An der Grenze zeigt sich der Menschen wahres Gesicht

Premiere der Komödie „Hin und her“ von Ödön von Horváth an deutscher Bühne Hermannstadt

Stefan Tunsoiu in der ulkigen Verkleidung als Ordensschwester
Foto: TNRS

In ihren krachend-rosa maßgeschneiderten Offiziersuniformen geben Daniel Plier und Valentin Späth ein perfekt eingespieltes Gespann ab. Der eine leiht seine dunkel grundierte Sprechstimme und speienden Wutausbrüche dem erzkonservativen Grenzorgan Thomas Szamek, der andere seine unorthodoxe Spitzfindigkeit den lüsternen Anspielungen und trockenen Abschiebungsbefehlen des doppelgesichtigen Grenzers Mrschitzka. Mit einem Einstand nach Maß eröffneten die Schauspieler der Deutschen Abteilung am Radu-Stanca-Theater Hermannstadt/Sibiu (TNRS) die Spielzeit mit der Premiere der Komödie „Hin und her“ von Ödön von Horváth (1901-1938) am Samstag, dem 15. September, auf der Hauptbühne des Theaters am Hermannsplatz/Piața Unirii. Emöke Boldizsár in der Rolle der volljährigen Tochter Eva, die ihren Vater Thomas Szamek mit nur zweieinhalb statt gewünschten vier Litern Kaffee für den Nachtdienst versorgt, passt haargenau in das Personengeflecht dieser 1934 entstandenen Satire auf das Thema Grenzüberwachung. Gegenspieler der selbstherrlichen Offiziere Mrschitzka und Szamek ist Ali Deac in der undurchlässigen Haut des Grenzorgans Konstantin, der in einem „halbverfallenen Ritterturm“ auf der anderen Seite der Holzbrücke sehnsüchtig auf den Besuch Evas wartet, dabei aber seine amtlichen Grenzkontrollpflichten nicht aus den Augen verliert.

Fehlt nur noch Daniel Bucher im sauberen Anzug des Pleite gegangenen und demzufolge von der Regierung abgeschobenen Drogisten Ferdinand Havlicek, der zwecks dringender Erneuerung seiner längst verfallenen Staatsbürgerschaft ins Nachbarland einreisen muss. Und am Grenzübergang merkt, dass ihm sowohl der Rückweg in die angestammte Heimat als auch ein Willkommensgruß im Geburtsland mit amtlicher Sturheit versagt werden. Was bleibt einem da anderes übrig, als sich mit dem Niemandsland anzufreunden? Ferdinand Havlicek klebt auf der Stelle fest, für ihn gibt es kein tatsächliches Hin und Her. Zudem sind die Herren Grenzbeamten auch noch dreist genug, Havlicek als verdeckten Boten in ihren Hickhack um die Ehre der Verlobung oder Entlobung Konstantins mit Eva einzuschleusen. Darüber hinaus schaltet sich die verwitwete Gastwirtin Frau Hanusch, von Johanna Adam interpretiert, ehrgeizig in das Netzwerk der Intrigen ein, um Ferdinand Havlicek mit aufreizendem Charme zum illegalen Grenzübertritt und der Geschäftsübernahme ihres in Konkurs geratenen Lokals zu bewegen.

Zutreffend betitelt Ödön von Horváth die eineinhalb Stunden lange Kömödie „Hin und her“ als „Posse in zwei Teilen“. Der Autor österreichisch-ungarischer Adelsabstammung muss recht gut gewusst haben, auf welche Art und Weise sich das Alltagsgeschäft einer Staatsgrenze für Bühnenzwecke eignet. Schon zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit in München hatte Ödön von Horváth einen feinen Riecher für die aufkommende nationalsozialistische Binnenbewegung Deutschlands entwickelt und auch nicht davor zurückgeschreckt, Fremdenhass mittels Prosa und Theaterstücken zu geißeln. Dass er ab 1933 in Deutschland weder veröffentlicht noch aufgeführt werden durfte, konnte seinen geistigen Bestrebungen keinen nachhaltigen Schaden zufügen. Den frühzeitigen Gnadenstoß versetzten ihm auch nicht etwa die Folgen der Repressalien durch das Nazi-Regime, sondern ein herabstürzender Baumast während eines Gewitters im Frühsommer 1938 in Paris. So ein Schicksal hatte ein Schriftsteller vom Format Ödön von Horváths, dessen Roman „Jugend ohne Gott“ 1938 von der Berliner Geheimen Staatspolizei „wegen seiner pazifistischen Tendenz auf die Liste des schädlichen Schrifttums“ gesetzt worden war, nicht verdient.

Bei Ödön von Horváth wachsen Grenzschutzbeamten und Politikern graue Haarstacheln auf der Zunge. Derart erpicht auf geheimes Vorgehen und gegenseitiges Ausspielen sind einzelne Personen, dass sie sich in den verschlüsselten Informationen der Mitspieler kaum noch zurechtfinden und die Identitäten der Gegenparteien falsch einordnen. Anca Cipariu bietet sprachlich wie gestisch eine Glanzleistung in der Rolle des Regierungschefs X des rechten Ufers, der mit falschem Vollbart den untergebenen Grenzbeamten Konstantin inkognito auf Herz und Nieren prüft, sich dabei aber davon überzeugen muss, dass der Bedienstete bestens über Normen und Konditionen des Grenzübertritts Bescheid weiß. Wenige Augenblicke später auf der Brücke hingegen merkt Regierungschef X gar nicht, dass ihm nicht der erwartete Regierungschef Y des linken Ufers, dargestellt von Fabiola Petri, sondern ein Staatenloser gegenübersteht. Eins zu Null für Havlicek, der sich auf der Brücke unterdessen wie zu Hause fühlt.

