Deutsches Kinofestival in Bukarest

Neue Spiel- und Dokumentarfilme aus Deutschland im Cinema Studio

„Farewell, Herr Schwarz“, der Film der jungen deutsch-israelischen Regisseurin Yael Reuveny, gewann den ersten Preis für Dokus beim Internationalen Filmfestival Haifa.

Die diesjährige Folge des Kinofestivals „Deutsche Filmtage in Bukarest“, das vom Goethe-Institut Bukarest veranstaltet wurde und vom 31. Oktober bis 6. November im Cinema Studio der rumänischen Kapitale stattfand, schien sich der Aufgabe verschrieben zu haben, gewisse Vorurteile gegenüber den Deutschen bestätigen zu wollen: Jene seien nämlich „tatenarm und gedankenvoll“, nachdenklich und ernst, skeptisch und distanziert, in die Tiefe gehend und beladen mit Problemen, und genau so seien auch ihre Filme. Und in der Tat waren die insgesamt 12 Spiel- und Dokumentarfilme, die an den sieben Festivaltagen gezeigt wurden, nahezu allesamt gedankenschweren Themen gewidmet.

Die Programmauswahl der diesjährigen „Deutschen Filmtage in Bukarest“ wurde von dem in Bukarest geborenen Regisseur Alexander Nanau besorgt, der an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Regie studiert hat und in Deutschland wie in Rumänien zu Hause ist. Die Themen der von ihm ausgewählten Filme, die aus den Jahren 2008 bis 2014 stammen, lassen sich stichwortartig folgendermaßen zusammenfassen: religiöser Fanatismus, christlicher Fundamentalismus, repressive Erziehung, Traumatisierung durch die nationalsozialistische Vergangenheit, Abgründe des Alltags, Lebenslügen, Probleme bei der Vereinbarkeit von privater und beruflicher Existenz, häusliche Gewalt, Familienkrisen, Altersdemenz und politische Enthüllungen. In diesem Kontext ist der Liebesfilm „Love Steaks“ von Jakob Lass, der im Rahmen der Festivals auch gezeigt wurde, als singuläre Ausnahme zu betrachten.

Der Eröffnungsabend der „Deutschen Filmtage in Bukarest“ wurde mit dem Spielfilm „Kreuzweg“ bestritten, dessen Drehbuch bei der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet worden war. Die Drehbuchautorin Anna Brüggemann wohnte dieser Galavorstellung ebenso bei wie die Hauptdarstellerin Lea van Acken, die beide dann auch nach der Vorführung des Films dem Publikum für Fragen zur Verfügung standen. Der Film schildert, in Analogie zum Kreuzweg Jesu, die einzelnen Leidensstationen der Protagonistin Maria, einer vierzehnjährigen Schülerin aus streng katholischem Elternhaus, bis zu ihrem Tod im Spital, der freilich im Film hagiografisch umgedeutet wird. Die Demütigungen durch die Mutter, das Gemobbtwerden durch die Mitschüler, die Gehirnwäsche durch die im Film sogenannte Priesterbruderschaft Sankt Paulus, die Unsicherheit und die Selbstzweifel der Pubertierenden, ihre Einsamkeit und Isolation münden in einem veritablen Wunder, das von der opferbereiten Maria zudem noch angesagt wird. Im Moment von Marias Tod findet der jüngste Sohn der sechsköpfigen Familie, der im Alter von vier Jahren immer noch nicht sprechen kann, mit einem Mal zur Sprache, und das erste Wort, das er ausspricht, lautet: „Maria!“

Der Film „Kreuzweg“ von Dietrich Brüggemann beeindruckt durch seine klare Struktur in vierzehn Kapiteln, die allesamt abrupt enden, durch die gekonnte Dialogführung, durch die Intensität der verschiedenen Szenen, durch die Qualität der Schauspieler und durch die gnadenlose Konsequenz, mit der der schmerzensreiche Weg der gequälten Schülerin Maria detailliert nachgezeichnet wird. Auch wenn das finale Wunder der aufklärerisch-analytischen Tendenz des Filmes zuwiderläuft, ist der Streifen doch ein außerordentliches kinematografisches Werk, das Beachtung verdient. Glänzend auch der Gastauftritt von Hanns Zischler als Bestattungsunternehmer!

