13. Deutsche Filmtage des Goethe-Instituts in Bukarest

Eröffnungsabend mit dem Film „Transit“ von Christian Petzold

In der letzten Woche des vorigen Monats fanden im Bukarester Kino „Elvire Popesco“ die 13. Deutschen Filmtage statt, die vom In-stitut Français und vom Goethe-Institut gemeinsam veranstaltet wurden. Beim Eröffnungsabend am 23. November, an dem Christian Petzolds Film „Transit“ auf dem Programm stand, kamen zunächst Vertreter der beiden Kulturinstitute (Stéphane Cesari und Evelin Hust) zu Wort, die das zahlreich erschienene Publikum begrüßten und auf die kinematografischen Leckerbissen der folgenden Tage einstimmten.

Im Anschluss daran erläuterte die Kuratorin der 13. Deutschen Filmtage in Bukarest, Boglárka Nagy, die Struktur der Filmwoche, in der ausschließlich Filme auf dem Programm standen, die in diesem und im vergangenen Jahr ihre Premiere feiern konnten. Unter der Programmrubrik „The French Connection“ waren etwa Filme mit deutsch-französischer Thematik versammelt: neben dem Eröffnungsfilm „Transit“ war das der Film „3 Tage in Quiberon“, der sich mit einer wahren Begebenheit aus dem Leben der deutschen Schauspielerin Romy Schneider anlässlich ihres Kuraufenthaltes in Quiberon an der französischen Atlantikküste im Jahr vor ihrem Tod auseinandersetzt.

Unter der Rubrik „Unsere verrückten Familien“ stand bei den 13. Deutschen Filmtagen Isabel Prahls Spielfilmdebüt „1000 Arten Regen zu beschreiben“ auf dem Programm, zu dessen Aufführung auch die Drehbuchautorin, der Kameramann und die Produzentin geladen waren. Die weiteren Programmrubriken der 13. Deutschen Filmtage in Bukarest lauteten: „Der Stand der Kunst – (Un?)Politisch?“; „Quo Vadis?“; „Einer gegen alle oder einer für alle?; „Unerwartete Liebesgeschichten“. Unter der letztgenannten Programmrubrik fand sich auch Thomas Stubers Film „In den Gängen“, der – wie „Transit“ und „3 Tage in Quiberon“ – auf der diesjährigen Berlinale zu sehen war.

Bevor dann am Eröffnungsabend der 13. Deutschen Filmtage im Kino „Elvire Popesco“ Christian Petzolds „Transit“ gezeigt wurde, kam der Regisseur zuvor noch in einem kurzen Filminterview zu Wort, in dem er über die Konzeption seines Films, für den er selbst das Drehbuch verfasst hatte, Auskunft gab. Die literarische Vorlage des Petzoldschen Films „Transit“ ist der gleichnamige autobiografische Exilroman von Anna Seghers, der während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, vor allem in Paris und in Marseille, spielt. Im Mittelpunkt des Romans stehen die Schicksale von Emigranten, die auf der Flucht vor der Nazi-Diktatur und der unaufhaltsam vorrückenden deutschen Wehrmacht versuchen, in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille ein Ausreise- bzw. ein Transitvisum für die Schiffspassage zum lebensrettenden amerikanischen Kontinent zu erlangen.

Christian Petzold hat sich bei seinem Drehbuch für seinen Film „Transit“ eng an die Romanvorlage gehalten: Anna Seghers’ Erzählerstimme wird zum Voiceover (gesprochen von Matthias Brandt, der auch in der Rolle eines Marseiller Cafetiers auftritt), das die Filmhandlung permanent begleitet. Namen, Handlungselemente, ja die gesamte historische Situation der deutschen Besatzungszeit in Frankreich wird von Petzold übernommen und seinem Film zugrunde gelegt.

