„Wir fordern einen Stopp der TTIP-Verhandlungen“

Gespräch mit Jürgen Maier, Geschäftsführer „Forum Umwelt und Entwicklung“

Jürgen Maier bei seinem Vortrag in Klausenburg/Cluj. Foto: privat

Der Protest gegen die Transatlantische Freihandels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten wächst von Tag zu Tag. Die Europäische Bürgerinitiative(EBI) startete eine Unterschriften-Sammelkampagne, die vor allem im Westen Europas beeindruckende Zahlen vorweisen kann. Gefordert wird, dass die TTIP-Verhandlungen, die übrigens unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen, abgebrochen werden.

Zwischen dem 20. und 23. Januar hielt Jürgen Maier, Geschäftsführer des deutschen „Forums Umwelt und Entwicklung“ in Konstanza, Bukarest, Kronstadt/Braşov und Klausenburg/Cluj, in Zusammenarbeit mit der rumänischen NGO „Mileniul trei“, mehrere Vorträge, in denen er vor den Auswirkungen dieses Abkommens ausdrücklich warnte. Jürgen Maier (Jahrgang 1963), ist seit 1996 Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung in Bonn bzw. Berlin. In dieser Eigenschaft beobachtet er die internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik seit vielen Jahren und beteiligte sich an zahlreichen Konferenzen der Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation WTO.

Im nachfolgenden schriftlichen Interview erklärt Jürgen Maier seine Vorbehalte gegenüber TTIP.

Warum ist TTIP für den Durchschnittsbürger der EU und den USA nicht gut? Versprochen werden ja ein wachsender Wirtschaftsmarkt und weniger Handelsbarrieren.

Zwischen Europa und den USA haben wir schon lange praktisch freien Handel, es ist die intensivste Handelsbeziehung zwischen zwei Wirtschaftsblöcken weltweit. Zölle spielen keine Rolle mehr. Daher fallen auch die prognostizierten Wachstumsgewinne sehr bescheiden aus: 0.5 Prozent des europäischen BIP in 10 Jahren, also 0.05 Prozent im Jahr. Das ist kaum messbar. Der schwankende Wechselkurs zwischen Euro und Dollar hat weitaus größere Auswirkungen: von einer transatlantischen Zusammenarbeit gegen Währungsspekulation ist bei TTIP aber nicht die Rede.

Zudem sagen die Prognosen, die bescheidenen Wachstumsgewinne treten nur ein, wenn die „nichttarifären Handelshemmnisse“ weitgehend abgebaut werden. Diese angestrebte Angleichung der Standards im Verbraucherschutz, Umweltschutz, Datenschutz, Arbeitsschutz usw. dagegen ist nichts anderes als eine Angleichung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Diese Standards sind aber keine „Handelshemmnisse“, sondern demokratische Errungenschaften, die man nicht einfach hinter verschlossenen Türen abschaffen kann.

Rumänien gehört zu den ärmsten EU-Mitgliedsstaaten. Wäre TTIP nicht eine Chance für US-Investoren, die bisher unserem Land gegenüber eher zurückhaltend sind?

Rumänien hat bereits einen bilateralen Investitionsschutzvertrag mit den USA. Wenn sich US-Investoren zurückhalten, hat das also andere Gründe. Alle wirtschaftswissenschaftlichen Studien über TTIP ergeben zudem, dass die angestrebte Intensivierung des transatlantischen Handels mit einer Reduzierung des innereuropäischen Handels einhergeht. Für Rumänien stellt sich die Frage, was wichtiger ist: ein Ausbau der europäischen Integration oder ein Fokus auf die USA.

In der deutschen politischen Szene sind nur die Linken für einen totalen TTIP-Stop. Stört Sie und die Zivilgesellschaft nicht diese Annäherung? Bringt man Sie nicht in Verbindung mit radikalen Globalisierungsgegnern, Anarchisten?

