Das „Licht von Barbizon“

Eduard Morres in München – als Bote der Pleinairmalerei

Eduard Morres: „Aussicht vom Reimeschgarten“ (Öl)

Eduard Morres: „Eichen auf der Hill bei Wolkendorf“ (Zeichnung)

Eduard Morres: „Gebirgsbach“ (Öl)

Anlässlich des 130. Geburtstags von Eduard Morres (1884-1980) wird zurzeit im Haus des Deutschen Ostens in München die thematisch ausgerichtete Ausstellung „Reflexe in Licht und Schatten“ gezeigt, die bis zum 31. Juli geöffnet ist. Damit soll dieser Maler, Zeichner und Kunsttheoretiker, wie die Kuratorin Brigitte Stephani im gleichnamigen Katalog schreibt, „aus dem abgegrenzten Bereich siebenbürgischer Heimatmalerei“ herausgehoben werden „auf die grenzenlose Ebene der westlichen Kunst-Welt“, um so seine bisher kaum bekannte Bedeutung als Bote einer innovatorischen Malweise vorzuführen, die man in seiner Heimat bis dahin noch nicht kannte – nämlich als Bote der Pleinairmalerei“. Gezeigt werden 20 Gemälde und Zeichnungen sowie ein vielfältiges Dokumentarmaterial zum Lebensweg des Künstlers. Im Folgenden bringen wir einen gekürzten Auszug aus der Einführung zum Katalog.

Nur wenige deutsche Künstler aus Siebenbürgen haben es bisher geschafft, durch ihre Werke auch jenseits der Landesgrenzen bekannt zu werden. Zu ihnen gehören bisher Hans Mattis-Teutsch, Henri Nouveau, Grete Csaki-Copony, Walther Teutsch und die Jüngsten (Jahrgang 1973), die Brüder Gert und Uwe Tobias. Die drei zuletzt Genannten waren sogar mit eigenen Ausstellungen im MoMA, dem Museum of Modern Art, New York, vertreten. Zufällig stammen, nebenbei bemerkt, die oben erwähnten Künstler (außer Csaki-Copony) alle aus Kronstadt.

Auch Eduard Morres wurde in Kronstadt geboren, im Jahr 1884, und es ist bemerkenswert, dass damals, einschränkend gesagt in den Jahren 1883-1885, ebenfalls in Kronstadt, eine ganze Reihe bedeutender Maler, Grafiker und Bildhauer das Licht der Welt erblickt haben, wie Walther Teutsch, Ernst Honigberger, Hermann Morres, Hans Mattis-Teutsch, Margarete Depner und Hans Hermann. Sie führten die Bestrebungen der vorherigen Künstlergeneration weiter, zu der Carl Dörschlag (1832-1917), Friedrich Mieß (1854-1912) und Arthur Coulin (1869-1912) gehörten.

Die Pleinair- oder Freilichtmalerei war einst ein neuer Malstil, der im 19. Jahrhundert von einer Künstlergruppe eingeführt wurde, die sich in Barbizon, einem Dorf südlich von Paris, am Rande des Waldes von Fontainebleau zusammengefunden hatte. Die Malerkolonie von Barbizon wurde um 1830 von Théodore Rousseau, Jean-François Millet, Jean-Baptiste Camille Corot und Charles-François Daubigny gegründet. Und obwohl oft von einer „Schule“ gesprochen wird, muss gesagt werden, dass diese Künstler, zu denen später auch andere aus verschiedenen Ländern, so aus Deutschland, Ungarn und sogar aus Rumänien hinzukamen und zeitweilig hier kreativ tätig waren, keine einheitlichen ästhetischen Auffassungen hatten. Was sie jedoch verband, war eine eigene Farbensprache, die Suche nach einem unmittelbaren Zugang zu Natur und Landschaft und die Ablehnung der bisherigen akademischen Gestaltungsweise. Die große Bedeutung dieser Künstler liegt somit in der Initiierung und Verbreitung einer neuen, lichtvollen Art von Landschaftsmalerei, die sich im 19. Jahrhundert durch Thematik und Gestaltung von den bisherigen konventionellen Landschaftsbildern unterscheidet.

Es war die Befreiung vom gängigen Akademismus und damit eine Gestaltungsweise und Farbensprache, deren Werke nun vorwiegend im natürlichen Licht und im Umfeld der Natur entstanden, wobei die Reflexe des Sonnenlichts eine besondere Rolle spielten. Durch das gemeinsame Ambiente waren sich die Künstler thematisch und stilistisch sehr nahe – und das vielleicht auch darum, weil sie sich täglich im gleichen landschaftlichen Umfeld bewegten und sich dabei oft begegneten. Zur Weltgeltung und Etablierung dieser neuen Malweise und somit durch ihre Bilder trugen dann besonders Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Giovanni Segantini und andere große Namen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bei, die so zu den Wegbereitern des Impressionismus wurden – ein Malstil, den Renoir schließlich folgendermaßen beschrieb: „Einen Gegenstand seiner Farbtöne wegen zu malen und nicht um des Gegenstands willen, das unterscheidet die Impressionisten von anderen Malern.“

Zu den Künstlern von Barbizon gehörte zeitweilig auch der rumänische Maler Nicolae Grigorescu, bekannt durch seine berühmten „Ochsenwagen“, die er in mehreren Varianten gemalt hat. Grigorescu wird als Begründer der modernen rumänischen Malschule bezeichnet. Er ging 1861 nach Paris und von dort führte ihn auch bald der Weg nach Barbizon, wonach er später einer der östlichen Vorläufer des frühen osteuropäischen Impressionismus wurde. Im Stil der Freilichtmalerei entstanden seine luftigen Naturbilder oder Momente von zarter Poesie, wie „Waldlichtung“, „Bäume“ und andere, die den Malstil von Barbizon ins damalige Rumänien brachten.