Auf der anderen Seite verzichtet Petzold in seinem Film auf jegliche historische Kostümierung und Ausstattung und versetzt damit die historisch konkret verankerte Handlung des Romans filmisch in das Paris und das Marseille unserer heutigen Gegenwart. Diese unhistorische und letztlich ahistorische Verrückung führt den Film jedoch an den Rand des Scheiterns, denn der Zuschauer wird immerzu ins Wechselbad seines eigenen historischen Wissens geworfen. Geht es nun um Emigranten, die aus Europa fliehen wollen, oder aber um Immigranten, die nach Europa geflohen sind? Hellhäutige rennen vor der Polizei davon oder werden aus Hotelzimmern deportiert, Dunkelhäutige leben dagegen gut situiert in bürgerlichen Wohngegenden. Warum ist Heinz, der Freund der Hauptfigur Georg, mit einer Frau aus dem Maghreb verheiratet? Und warum möchte ein deutscher Dirigent nach Caracas, um dort Werke von Luigi Nono aufzuführen?

Sinnbild dieser historischen Ratlosigkeit von Christian Petzold sind die menschenleeren Hafengegenden, etwa vor dem Hotel, in dem Georg, Marie und Richard einander begegnen. Vom Umschlagplatz der Ängste und Hoffnungen, vom geschäftigen Ort atemlos-hektischen Treibens, vom Ereignisraum einer Vielfalt von Fluchtmotiven und Migrationsabsichten bleibt nur der abstrakte und gleichsam stillgestellte Zustand des Übergangs, des Transits, übrig, der alles, vielleicht aber auch gar nichts mehr sagt, vergleichbar etwa der Situation des von Tom Hanks verkörperten Pro-tagonisten in Steven Spielbergs Film „Terminal“ aus dem Jahre 2004.

Gerettet wird Petzolds dennoch sehenswerter Film „Transit“, der Anfang nächsten Jahres in die rumänischen Kinos kommen wird, vor allem durch zwei entscheidende Faktoren. Das sind zum einen die hervorragenden Schauspieler, allen voran Franz Rogowski in der Hauptrolle Georgs. Der 1986 in Freiburg im Breisgau geborene Darsteller wurde auf der diesjährigen Berlinale als „European Shooting Star“ geehrt und glänzte, außer in „Transit“, auch neben Sandra Hüller in dem ebenfalls auf der Berlinale gezeigten Film „In den Gängen“, wofür Franz Rogowski zudem mit dem Deutschen Filmpreis Lola 2018 für die beste männliche Hauptrolle ausgezeichnet wurde. Daneben bestachen in „Transit“ Paula Beer als Marie, Godehard Giese als Richard, Trystan Pütter als US-Konsul und die von den Maskenbildnern des Films gar zu sehr zur Ingrid Bergman der Jetztzeit gestylte Barbara Auer.

Ein zweiter Faktor, der zum Gelingen von Christian Petzolds Film beiträgt, ist der Seghersche Exilroman. Die Schicksalsträchtigkeit der Story, die anrührende dreifache Liebesgeschichte Maries (mit Georg, mit dem Arzt und mit ihrem absenten Ehemann), überhaupt die wunderbare Sprache des Romans, die durch das Voiceover der Erzählerstimme, aber auch aus Georgs Munde hörbar wird, tragen den Film über seine ahistorischen Abgründe hinweg und lotsen ihn sicher in den Hafen gelungener Filmkunst.

Sinnbildlich dafür kann eine Szene ganz am Schluss des Films stehen, wo Georg dem Besitzer des Lokals „Mont Ventoux“ (Petrarca lässt grüßen!) das Manuskript des Schriftstellers Weidel zur Aufbewahrung aushändigt. Zwei große deutsche Schauspieler, Franz Rogowski und Matthias Brandt, bewahren spielend große Literatur vor dem Vergessen und die filmische Inszenierung der Erinnerung da-ran vor dem Scheitern. In Weidels Manuskript ist übrigens auch von einer Transitsituation die Rede. Wie der Mann vom Lande in Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“, so begehrt eine fiktionale Figur aus Weidels Manuskript jahrelang Einlass – in die Hölle! Bis man ihm irgendwann endlich sagt: Der Zustand des Wartens hier, das ist bereits die Hölle!