Am zweiten Festivaltag stand das Spielfilmdebüt „Finsterworld“ der deutschen Dokumentarfilmerin Frauke Finsterwalder auf dem Programm, die im vergangenen Jahr zusammen mit ihrem Mann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, den Preis der Deutschen Filmkritik für das gemeinsam verfasste Drehbuch erhalten hatte. Der Film entwirft in disparaten Szenen, die nur locker durch die Geschichte der Familie Sandberg und den KZ-Besuch einer Schulklasse miteinander verbunden sind, das bewusst hyperbolisch überzeichnete Bild einer haltlosen bundesrepublikanischen Gesellschaft, die von Zynismus, Sadismus, Egoismus, Mammonismus, Eskapismus, Perversion, Lieblosigkeit, Gewalt und Einsamkeit geprägt ist. Der Traumatisierung durch das Dritte Reich kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, etwa in der Szene, in der Maximilian und Jonas ihre Mitschülerin Natalie in den Verbrennungsofen eines KZ-Krematoriums stoßen und sie dort dann einschließen. Als ihr Lehrer sie schließlich aus dem Ofen befreit, rücken die beiden jugendlichen Übeltäter die Rettungsaktion ins Licht sexueller Belästigung, für die der unschuldige und wohlmeinende Lehrer dann auch noch ins Gefängnis muss.

Die großartige Besetzung mit Corinna Harfouch als Mutter Sandberg, Margit Carstensen als Großmutter Sandberg, Christoph Bach als Lehrer Nickel, Ronald Zehrfeld als Polizist und Tierkostümfetischist Tom, Sandra Hüller als Dokumentarfilmerin Franziska (Deutscher Filmpreis 2014) und Michael Maertens als gerontophiler Pedikürist und Fußerotiker Claude (Deutscher Schauspielerpreis 2014) schafft Akzeptanz für den zum Teil abstrusen Plot von „Finsterworld“, der seine Wirkungsabsicht in schockierender Provokation und im „Épater le bourgeois“ sucht und findet.

Der bewegende und berührende Dokumentarfilm „Farewell, Herr Schwarz“ wurde am vierten Festivaltag in Anwesenheit der in Deutschland lebenden israelischen Regisseurin Yael Reuveny gezeigt. Die junge Dokumentarfilmerin erzählt in beeindruckenden Sequenzen die Geschichte ihrer eigenen Familie, die in der Generation der Groß- und Urgroßeltern den Holocaust mit Ausnahme zweier Familienmitglieder nicht überlebte. Allein das Geschwisterpaar Michla und Faiwusch, Yaels Großmutter und Großonkel, überstehen die Schrecken der Konzentrationslager. Unmittelbar nach dem Krieg trennen sich aber ihre Wege endgültig: Michla wandert nach Palästina aus und Feiv’ke, wie Faiwusch auch genannt wird, entscheidet sich unter dem Namen Peter Schwarz für ein Leben im ostdeutschen Schlieben, just in jener Stadt, in der er im örtlichen KZ-Außenlager des KZ-Stammlagers Buchenwald inhaftiert war und Zwangsarbeit leistete. Der ganze Film kreist um die Frage, warum im Jahre 1945 eine mögliche Begegnung der beiden Geschwister am Bahnhof der polnischen Stadt Lódz nicht zustande kam und was das Nichtzustandekommen dieser Begegnung für die weitere Geschichte der israelisch-deutschen Großfamilie und nicht zuletzt für das persönliche Leben Yael Reuvenys bedeutete.

Weitere Filmprojektionen, zum Teil in Anwesenheit der Regisseure, Gespräche mit dem Publikum und Diskussionen unter Cineasten machten die „Deutschen Filmtage in Bukarest“ zu einem wirkungsträchtigen Kulturereignis, das durch eine Fotoausstellung in den Räumen des Cinema Studio noch abgerundet wurde: Rumänische Schauspielerinnen trugen auf diesen Porträtfotos – nach der Art des Filmplakats zu „Kreuzweg“ – die Dornenkrone, und rumänische Regisseure posierten als gemarterte Schmerzensmänner oder, wenn man die Fotos im Kontext von Philip Grönings ebenfalls in Bukarest gezeigtem Spielfilm „Die Frau des Polizisten“ betrachtet, als von häuslicher Gewalt gezeichnete Opfer. Schon jetzt darf man sich also auf die nächste und zehnte Folge der „Deutschen Filmtage in Bukarest“ freuen, die im kommenden Jahr hoffentlich wieder vom Goethe-Institut in der rumänischen Kapitale veranstaltet wird.