„Das Leben wie ein Tortenboden“

Neue rumänische Prosa in deutscher Übersetzung in Berlin erschienen

Daniela Duca / Anke Pfeifer / Valeriu Stancu (Hgg.): Das Leben wie ein Tortenboden. Neue Rumänische Prosa. Mit Beiträgen von Gabriela Adameșteanu, Petru Cimpoeșu, Bogdan Costin, Adela Greceanu, Marin M˛laicu-Hondrari, Nora Iuga, Dan Lungu, Ovidiu Nimigean, Ioana Pârvulescu, Marta Petreu, Răzvan Rădulescu, Adina Rosetti, Corina Sabău, Lucian Dan Teodorovici. Berlin: TRANSIT 2018. 240 Seiten. ISBN 978-3-88747-363-1. 20,00 Euro

Vor Kurzem erschien im Berliner TRANSIT Verlag ein Band zeitgenössischer rumänischer Prosa in deutscher Übersetzung, der von den in Berlin wohnhaften Literaturwissenschaftlern und Übersetzern Daniela Duca, Anke Pfeifer und Valeriu Stancu herausgegeben wurde. Gefördert wurde dieses über mehrere Jahre sich hinziehende Übersetzungsprojekt, an dem im Rahmen universitärer Übersetzer-seminare zunächst auch Studierende beteiligt waren, vom Rumänischen Kulturinstitut sowie vom Nationalen Buchzentrum in Bukarest.
Der Sammelband, an dem insgesamt sechzehn namentlich genannte Übersetzer mitgewirkt haben, präsentiert vierzehn ins Deutsche übersetzte rumänische Texte, die allesamt im 21. Jahrhundert entstanden sind. Bis auf den aus einem Erzählband stammenden Text von Petru Cimpoeșu handelt es sich dabei durchweg um Auszüge aus Romanen von rumänischen Schriftstellern, sieben Frauen und sieben Männern, aus unterschiedlichen Generationen. Altersdekanin der in diesem Band versammelten Autoren ist die 1931 geborene Dichterin, Prosaschriftstellerin und Übersetzerin Nora Iuga, die jüngste der hier vertretenen Schriftsteller die 1979 geborene Journalistin, Prosaistin und Kinderbuchautorin Adina Rosetti. Die Verlage, in denen die rumänischen Erstveröffentlichungen der hier ins Deutsche übersetzten Texte erschienen, sind der Jassyer Polirom-Verlag sowie die drei Bukarester Verlage Humanitas, Curtea Veche und Cartea Românească.
Den Buchumschlag der Übersetzungsanthologie ziert ein Ausschnitt des Ölgemäldes „The Polyptych of Work and Leisure“ des 1978 in Schäßburg/Sighișoara geborenen und heute in Klausenburg/Cluj-Napoca lebenden Künstlers Șerban Savu. Das fotorealistische Werk zeigt Rumänen, die mit ihren Dacias ins Grüne gefahren sind und dort auf einer großen Wiese neben ihren Autos essen, spielen, reden und lagern. Programmatisch macht das Umschlagbild deutlich, worum es in diesem Prosaband geht: um die rumänische Realität der Gegenwart, freilich in unmerklicher künstlerischer Verfremdung, die das Reale an ihr umso deutlicher zum Ausdruck bringt.
Das zeigt sich bereits im ersten Text dieses Bandes neuer rumänischer Prosa, in der deutschen Übersetzung der Anfangspassagen des Romans „Circul nostru vă prezintă:“ (Unser Zirkus präsentiert:) von Lucian Dan Teodorovici. Dort klettert der Ich-Erzähler, wie jeden Morgen, auf das Außensims des Fensters seiner im fünften Stock gelegenen Wohnung, um mit ausgebreiteten Armen Anstalten zu machen, von dort oben herab in die Tiefe zu springen. Die Langeweile und das taedium vitae des Protagonisten werden dann immerhin durch die Gespräche der Passanten und Nachbarn gemildert, die in typisch rumänischer Manier von allen Seiten auf ihn einreden: „Das Leben ist wie ein schlechter Tortenboden (…), wenn man die richtige Creme darüber streicht, wird schließlich eine köstliche Torte draus.“ (S. 10)