Die Brücke wächst und schrumpft nicht, aber sie wird während der gesamten Vorstellungsdauer der Komödie „Hin und her“ mehrmals um 180 Grad gewendet, da Ödön von Horváth das Stück für eine Drehbühne konzipiert hat. Es gibt keinen Vorhang, die Regierungschefs X und Y legen vor den Augen der Zuschauer Hand an und biegen sich die Grenze jeweils nach Belieben zurecht. Der ständige Richtungswechsel härtet Ferdinand Havlicek ab. Er mausert sich zum Stolperstein für den als Ordensschwester verkleideten und von Ștefan Tunsoiu geistreich gespielten Schmugglitschinski. Nachts hat der Oberschmuggler leichtes Spiel mit Mrschitzka und Thomas Sza-mek, die sich durch überhöhten Genuss von Rum selbst außer Gefecht gesetzt haben. Auch die knappe Gegenwehr von Konstantin ist mit einem satten Fausthieb sofort beseitigt, worauf Eva und ihr Verlobter mit Knebel und Fesseln unschädlich gemacht werden. Für Schmugglitschinski jedoch ist bei Havlicek, der allen Bestechungs- und Erpressungsversuchen laut-hals widersteht, Ende der Fahnenstange. Der Übeltäter wird festgenommen, und Havlicek erhält endlich seine Einreiseerlaubnis.

Der staatenlose Drogist hat sich die Härte der Grenzbeamten abgeguckt und ist ums Verrecken nicht bereit, Schmugglitschinski unbehelligt die Grenze passieren zu lassen. Irgendwie renkt sich die Lage wieder ein, Konstantin überführt dank der Vorarbeit Havliceks den als Nonne getarnten Rauschgifthändler, auf dessen Gefangennahme ein saftiges Kopfgeld ausgeschrieben worden war. Die Beute teilen sich Ferdinand Havlicek und Konstantin, der für seine Verlobung mit Eva das Einverständnis des raffgierigen Thomas Szamek erhält – „Reich sollst du heiraten, sehr reich, damit auch dein armer alter Vater was von dir hat“, so die Standpauke des literweise Kaffee schlürfenden Möchtegern-Schwiegervaters zu Beginn der Vorstellung.

Ein osteuropäisches Kennzeichen der Komödie „Hin und her“ des Autors Ödön von Horváth ist der Auftritt jenes Grenzbeamten, der sich im Zweifelsfall eher um die Anhäufung persönlichen Reichtums als um saubere Führung sorgt. Östlich von Wien ist der Begriff der Korruption unglücklicherweise mit bedeutend weniger Schandflecken behaftet. Über den geldgierigen Thomas Szamek kann das Publikum in Rumänien noch schmunzeln, während ein deutsches Publikum schlicht und einfach kein Verständnis für derartigen Humor mitbrächte. Sollte sich jedoch in ferner Zukunft, o Wunder, alle Korruption zwischen Donau und Maramuresch in Luft auflösen und auch das rumänische Publikum auf Theaterszenen korrupten Inhalts mit Kopfschütteln reagieren, wäre kulturell schon eine Menge erreicht. Noch immer ist dem Feilschen um Schmiergeld in Rumänien soviel Schaden anzurechnen, dass man sich manchmal wünscht, Spuren kapitaler Bestechungsdelikte ausschließlich in der Literatur und Geschichte der Vergangenheit ausmachen zu können. Leider sieht sich das junge Rumänien gezwungen, auch die eigene Gegenwart öffentlich in die Kritik zu nehmen. Die Vetternwirtschaft gärt und schlägt spöttisch grinsend Schaumwellen in die Zukunft des Morgen.

Mehr als 80 Jahre Literatur- und Theatergeschichte hat das Possenspiel „Hin und her“ von Ödön von Horváth auf dem Buckel. Anlässlich der Erstaufführung in Zürich am 13. Dezember 1934 wurde es höchstwahrscheinlich als kontroverse Momentaufnahme registriert. Nach aktuellem Stand der Dinge auf europäischer Ebene hat jedoch das internationale Verhandeln um einzelne Staatsgrenzen erneute Hochkonjunktur, was sich nicht gerade friedensstiftend auf den internen Umgangston der EU auswirkt. Lobenswert erscheint unter diesen Umständen der handwerkliche Zugriff des Gastregisseurs Alexander Riemenschneider vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg, der in der Inszenierung der Komödie „Hin und her“ von Ödön von Horváth durch die Deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Theaters Hermannstadt auf theatralische Absurditäten verzichtet. Da in Rumänien der innenpolitische Spielraum von Tag zu Tag spürbar enger wird und der bürgerliche Alltag zum unverdienten Geisteskampf gegen restriktive Zivilführung ausartet, wollen Kulturfreunde zumindest im Theaterbereich keine Konfrontation mit sperrigen Inhalten eingehen müssen. In allen weiteren Vorstellungen der Komödie „Hin und her“ steckt die Chance, das Lachen neu zu entdecken.