Die Kunst – ein schweres Ringen, die Sterblichkeit zu überwinden

Ein Buch über die siebenbürgische Bildhauerin Margarete Depner

Margarete Depner Foto: Oskar Netoliczka

„Margarete Depner. Eine Bildhauerin in Siebenbürgen“. Vorgestellt von Joachim Wittstock und Rohtraut Wittstock. Mit Photographien von Oskar Gerhard Netoliczka und anderen, hora Verlag Hermannstadt/Sibiu 2014, 340 S, ISBN 978-606-8399-06-5

Ende vergangenen Jahres brachte der Hermannstädter hora Verlag dieses wichtige, seit Längerem erwartete Werk heraus, in dem das bildhauerische Oeuvre Margarete Depners (1885-1970) im Mittelpunkt steht, eine Kunstgattung, der die Künstlerin ab Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den Vorrang gab. Erfreulich ist die Tatsache, dass das ausführliche und grafisch sehr vornehm gestaltete Buch vor dem Geburtstag der Künstlerin erscheinen konnte, der sich am 22. März zum 130. Mal jährt. Die Neuerscheinung vervollständigt das Wissen über die vielseitige Künstlerin, der die Wiener Historikerin und Soziologin Lisa Fischer zum 125. Geburtstag bereits eine „halbe Monografie“ gewidmet hat, nämlich ein Buch, in dem das grafische Oeuvre und die Ölbilder Margarete Depners den Schwerpunkt bilden: „Wiederentdeckt. Maragrete Depner (1885–1970). Meisterin des Porträts der Siebenbürgischen Klassischen Moderne“, Wien Köln Weimar, Böhlau Verlag, 2011, ISBN 978-3-205-78618-4.

Im Unterschied zu Fischers Publikation, der vornehmlich bibliografische Quellen zugrunde liegen, hat das kürzlich erschienene Werk den Vorteil, von „Insidern“ geschrieben und zusammengestellt worden zu sein. Rohtraut und Joachim Wittstock, Enkelkinder der Künstlerin, wuchsen unter der Obhut der Großmutter auf und hatten über einen längeren Zeitraum Einblick in deren Leben und Schaffen. Die Autoren waren Zeugen der Entstehung von Kunstwerken, durften beim Modellieren zusehen und saßen selbst Modell. Auch kannten sie zahlreiche Personen, die von Margarete Depner in Grafiken und Ölbildern zwei- oder in Plastiken und Skulpturen dreidimensional verewigt wurden. Außer den Erinnerungen an das Geschehen im Künstleratelier, das sie im Buch schildern, haben die Verfasser auch ein reichhaltiges und vielseitiges Familienarchiv ausgewertet, das für die meisten Lebensabschnitte der Künstlerin zahlreiche, bislang unbekannte Daten lieferte. Besagtes Archiv beherbergt auch historische Bildquellen, die ebenfalls ausgewertet und reproduziert wurden und dem Band einen besonderen Reiz verleihen.

Der erste Teil des Buches, von Joachim Wittstock verfasst, trägt die Überschrift „Sinnvoll ausgeprägte Schönheit“ (S. 7-146). Darin werden zunächst die Schrift- und Bildquellen vorgestellt, die in der Arbeit ausgewertet wurden. Danach wird der aktuelle Stand der Margarete Depner-Forschung diskutiert, ein Gebiet auf dem der Autor einen bedeutenden Beitrag geleistet hat. Bereits vor fünf Jahrzehnten (1965) hatte er eine Studie über Margarete Depner und ihr plastisches Werk verfasst, aus der er wenig veröffentlichte, eine Studie die nun den Grundstock des Buches bildet (S. 19). Joachim Wittstock hat das Werk der berühmten Großmutter jedoch nicht nur aus dem Blickwinkel des Kunst- und Kulturhistorikers betrachtet, sondern auch in seiner Eigenschaft als Schriftsteller. Als solcher hat er der Künstlerin wiederholt literarische Denkmale gesetzt, die ebenfalls in den Band aufgenommen wurden (S. 93-94; 102-103).

Auf den einleitenden Teil folgt ein ausführliches Kapitel, in dem „Lebenslauf“ und „Schaffensweg“ der Künstlerin beleuchtet werden (S. 33-111), ein Abschnitt, aus dem ich für Leser, die Margarete Depner nicht kennen, einige Eckdaten festhalten möchte.

Die Entwicklung der Kronstädterin zur bildenden Künstlerin fand zu einer Zeit statt, als Frauen von akademischen Studien ausgeschlossen waren. Folglich mussten sie privat unterrichtet werden und sich in Künstlerateliers weiterbilden. Zwischen 1901 und 1902 besuchte Margarete Depner ein Mädchenpensionat in Weimar, eine Anstalt, in der der Unterricht musisch ausgerichtet war. In ihre Heimatstadt Kronstadt/Bra{ov zurückgekehrt, nahm sie bei Professor Ernst Kühlbrandt (1857-1933), dem bekannten Kunsterzieher am Honterus-Gymnasium, Zeichen- und Malunterricht, um danach in Berlin die private Malschule Wilhelm Jordans (1871-1927) zu besuchen (Oktober 1905 bis Oktober 1906). Jordan hatte Margarete Depners Talent erkannt und ihre weitere Entwicklung maßgeblich beeinflusst.

