Dem blauen Himmel sei Dank

Zum Abschluss des 21. Internationalen Theaterfestivals in Hermannstadt

Eine großartige Schau boten die Tänzerinnen und Tänzer des „Batsheva Ensembles“. Foto: Batsheva Ensemble

Manchmal hält die Liebe auch nach dem Tod. Makabre Szene aus dem Stück „Gegen die Liebe“ von Esteve Soler Foto: Maria Ştefanescu

Mit einem Feuerwerk, wie gewohnt, ging am Sonntagabend die 21. Auflage des Internationalen Theaterfestivals von Hermannstadt/Sibiu (FITS) zu Ende. Am Montag danach wurde es kalt und begann zu regnen. „Wir müssen uns tief vor dem strahlend blauen Himmel verneigen, weil das Wetter mit dem Festival gehalten hat“, sagte nach dem Abschluss der Festivalleiter Constantin Chiriac. Auch wenn er versprach, in den kommenden Tagen „die genaue Anzahl der Zuschauer“ mitzuteilen, wird es wohl kaum möglich sein, diese zu beziffern. Wer in den letzten beiden Tagen des Festivals die Vorstellungen und Konzerte am Großen Ring/Piaţa Mare verfolgt hat, wird sehr gut verstehen, was eine Menschenmenge bedeutet.

Das größte Problem für Zuschauer, Theaterliebhaber und einfach Neugierige stellt seit Jahren nicht die karge Finanzierung des Festivals durch das Kulturministerium – mit diesem Problem müssen sich die Organisatoren plagen – sondern die Anzahl der parallel laufenden Vorstellungen dar. Man kann sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nur für eine entscheiden. Und diese Entscheidung ist nicht immer einfach zu treffen. Wer sich zu spät festlegt, kann trotz aller Bemühungen der Festivalmitarbeiter vor der Tür bleiben. So war es auch beim Auftritt des israelischen „Batsheva Ensemble“, das nur eine Vorstellung am Sonntag, dem 8. Juni, bot. Die Worte „Tanz“ und „Israel“ im Festivalprogramm scheinen auf das Publikum eine magische Anziehungskraft zu haben. Sie sind mit dem Versprechen eines einzigartigen ästhetischen Vergnügens gleichzusetzen, das nur sehr selten nicht eingehalten wird.

Das „Batsheva Ensemble“ gilt sowohl bei den Tanzkritikern als auch im Publikum als „das bedeutendste zeitgenössische Tanzensemble der Welt“. Gegründet 1964 von der Baroness Batsheva de Rotschild, wird es zurzeit von einem der hervorragendsten Choreografen der Welt, Ohad Naharin, geleitet. Die Tanzkompanie tritt weltweit über 250 Mal, vor über 75.000 Zuschauern pro Jahr auf. Der Auftritt in Hermannstadt begann, lange bevor sich der große Saal des Gewerkschaftskulturhauses gefüllt hat. Shane Scopatz tanzte auf der Bühne zu der nur ihm hörbaren Musik. Dies brachte viele eintretende Zuschauer durcheinander, denn sie waren unsicher, ob die Vorstellung bereits begonnen hatte und benahmen sich vorsichtshalber sehr leise. Dafür konnten sie sich nach jedem Programmpunkt austoben: Der Beifall wollte und wollte nicht aufhören. Kein Wunder bei einem solch jungen und dynamischen Ensemble, bei mitreißenden Melodien, beim großartigen Tanz. Nicht nur die Tänzerinnen und Tänzer sind sehr jung – die jüngsten sind 19 Jahre, die „älteste“ 31 –, sondern auch seine aktuelle Zusammensetzung besteht erst seit einem Jahr.

