Wie viele Stadtviertel hat Kronstadt heute? (II)

Der Wandel von Quartalen zu Stadtteilen Kronstadts im Zeitraffer

Eine Aufnahme aus den Zwischenkriegsjahren von der Rückseite des Schneckenbergs aus. Im Vordergrund die Reihenhäuser entlang des Bergfußes und gleich dahinter die Staub spuckende Zementfabrik. Dahinter sieht man die ersten Wohnblocks des Viertels, heute Einfahrt zum Burggrund-Viertel (Ragado).
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Stadtplan von 1963, entnommen aus einem Reiseführer der Stadt. Gut sichtbar ist die geräumte Trasse der Eisenbahn, welche heute den Griviţei-Boulevard bildet, den angelegten Gării-Boulevard, ohne Bauten an der Ecke Făget und die noch fehlenden Durchbrüche der Victoriei- und Vlahuţă-Boulevards. Im heutigen Astra-Viertel zeichnen sich gut die quer angelegten alten Wohnblocks ab.
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Kronstadt ist während des Ersten Weltkrieges von beiden kriegsführenden Lagern eingenommen (kampflos durch die rumänische Armee, nach schweren Infanteriesturm durch die österreich-ungarische Armee) worden und zuletzt dem Rumänischen Königreich durch den Friedensvertrag von Versailles zusammen mit ganz Siebenbürgen und dem Banat einverleibt. Doch Artilleriebeschuss der Zerstörungen hinterlassen hätte, oder eine massive Bevölkerungsflucht hat es nicht gegeben. Im Gegenteil, während der Kriegsjahre gab es sogar Erweiterungen im Eisenbahnwesen, hervorgerufen durch die benötigten größeren Transportkapazitäten.

So kam es z.B. dazu, dass in den Schiel-Werkstätten Lokomotivenkessel zuerst repariert, später auch vollständig gebaut wurden. Das hatte wiederum zur Folge, die Erweiterung des Wohnviertels zwischen der rechten Seite der Petersberger Straße und dem Bahnhof (Bild 1), ebenso wie erste  Querstraßen zwischen der Verlängerung der Bahnstraße und der sich bildenden Bukarester Straße, etwa bis zu der Abzweigung nach Zajzon. Zwar taucht gelegentlich in Reiseführern die schön korrekt dreisprachig sind auch die deutsche Bezeichnung Zuisendorf für Zizin auf, doch bekannt ist diese den meisten Kronstädtern nicht.  

Gegenüber dieser Gabelung, an der der Stadt abgewandten Seite des Schneckenbergs begann sich eines der großen Arbeiterviertel in Richtung Noua zu entwickeln, obwohl es schon damals, bei relativ geringer Leistung, dem Staub der Zementfabrik ausgesetzt war. Als Mittellinie, zwischen Zajzoner Straße und Schneckenberg verlief geradlinig bis nach Dirste die Bukarester Straße. Der Bereich zwischen dieser und der Zajsoner Straße wurde auch zu einem neuen Reihenhausviertel, von dem heute einige wenige Straßenzüge überlebt haben und zwar von dem Kreisspital bis hinter die Hochbauten des Marktes im Astra-Viertel, auf der linken Seite, Richtung Stadtausfahrt.

Diese Straßenzüge links u. rechts der aus den 20er Jahren übrig gebliebenen Traian Straße wurde von Zuwanderern der Zwischenkriegsjahre erbaut und bewohnt, mehrheitlich in den Waggonwerken Astra (gemischtes Konsortium in dem auch die Bukarester Industriellendynastie Malaxa mitspielte, spätere Steagul Roşu/Roman) und den Metallwerken Farola beschäftigt. Getrennt, weit vorgelagert, ebenfalls auf der linken Seite der Bukarester Straße, jedoch schon nahe an den Astra Werken, entstand der Kern des heutigen Plattenbauviertels, die „alten Blocks“ von „Steagul Roşu“ wie sie heute noch genannt werden, ganz anders als die späteren Straßenzüge ausgerichtet und um einen künstlichen See gruppiert.     

Keines der beschriebenen Viertel hatte jedoch in den Zwischenkriegsjahren einen Eigennamen; sie wurden anhand ihrer Nähe zu den Fabriken oder Werken bezeichnet, oder, wie der sich bildende Ausläufer in das Ragado-Tal „beim Iepure“ nach einem Eigennamen.

In Fortsetzung, auf der anderen Seite der Zajzoner-Straße, im Rücken der schon wachsenden Ölraffinerie, der Teutsch-Fabrik und mehrere Holzwerke, wuchs schnell ein anderes Arbeiterviertel, bis zu dem Bahngleis in Richtung Bukarest in dem sich viele Eisenbahner ansiedelten. Grund war auch die Nähe zum Bahnhof und den ersten in den Zwischenkriegsjahren gegründeten Reparaturwerkstätten für Waggons und Eisenbahnloks.     
  Von Eisenbahnern und Angestellten der wachsenden Flugzeugfabrik bewohnt war das sich erweiternde Viertel um den Mittwochmarkt, in dem die Hauptstraßen schon bis hinter den Hauptbahnhof reichten.  