Das Misstrauen gegen TTIP geht inzwischen durch alle Parteien, was man auch daran sieht, dass immer mehr Städte Resolutionen gegen TTIP beschließen, häufig auch mit den Stimmen von CDU oder CSU. Insbesondere in der SPD ist die Kluft zwischen Parteibasis und Parteiführung sehr groß geworden. Bei den vielen Veranstaltungen zu TTIP wird häufig ein Grundmisstrauen der Bürger gegen „die Politiker“ deutlich, die geheime Verhandlungen über derart weitreichende Verträge akzeptieren. Die meisten Bürger haben andere Vorstellungen über die Aufgaben von Volksvertretern.

Wir fordern einen Stopp der TTIP-Verhandlungen auf der Basis des geltenden Verhandlungsmandats.

Die vielen Versprechungen der Kommission und der EU-Regierungen, TTIP werde „nicht so schlimm“ wie wir das befürchten, und man werde die europäischen Standards aufrechterhalten, finden sich im geltenden Verhandlungsmandat nicht wieder. Dieses Mandat wurde Anfang 2013 von den Regierungen und der Kommission hinter verschlossenen Türen verhandelt und vor Parlamenten und Öffentlichkeit geheim gehalten, bis es im Juli 2013 durchsickerte. Dieses Mandat muss aufgehoben werden. Danach kann man öffentlich über ein neues Verhandlungsmandat diskutieren und es auf demokratische und transparente Weise beschließen, aber auf der Basis des geltenden Mandats kann kein gutes Abkommen herauskommen.
      
Die EU selber bedeutet ja ein Verzicht an nationaler Souveränität, setzt ein transnationales Gesetz- und Regelwerk voraus. Ist das mit TTIP nicht vergleichbar?

TTIP ist damit nicht vergleichbar, denn wir werden weder ein transatlantisches Parlament bekommen noch eine verbesserte parlamentarische Mitsprache der nationalen oder des Europäischen Parlaments. Die bestehende Schieflage zwischen der wachsenden Macht von Exekutiven und Wirtschaftslobbys und der abnehmenden Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle würde noch verschärft.

Handelspolitik in Europa ist auch deswegen so undemokratisch, weil dieses Politikfeld vollständig in die Kompetenz der Europäischen Union fällt, aber das Europaparlament kein vollwertiges Parlament ist. Es hat nur eine eingeschränkte Gesetzgebungskompetenz – legislative Initiativen kann nur die Kommission starten, nicht das Parlament. Das öffentliche Vertrauen in die europäische Handelspolitik kann nur wiederhergestellt werden, wenn die Volksvertreter ihre Aufgaben erfüllen können, und nicht, wenn sie immer weniger Einflussmöglichkeiten haben.

Wie sicher sind Sie sich, dass die EBI mächtiger als die Wirtschaftslobbyisten der EU und der USA ist, dass also TTIP nie umgesetzt wird?

Damit TTIP in Kraft treten kann, müssen Parlamente in 29 Ländern sowie das Europaparlament zustimmen. In manchen Ländern sind es sogar mehrere Parlamentskammern, wie in Deutschland Bundestag und Bundesrat. Diese Hürde ist angesichts der wachsenden Opposition kaum zu nehmen. Das zeigen auch frühere, vergleichbare Abkommen wie ACTA, die ebenfalls gestoppt wurden. Mit diesem Abkommen sollten die Rechte der Urheberrechtsinhaber massiv zu Lasten der Nutzer ausgeweitet werden. Überall in Europa und auch in den USA zeigt sich: je mehr die Menschen über TTIP verstehen, desto kritischer werden sie. Das gilt vor allem auch im Osten der EU, wo die Diskussion erst beginnt.

Die Inhalte von TTIP hätten in einem offenen, demokratischen Verfahren kaum eine Chance. Wer mehr private Investitionsschiedsgerichte will, müsste dann begründen, warum unsere Verwaltungsgerichte so schlecht sind, dass wir so etwas brauchen. Wer eine Angleichung unserer Lebensmittel- oder Sozialstandards an die USA will, müsste dann begründen, dass unsere Standards zu hoch sind. Weil dies nicht sehr erfolgversprechend ist, versuchen die Wirtschaftslobbyisten das hinter verschlossenen Türen bei TTIP zu regeln. Doch das wird ihnen nicht mehr gelingen, dafür ist mittlerweile der öffentliche Druck viel zu groß.

Vielen Dank für Ihre Antworten!

Die Fragen stellte
Ralf Sudrigian