Der Alltag und das Lebensgefühl der Gegenwart kommen vor allem in den Texten der jüngeren unter den in dieser Anthologie vertretenen Autoren zur Darstellung. Adela Greceanus „Braut mit roten Socken“ verbringt ihre Tage zwischen Handy- und Liebesspielen, zwischen Arbeiten und Fernsehen, zwischen Katzen- und Wohnungssorgen. Adina Rosettis Programmierer aus ihrem Debütroman „Deadline“ wohnt mit 28 Jahren immer noch bei seiner Mutter, verbringt täglich zwölf Stunden im Büro, schaut nachts Filme, raucht Kette und beschäftigt sich mit seinem Blog. Corina Sabău schildert in ihrem Roman „Blocul 29, Apartament 1“ (Block 29, Wohnung 1) den Alltag eines Kindes in einer Großfamilie, in der nicht nur Vater und Mutter, sondern auch Opa und Oma das Sagen haben. In einer Passage aus Ovidiu Nimigeans Roman „Rădăcina de bucsau“ (Die Ginsterwurzel) kümmern sich Zelda und Liviu um dessen bettlägerige Mutter, bei deren Pflege allerdings ihre Liebesbeziehung auf der Strecke bleibt. Und in Bogdan Costins Roman „Cum să faci primul milion“ (Wie man seine erste Million macht) jagt der Ich-Erzähler atemlos den Objekten seiner Begierde hinterher: leichtem Geld und willigen Frauen.
Nicht nur die rumänische Gegenwart, auch diverse Episoden der rumänischen und europäischen Geschichte kommen in dieser Übersetzungsanthologie zur Sprache. In Nora Iugas Roman „Harald și luna verde“ (Harald und der grüne Mond) mischen sich Erinnerungen aus dem KZ Sachsenhausen in die Bukarester Gegenwart, in Gabriela Adameșteanus Roman „Provizorat“ (Provisorium) vergiften staatliche und geheimdienstliche Überwachung wie auch menschlicher Verrat Liebe und Zuneigung in Zeiten des Kommunismus, Marta Petreu erzählt in ihrem Roman „Acasă, pe Cîmpia Armaghedonului“ (Zu Hause, auf dem Feld Armageddons) von der wenig idyllischen Kindheit in einem siebenbürgischen Dorf während der 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts und Ioana Pârvulescu greift in ihrem Roman „Via]a începe vineri“ (Das Leben beginnt am Freitag) sogar bis ins 19. Jahrhundert zurück, in eine Zeit, in der die Bukarester ihren Kaffee noch à la manière de Marghiloman, also mit einem Schuss Cognac, tranken.
Kriminalistisch und mysteriös geht es in Episoden aus Romanen von Marin Mălaicu-Hondrari und Răzvan Rădulescu zu, die ebenfalls in dieser Übersetzungsanthologie versammelt sind, und man bedauert manchmal, dass man in diesem Band neuer rumänischer Prosa in deutschen Übersetzungen nur Fragmente aus Romanen goutieren kann, die man gerne in Gänze genossen hätte. So wirken etwa die Ausschnitte aus Dan Lungus Roman „În iad toate becurile sunt arse“ (In der Hölle sind alle Glühbirnen durchgebrannt) ein wenig erratisch, während Petru Cimpoeșus Erzählung „Femeia trecu strada“ (Die Frau überquerte die Straße), als Text nicht weniger erratisch, qua Gattung dennoch gleichsam in sich ruht.
Ein informatives Nachwort, das auch auf in der Übersetzungsanthologie nicht vertretene Autoren wie Mircea Cărtărescu, Filip Florian oder Daniel Bănu-lescu Bezug nimmt, rundet neben einem biobibliografischen Verzeichnis der in diesem Band versammelten Autorinnen und Autoren sowie einem Quellenverzeichnis der den Übersetzungen zugrunde liegenden Werke das zum Blättern, Hineinlesen und Schmökern einladende Buch gelungen ab.