Die Begriffe, die später – wegbereitend für den Impressionismus, der wiederum zum Auftakt der Moderne wurde – von den Künstlern in Barbizon ausgingen, kreisten nicht nur um die bekannte Formulierung en plein air (also „in freier Luft“ oder rumänisch „în plin aer“) sondern auch um die Bezeichnung paysage intime. Denn man war nun bemüht – konträr zur bisherigen konventionellen Ateliermalerei –, das intime, das heißt, das innerste, vertrauliche Eigenleben einer vertrauten Landschaft zu erkunden und zu erkennen, hervorzuheben und wiederzugeben. Dabei wurden in diesem paysage intime bisher kaum beachtete alltägliche Details der Natur angeleuchtet, das heißt ins Licht einer hell strahlenden Sonne gerückt und so für den Betrachter sichtbar gemacht.

Die Tatsache, dass auch Eduard Morres, als er sich 1909/1910 in Paris aufhielt, wichtige kreative Impulse von der Pleinairmalerei erhalten hat, um sie später in Siebenbürgen weiterzupflegen, wurde von der Kunstkritik bisher kaum erkannt – jedenfalls nicht wertend beleuchtet, könnte man sagen –,  obwohl manche Licht- und Schattenreflexe seiner Landschaften beispielhaft für jene Einflüsse sind, die der Künstler als Bote einer neuen Malweise von seiner Frankreichreise und dem Pariser Aufenthalt mitgebracht hat.

In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen, 1947, bezieht sich Morres auch auf seinen Aufenthalt in Paris, 1909/1910, wo er viel Zeit in Museen und Ausstellungen verbrachte: „Die Werke der großen Maler des 19. Jahrhunderts von Delacroix, von dem ich im Louvre ein großes Bild kopierte, über Courbet u. die Barbizoner zu Manet und den Impressionisten studierte ich eifrig, von ihrer sicheren, leichten Malkultur auf das Tiefste beeindruckt, u. dabei natürlich von ihrem neuen farbigen Sehen, sozusagen der wissenschaftlichen Analyse, der in den optischen Eindruck unterworfenen, ohne dabei die Synthese künstlerischen Empfindens preiszugeben (...).“

Auf die späte Ausstrahlung von Barbizon in Morres’ Werk in Bildern mit lichtvollen Details soll diese Ausstellung aufmerksam machen, um so den Künstler, wie bereits angedeutet, aus der Enge einer lokalisierten Einstufung in einen europäischen Kontext zu rücken. Es ist ein Licht mit vielen Reflexen, die sich in seinen Landschaften und Dorfbildern erkennen lassen und auf die am Beispiel seiner ausgestellten Werke hingewiesen wird.

Im Besonderen sei hier auf ein exemplarisches Gemälde hingewiesen, „Weg in die Weingärten“ – auf einen kleinen, vertraut wirkenden Naturausschnitt mit farblich starken Kontrasten. Es ist ein Bild, das motivisch an Malart und Thematik der Schule von Barbizon erinnert, obwohl es bekanntlich Jahrzehnte später in Siebenbürgen entstanden ist. Denn dieser Blick auf einen einsamen Waldweg ist – ähnlich wie bei Corot, Grigorescu, Liebermann und anderen Künstlern – beispielhaft für die Gestaltung des paysage intime.
In diesem Bild sind die vibrierenden und doch klar konturierten Kontraste von Licht und Schatten leicht und transparent wiedergegeben. Der schöpferische Gedanke von Barbizon, der einst eine neue Erkenntnis von Natur und Landschaft ermöglichte, wird damit begrifflich sichtbar und begreiflich gemacht. Licht braucht Schatten, denn ohne Schatten wird das Licht mit allen seinen stillen nachhaltigen Effekten – zu jeder Tageszeit – nicht wirksam. So muss man zum Licht immer auch die Schatten hinzufügen, das heißt malerisch gestalten und abgrenzen. Dieses besondere Licht am Rande des Waldes von Fontainebleau, die spielerische Chromatik der Farben aber ist auch hier effektvoll und nachhaltig erkennbar. Und das Leben wird wieder, wie auch in den großen Landschaften, nur marginal und auf den ersten Blick vielleicht kaum wahrnehmbar angedeutet – im Halbdunkel des sommerlichen Schattens kann man einige Schafe sehen. Dem Künstler ging es hier primär um den Blick in eine vertraute Kleinlandschaft, ein paysage intime, die sich in ihrem schönsten Licht zeigt.
Und dieses „Licht von Barbizon“ mit seinen begleitenden Schatten hat Eduard Morres einst als junger Künstler und Bote einer neuen Malart in seine siebenbürgische Heimat mitgebracht.