Es ist eine undankbare Aufgabe, eine Tanzvorstellung zu beschreiben. Man muss es mit den eigenen Augen sehen, um zu verstehen, was eine tadellose Synchronizität, ein perfektes Rhythmusgefühl, eine Hingabe für den Tanz bedeutet. Die als „Deca Dance“ betitelte Vorstellung überraschte durch die Musikauswahl: Von Vivaldi über Ali Hassan Kuban bis hin zu „Nikmat Hatraktor“ (Traktor´s Revenge/Traktors Rache). Die zündenden orientalischen Rhythmen der aus Ägypten kommenden Melodie „Mabrouk Wo Arisna“ schienen den Tänzern die nötige Energie zu verleihen. Vivaldis „Stabat Mater“ sorgte hingegen für ein fast intimes Duo. Zu den Latino-Rhythmen holten die Tänzer jeweils einen Partner aus dem Saal. Die größte Überraschung bekam jedoch eine asiatische Zuschauerin, die mit dem letzten Akkord des Tanzes mit dem Publikum plötzlich ganz allein, umgeben von umgefallenen Tänzern, auf der Bühne stand und einen tobenden Beifall bekommen hat. Zum Abschluss der Vorstellung interpretierten die Tänzerinnen und Tänzer ein von der Rock-Band „Nikmat Hatraktor“ bearbeitetes Volkslied „Echad mi Yodea“.

Eine weitere Tanzvorstellung entführte das Publikum in die Welt von Flamenco: Eigentlich in eine Schau-Interpretation eines flammenden Flamenco-Abends irgendwo in Andalusien. Die Tanzkompanie „Cambio del Tercio“ zeigte eine andere Art zu tanzen, eine andere Weise, die Gefühle auszudrücken. Was diesen Tänzern an der Synchronizität der Israelis fehlte, glichen sie durch die Expressivität aus. Heiße andalusische Rhythmen, heisere Gesangstimmen, Kastagnetten, Stepptanz. Zu bedauern bei diesem Auftritt war jedoch das durch die Verstärkung der Musik und der Stimmen entstandene Gefühl von einer viel zu vordergründigen Show. Es fehlte an der Intimität, dem gewissen Geheimnisvollen und Persönlichen. Aber es war eben eine Bühnenshow und sie war eines Lobes wert.

Der 12. Juni stand im Zeichen der „Gegen-Trilogie“ des katalanischen Regisseurs und Schriftstellers Esteve Soler. Die Deutsche Abteilung des Hermannstädter Radu-Stanca-Theaters führte die bereits bekannten Stücke „Gegen den Fortschritt“ und „Gegen die Demokratie“ auf. Was zumindest den Hermannstädtern noch fehlte, war das Mittelstück dieser Trilogie – „Gegen die Liebe“. Das „Theater Ecce“ aus Salzburg (Österreich) füllte diese Leere aus. Eine spannende, lustige, manchmal viel zu makabre und dennoch fesselnde Vorstellung, die Elemente des Puppentheaters mit denen des klassischen verbindet. Die abschließende „Beichte“ eines für die Auswahl von Pornodarstellerinnen zuständigen Castingdirektors bereitete das Publikum in gewisser Weise auf das sehr freizügige Schattenspiel am Ende der Vorstellung vor. Diese Freizügigkeit schien sogar der Technik zu „hart“ zu sein, denn Videoprojektor und Computer streikten mitten im Spiel. Wer jedoch die „Gegen-Trilogie“ bereits kannte, konnte auch von diesem Stück keine halben Sachen erwarten. Soler ist eben direkt und bis aufs Äußerste provokativ. Er blickt auf die wohlbekannten Sachen aus einer sehr ungewohnten Perspektive und zwingt dadurch zum Nach- und Umdenken.

Die 21. Auflage des Theaterfestivals ist nun passé. Man darf getrost auf die nächste warten. Diese findet vom 12. bis 21. Juni 2015 statt: „Das Programm des Theaterfestivals 2015 steht bereits zu 80 Prozent fest“, versicherte Festivalleiter Chiriac nach dem Feuerwerk am Sonntag.