Alles, was sich ausdrücken will

„Jazz in Church Festival“ präsentiert Neue Musik und Jazz-Avantgarde

In den Seitenschiffen der evangelischen Kirche Bukarest stehen sich Trompeter Markus Stockhausen und Klarinettistin Tara Bouman gegenüber. Mit dem Einsetzen ihrer Komposition setzen sich auch die Musiker in Bewegung – ihr dialogisch anmutendes Wechselspiel endet auf der Bühne, die vor dem Altar aufgebaut ist. Als Duo „Moving Sounds“ sind sie Teil des diesjährigen „Jazz in Church Festival“, das vom 3. bis 6. April einen Querschnitt zeitgenössischer Jazz-Avantgarde mit mehreren in- und vor allem ausländischen Ensembles präsentierte.

Stockhausen, Sohn des legendären Komponisten Karlheinz Stockhausen, entwickelt in seiner Arbeit das Prinzip der intuitiven Musik weiter, das sein Vater Ende der 60er Jahre erstmals formulierte und dem es weniger an Zufälligkeit und Unbestimmtheit, als an eben jener intuitiven Bestimmtheit im Spiel gelegen ist. Zu diesem Zweck gründete Markus Stockhausen 2010 die Internationale Akademie für intuitive Musik, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, „dass sich der Musiker allein dem Hören, der Phantasie, dem Moment überantwortet und aus seiner Intuition heraus Musik erfindet.“ Für Stockhausen bedeutet das auch eine Abgrenzung gegenüber den bekannten Verfahren der Jazz-Improvisation, „die in der Regel eine Variation von bekanntem und vorher bestimmten Material meint.“ Für den Trompeter gilt: „In der intuitiven Musik soll alles vorkommen können, was sich im Jetzt ausdrücken will.“

Diese von „Moving Sounds“ intendierte Fortführung der Emphase mit kompositorischen Mitteln gelingt an diesem Abend eindrucksvoll, was – eben wegen ihres musiktheoretischen Konzepts – keine Selbstverständlichkeit bedeutet. Das ist immer dann besonders großartig, wenn Klarinette und Trompete ineinander greifen wie unterschiedliche Stimmen in einer Erzählung – dann ergänzen oder widersprechen sie einander, führen Konversation oder verstummen, bevor sie gemeinsam in Raserei geraten oder ihrer Divergenz arrhythmisch Ausdruck verleihen. Zum experimentellen Höhepunkt wird ein variabler, äußerst dichter und in seiner Wirkungsweise meditativer Klangteppich, generiert einzig durch das leichte, aber enggetaktete Anschlagen eines Beckens. Bevor Stockhausen – der auch Yoga für Musiker lehrt – mit diesem Kunststück beginnt, rät er dem Publikum, die Augen zu schließen, damit sich auch wirklich „etwas im Bewusstsein öffnet“.

Für einen maximalen Kontrast sorgen anschließend Pianistin Irene Schweizer und Schlagzeuger Pierre Favre mit ihrem temporeichen, weniger kopflastigen, dafür die Grenzen des Performativen auslotenden Free Jazz. Schweizer gilt als eine der Mitbegründerinnen dieses Stils, manchen sogar als die beste Jazzpianistin Europas. Wie dem auch sei, was die beiden Schweizer hier auf die Bühne bringen, ist von solch unprätentiöser Leidenschaft und derart mitreißendem Humor, dass beim Zuhören (und Zusehen) überhaupt keine Zeit bleibt, über etwaige Superlative oder ihren Sinn nachzudenken. Da wechselt Favre so oft die Drumsticks, dass mit jedem Stück – mitunter auch innerhalb der Stücke selbst – die Klangwelten changieren. Da steht Schweizer von ihrem Hocker auf und beugt sich in den Flügel hinab, um die Klaviersaiten eigenhändig anzuschlagen. Aber all das kann den Kompositionen nichts anhaben, die stehen auf festerem Boden, als es zunächst den Anschein macht.