiefst verunsichert, haben unsere Vorfahren in dem Krieg gewiss ihre Pflicht erfüllt, z.B. in den Isonzo-Schlachten, in den Karnischen Alpen und in den Dolomiten. Der 2018er Kalender der HOG-Regionalgruppe Burzenland zeigt Gedenktafeln und Denkmäler für die Gefallenen des 1. Weltkriegs – allein aus dieser Gemeinde Bartholomä waren es 38, deren Namen wir an der Tafel im südlichen Querschiff sehen.
Dass durch den Einsatz der Soldaten an den Fronten des 1. Weltkriegs daheim Vieles unerledigt liegenblieb, Mangel an Arbeitskräften, Zugtieren und Rohstoffen herrschte, Preissteigerungen zu verkraften waren, Kriegsanleihen vehement eingefordert wurden – das alles war gewiss nicht leicht. Zwei Glocken dieser Bartholomäer Kirche wurden abtransportiert und vermutlich zu Kanonen umgeschmolzen. Und dann die überstürzte Flucht Ende August 1916, in deren Folge nicht nur der Verlust der Abendmahlsgeräte zu beklagen war. Die schweren Kämpfe im unmittelbaren Umfeld der Kirche am 7. und 8. Oktober 1916, die Zweckentfremdung des Kirchenraums als Verbandsplatz, Plünderungen und Verwüstungen im Pfarrhaus, aber auch in der Nachbarschaft waren weitere Folgen, die von den kurzzeitig Geflüchteten und dann wieder Heimgekehrten zu stemmen waren. Dass man sich von solcherlei Problemen nicht entmutigen ließ, sondern mit Elan und aktiver nachbarschaftlicher Hilfe daran ging, die vorherige Ordnung bestmöglich wieder herzustellen, ist den Beteiligten hoch anzurechnen.
Dass in Russland das Zarentum abgeschafft wurde und sich in den darauf folgenden Bürgerkriegen die wohl am rücksichtslosesten agierende Gruppierung, nämlich die Kommunisten, durchgesetzt haben, nahm man als Beobachter aus der Ferne wahr, konnte sich aber noch keineswegs die Folgen ausmalen, die als Ergebnis daraus auf spätere Generationen zukommen sollten. Man war schlicht und einfach durch die Probleme im eigenen engeren Umfeld bereits zu sehr in Anspruch genommen.
Im Spätherbst des Jahres 1918 überstürzten sich die Ereignisse. Die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn waren an fast allen Fronten in der Defensive, obwohl man durch den Wegfall der Ostfront gegen Russland kurzzeitig eine gewisse Entlastung erfahren hatte. Das vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker führte dazu, dass in vielen Gebieten der Habsburger Monarchie die Separatisten die Oberhand gewannen und mehrere neue Nationalstaaten entstanden.
Seitens der sächsischen Führung stand man damals vor der Wahl zwischen Skylla und Charybdis, ohne wirklich aktiv agieren zu können. Auf der einen Seite war man in Ungarn bestrebt, sich von Habsburg zu lösen und einen eigenen ungarischen Nationalstaat zu gründen. Aus sächsischer Sicht war man durch die Entwicklung seit 1867 geprägt und konnte von einer solchen Lösung für Siebenbürgen nicht viel Gutes erwarten.
Auf der anderen Seite stand die von den Rumänen vehement geforderte und von der Entente unterstützte Angliederung Siebenbürgens an das Königreich Rumänien – eine radikale Veränderung mit zahlreichen Unbekannten, der man naturgemäß ebenfalls sehr skeptisch gegenüberstand. Als wirtschaftlich durchaus beachtenswerte, jedoch zahlenmäßig überschaubare und politisch eher schwach vertretene Minderheit waren die Siebenbürger Sachsen nur sehr bedingt in der Lage, die weitere Entwicklung in ihrem Sinne positiv zu beeinflussen.
Diese weitere Entwicklung war zunächst der am 1. Dezember 1918 von Vertretern der rumänischen Mehrheitsbevölkerung in Karlsburg / Alba Iulia beschlossene Anschluss Siebenbürgens an das rumänische Königreich. Geprägt durch die Magyarisierungspolitik der letzten Jahrzehnte hatten die in Karlsburg tagenden Rumänen weitgehende Autonomierechte für die in Siebenbürgen mitwohnenden Minderheiten vorgesehen und versprochen. Diese durchaus begrüßenswerten Absichten wurden allerdings später durch das Unverständnis der in Bukarest dominierenden, stark nationalistisch geprägten Politikerschicht weitgehend ignoriert oder gar bewusst in ihr Gegenteil verkehrt.
Doch zunächst bemühte man sich rumänischerseits darum, die Führung der Siebenbürger Sachsen dazu zu bewegen, dem Anschluss zuzustimmen. Denn man wollte gegenüber den Siegermächten in der Lage sein, nachzuweisen, dass der Wille der Bevölkerung durchaus berücksichtigt, also das Selbstbestimmungsrecht ausgeübt wurde. Daher wurde am 8. Januar 1919 in Mediasch eine siebenbürgisch-sächsische Nationalversammlung einberufen, wo unter sehr direkter Bezugnahme auf die im Rahmen der Karlsburger Beschlüsse versprochenen Minderheitenrechte das Einverständnis zum Anschluss Siebenbürgens an Rumänien erklärt wurde.
Bei jener Nationalversammlung in Mediasch war auch der Bartholomäer Pfarrer Dr. Eugen Lassel beteiligt. Sein diesbezüglicher Tagebucheintrag klingt ziemlich lapidar: am 8. Januar (1919) nahm ich an der sächsischen Nationalversammlung in Mediasch teil, die den Anschluss an Rumänien beschließt. Diese Kargheit mag einerseits daran liegen, dass ihm zum damaligen Zeitpunkt die Tragweite dieser Beschlüsse zwar bewusst, ihre spätere Umsetzung und Auswirkungen aber noch gänzlich unbekannt waren. Die Kürze dieses Eintrags mag aber auch daran liegen, dass er berufsbedingt in seinem Tagebuch schwerpunktmäßig kirchliche / religiöse Handlungen beschreibt und politische Ereignisse, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Immerhin berichtet er am 12. Januar den Gemeindevätern über die politische Lage.
Überhaupt musste man sich zur damaligen Zeit in der Gemeinde Bartholomä weniger mit der großen Politik als vielmehr mit drängenden praktischen Fragen mit stark lokalem Bezug auseinandersetzen.
             (Schluss folgt)