Infolge der Heirat (1907) mit dem Chirurgen Dr. Wilhelm Depner (1873-1950), der Geburt ihrer drei Kinder, häuslicher und gesellschaftlicher Verpflichtungen, musste die begabte junge Frau für längere Zeit auf künstlerische Betätigung verzichten. Erst 1916, während eines kriegsbedingten Aufenthalts in Budapest, fand sie den Weg zurück zur bildenden Kunst, indem sie die Zeichenschule Professor István Rétis (1872-1945) besuchte. Es mussten wiederum Jahre vergehen, bevor sie Studienreisen nach Deutschland unternehmen konnte, Reisen, die sie 1925 und 1927 nach München und 1928 nach Berlin führten. Nach ihrem letzten Deutschlandaufenthalt kehrte sie sich von Malerei und Grafik ab, um sich vorrangig der Bildhauerei zu widmen.

Dieses Genre wurde in Siebenbürgen seit Jahrhunderten nicht mehr ausgeübt, erfuhr jedoch in Deutschland einen großen Aufschwung. 1931 reiste die Künstlerin erneut nach Berlin, um in dem Atelier von Joseph Thorak (1889-1952), einem damals sehr geschätzten Bildhauer, zu arbeiten. Lehrer und Schülerin harmonierten nicht, was dazu führte, dass Margarete Depner Thoraks Werkstatt nach zwei Monaten verließ. Während dieses Berlin-Aufenthalts besuchte die Kronstädterin zwei sehr bedeutende Künstler, nämlich Käthe Kollwitz (1867-1945) und Georg Kolbe (1877-1947). Die Begegnungen werden in dem Buch ausführlich geschildert (S. S. 70-72). Einige Kunsthistoriker/innen hatten vermutet, dass Margarete Depner die namhafte Grafikerin und Bildhauerin bereits Anfang des Jahrhunderts kennengelernt hätte, eine Hypothese, die nun endgültig aufgegeben werden muss.

Die selbstkritische, sehr zurückhaltende Künstlerin, die dauernd bemüht war, ihre Kunst zu vervollkommnen, brachte erst 1933 den Mut auf, vor das Publikum ihrer Heimatstadt zu treten. In einer Gemeinschaftsausstellung, an der sich auch der Bildhauer Hans Guggenberger (1902-1987) und die Kunstgewerblerin Rieke Morres beteiligten, stellte Margarete Depner vierzig Ölbildern und zwölf Skulpturen aus. Da es in Siebenbürgen zu diesem Zeitpunkt keine professionelle Kunstkritik gab, fielen die Besprechungen zwar positiv aus, machten jedoch keinen Unterschied zwischen der „hohen“ Kunst Margarete Depners und kunsthandwerklichen Erzeugnissen. Außerdem wurde die Künstlerin ausschließlich als Bildhauerin wahrgenommen, obzwar ihre Grafiken und Ölbilder den plastischen Arbeiten nicht nachstehen. 1934 unternahm Margarete Depner ihre letzte Studienreise, die sie nach Paris, ins Atelier des Bildhauers Marcel Gimond, führte. Danach folgten Jahre regen künstlerischen Schaffens sowie die Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen, von denen die beiden „Gesamtausstellungen deutscher Künstler Rumäniens“ (1937; 1938) und die „Wanderausstellungen deutscher Künstler aus Rumänien“ in Deutschland (1942; 1943/1944) hier erwähnt seien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich Margarete Depner, allen Verlusten und Demütigungen in der kommunistischen Zeit zum Trotz, der neuen Kunstbewegung angeschlossen. Als Mitglied des Künstlerverbandes beschickte sie regelmäßig regionale und nationale Ausstellungen.

Der letzte von Joachim Wittstock gezeichnete Abschnitt trägt den Titel „Werkbetrachtung: Margarete Depners Bildhauerei“ (S. 112-146). Darin stellt der Autor die Ateliers der Bildhauerin sowie deren Arbeitsweise vor, spricht über einige Modelle und versucht die Plastiken zu deuten. Es muss unterstrichen werden, dass die Formensprache Margarete Depners schlicht, anatomisch korrekt und zeitlos ist, angelehnt an namhafte Vorbilder aus dem binnendeutschen Raum (Georg Kolbe).

Der zweite Hauptteil des Buches trägt die Überschrift „Margarete Depner in Selbstzeugnissen und Beurteilungen anderer“ (S. 147-220). Rohtraut Wittstock, die diesen Teil signiert, hat eine reiche Auswahl schriftlicher Quellen (Auszüge aus Tagebüchern, Korrespondenz u. a) getroffen und nach thematischen sowie chronologischen Kriterien geordnet. Diese Schriftstücke, die Joachim Wittstock in seiner Studie ausgewertet hat, beziehen sich auf das gesellschaftliche und familiäre Milieu der Künstlerin, sie widerspiegeln ihr Streben nach Vollkommenheit und lassen in ihr Denken und Fühlen blicken.

Der dritte Teil des Buches (S. 224-320) ist dem bildhauerischen Werk Margarete Depners gewidmet. Er beginnt mit dem Verzeichnis der Bildwerke (S. 224-232), dem Bildnachweis (S. 233-238) und den Abbildungen von Plastiken, Skulpturen sowie wenigen Ölbildern und Grafiken (S. 239-320). Dieser Teil zeigt Margarete Depner als feine Beobachterin ihrer Modelle, als eine Meisterin des Genres, die das rechte Maß zwischen Form und Ausdruck gefunden hat.

Der Band wird von den Stammbäumen der Familien Scherg, Depner, Philippi und Wittstock, von einem Personen- und Ortsregister sowie vom Inhaltsverzeichnis abgeschlossen.

Vor zehn Jahren schrieb ich, dass Margarete Depner eine äußerst facettenreiche Künstlerin sei, deren Werk neu gewertet und bekannt gemacht werden müsse. Mein damals geäußerter Wunsch ist dank der beiden Teilmonografien, dem Buch von Lisa Fischer und dem neu erschienen „Margarete Depner. Eine Bildhauerin aus Siebenbürgen“ in Erfüllung gegangen.