Doch am stärksten sollte sich der Stadtteil entwickeln, der zwischen der Petersberger Straße und der Fabrikstraße liegt und durch den einst quer die Eisenbahnstrecken verliefen zu dem alten Bahnhof, den Seewaldt Mühlen und über eine andere Kreuzung, (nahe des heutigen Aurel Vlaicu und Petersberger Straße Kreisverkehrs) zu den Reparaturwerkstätten. Heute gehört dieser Teil zu Kreiter/Craiter.

Zwischen Aurel Vlaicu und Independenţei (ursprünglich eine Verlängerung der Werkstraße zur Flugzeugfabrik) entstanden so manche Zweithäuser von Bewohnern der Inneren Stadt, die hier ursprünglich große Parzellen Boden hatten, den sie manchmal auch nur zum Spaß bebauten.

In diesem Entwicklungsstadium kam der Zweite Weltkrieg der einen starken Ausbau der Öl- und Gummiverarbeitung, des Flugzeugbaues und des Umstiegs auf Waffenproduktion mit sich brachte. Die Luftangriffe 1944 trafen zwar die Flugzeug- und die Waggon- u. Kanonenwerke Astra schwer, ebenso auch die Ölraffinerie, doch gegenüber z.B. Ploieşti, kam Kronstadt noch knapp davon.

Der Umbruch nach dem Zweiten Weltkrieg und die Enteignungen von Groß- und Kleinunternehmen, aber auch von Wohnungen bremsten erstmals die Stadtentwicklung für einige Jahre, sie sollte langsam, erst nach 1955, wieder in Gang kommen.     

Was zeitgleich mit dem Kriegsende einsetzte, war eine Zuwanderungswelle und zwar nicht wie bis dahin, hauptsächlich aus den umliegenden Ortschaften, sondern aus der Moldau und der Region, deren Bezeichnung uns die ganze Kindheit und Jugend begleitete: „dem Altreich“. Damit begann die Wohnungsnot, die bis Mitte der 80er mit wechselnder Intensität halten sollte. Doch erstmals wurden Baulücken geschlossen, mit hässlichen „russischen Blocks“: Bukarester Straße, Traktoren-Viertel im Bereich des Marktes, zwischen Hintergasse u. Fabrikstraße (hinter der Gasgesellschaft), Petersberger Straße in etwa derselben Höhe wie sich der Mittwoch-Markt befindet, aber auch an anderen Standorten.

Anfangs wurden keine Gebäude abgerissen (mit sehr wenigen Ausnahmen) um Neubauten Platz zu machen. Da die Wohnungsnot akuter wurde, erklärte man Kronstadt zeitweilig als „geschlossen“. Eine „Verfügung“ die von den volkseigenen Werken mit dem Trick der „Visum für Flotanten“ umgangen wurde. Die ersten Plattenbauviertel wurden nach einem Stadtplan von 1960 angelegt. Ein Plan, welcher öfters verändert wurde: die Verlegung des Hauptbahnhofes aus der Bahnstraße an den Rand des Freizeitparks vor dem Traktorenwerk dauerte etwa drei Jahre und die Verbindungsstraßen (heutige Gării und Victoriei) hatten nicht immer den jetzigen Verlauf. 

Die Einweihung des heutigen Hauptbahnhofes fand am 23. August 1963 statt, doch die Verlegung der Gleise zu diesem Gebäude war schon Monate vorher abgeschlossen. Man hatte schon die alte Strecke geräumt und mit drei großen Bauprojekten begonnen: den Gării-Boulevard von der Petersberger Straße zum Bahnhof, ohne andere Abschnitte, den Saturn-Boulevard, dessen Ausbau erst nach 1970 fertig wurde und das Traktoren-Viertel.

Letzteres war durch das Verlegen der Bahngleise in zwei Teile zerfallen: einer bestehend aus Reihenhäusern, der Stadt zugewandt um die Aurel Vlaicu Straße und einer aus Neubauten, dessen Abgrenzung bis etwa 1980 die Independen]ei-Straße bleiben sollte. Die Verkehrsachse auf den Bahnhof zu, heute Bulevardul Victoriei, wurde in zwei Zügen gebaut: bis etwa 1970 die Hochhäuser rechts, wenn man Richtung Bahnhof blickt mit dem ursprünglich als Hotel geplanten „Căprioara“ Block und dem „Rapidul“ Selbstbedienungsladen. Dafür wurden wenig Bauten geopfert, die wenigen, die weichen mussten, befanden sich gegenüber, im Bereich des Meşotă-Lyzeums, wo einst auch ein Sportplatz der Eisenbahner war. Demnach kann man sagen, dass vor 1980, Kronstadt je nach Zählweise, bis zu sechs Stadtviertel hatte, nicht klar abgegrenzt  und auch nur vage bezeichnet, zum Beispiel „bei den Gemenii“.
 
 (Schluss folgt)