Die Kunst zu Handeln – Transformation von Süd-Bukarest

Lokale Phase des Actopolis-Programms in der Bibliothek des Goethe-Instituts gestartet

Kuratorin des Actopolis-Projekts: Raluca Voinea
Foto: Michael Marks

Auf der Biennale 2004 in Venedig präsentierte sich Deutschland mit der überdimensionierten Installation „Deutschlandscape“, die sich der „zweifelhaften Ästhetik dieser undefinierbaren Räume mit ihren Lagerhallen, Einkaufszentren und Industrieansiedlungen“ in den deutschen Vorstädten widmete. Die Gestaltung der Peripherie der Großstädte in Deutschland, aber auch weltweit, wird immer häufiger großen Architekturbüros oder „Developern“ überlassen. Neben den „Gewerbegebieten“ treten zunehmend in Deutschland, häufig in postkolonialen Gesellschaften Afrikas und Asiens, aber bevorzugt auch in angelsächsisch geprägten Gesellschaften wie den USA die sogenannten „Gated Communities“ oder „Private Compounds“ hinzu, die sich ebenso wie Malls oder andere meist privat finanzierte Stadtplanungen der öffentlichen Kontrolle und Gestaltung der Bevölkerung und ihren Institutionen entziehen und deshalb auch in Filmen wie „Stepford Wives“ (2004) oder Büchern wie „The Tortilla Curtain“(1995) hinlänglich persifliert wurden. Dem entgegen und parallel dazu starten seit geraumer Zeit Kunstschaffende, Aktivisten, Urbanisten und lokale Gemeinschaften Projekte, die diesem Ausverkauf des öffentlichen Raumes etwas entgegensetzen möchten.

Nicht umsonst bezieht sich das lokale Motto des „Actopolis-Programms“ auf die US-Serie „show me a hero“(2015). „Actopolis“ – der Name ist eine Zusammensetzung aus Akropolis, vor allem also „Polis“, die Stadt, und „action“ – verweist auch auf Athen, das als Regionalbüro des Goethe-Instituts für die südöstlichen Partnerschaften federführend mit „Urbane Künste Ruhr“ in Oberhausen in Zusammenarbeit mit den Standorten Belgrad, Sarajevo und Zagreb, Mardin/Ankara und eben Bukarest einen dreijährigen Aktionsplan zur „Kunst als urbane Praxis“ entworfen hat. Während das Jahr 2015 der Entwicklung einer Strategie und von Konzepten gewidmet war, sollen in diesem Jahr in den lokalen Zentren Pläne zur Umsetzung verwirklicht werden, die schließlich in einer gemeinsamen Wanderausstellung in 2017 Ergebnisse präsentieren möchten. Die übergeordneten Ziele des Programms definiert die Direktorin des Goethe-Instituts Evelin Hust: „Actopolis“ ist ein Aufruf zum Handeln und Mitgestalten der Stadt „über Disziplinen, Landesgrenzen und kulturelle Unterschiede hinweg“ und als „Labor“, in dem „der Blick auf aktuelle urbane Fragestellungen geschärft und Handlungsstrategien getestet werden.“

Das Bukarest-Projekt strebt unter dem Thema „Bau deine eigene Stadt“ eine Förderung der vernachlässigten südlichen Stadtteile an, die durch die brachiale Schneise der in kommunistischer Zeit angelegten Boulevards vom wohlhabenderen nördlichen Teil getrennt wurden. Brachflächen, aufgelassene Industriegelände und renaturierte Sümpfe bieten frei nach dem Motto des berühmten englischen Landschaftsgärtners mit dem Spitznamen „Capability-Brown“ viel Potenzial für eine städtische Entwicklung, die eben die Partizipation weiter Bevölkerungsteile inkludieren soll. Raluca Voinea als Kuratorin zusammen mit dem Architekten Ştefan Ghenciulescu, der an der Präsentation des Projekts krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, beschäftigen sich schon geraume Zeit mit dem Spannungsfeld von Politik und Kunst im öffentlichen Raum, sei es im Rahmen der Gesellschaft „tranzit.ro“ oder der Architektur-Zeitschrift „Zeppelin“. Voinea erläuterte die Transformationsprozesse, die das Programm mit Hilfe der drei folgenden Schwerpunkte einleiten soll.

Daniela Pălimariu, eine Video-Künstlerin, und der Architekt Constantin Goagea widmeten sich unter der verkürzten Formel „take a seat/take a decision“ der bestechend einfachen Idee, eine mobile Rauminstallation zu kreieren, die, an verschiedenen öffentlichen Plätzen Südbukarests aufgestellt, es der Bevölkerung als „Bürgermeister für ein paar Stunden“ ermöglicht, hypothetisch selbst Entscheidungen über ihre Stadt zu treffen. Die unterschiedlichen Entwürfe kreisten alle darum, wie die zwei Ebenen „take a decision, gleich Schreibtisch und Stuhl des Bürgermeisters, mit der Diskussionsebene „take a seat“, das mit einer Sitzecke samt Couchtisch übersetzt wurde, in Beziehung zu setzen sind. Grünpflanzen und besondere Materialien sollen die repräsentative Funktion der Räumlichkeit unterstreichen bzw.  ironisch überhöhen. Ausgelassen wurde dabei eine in fast allen Bürgermeisterzimmern dieser Welt vorhandene Arbeitsebene, die sich meist in einem Konferenztisch manifestiert, und der nach Enzensberger dritte moderne Luxusfaktor: der Raum, oder auch der Luxus des leeren Raumes. Die für Mitte/Ende Mai geplante Aktion bedarf noch einiger logistischer Vorbereitung und sucht dafür auch nach Aktivisten.

Cosmina Goagea, Architektin und Programmdirektorin der Zeppelin-Plattform, referierte über 12 unabhängige Initiativen in Südbukarest, von denen sich einige bereits als Zentren für Kunst, Kommunikation, nachhaltige Produktion oder auch Erholungszentren für die städtische Bevölkerung einen Namen gemacht haben. Einige bekanntere Zentren liegen rund um den Carol-Park,wie der Club und Veranstaltungsort „fabrica“ nördlich des Carol-Parks oder die Carol-Factory (Halele Carol) in den ehemaligen Roter-Stern-Fabrikhallen, die heute in ein Zentrum für Kunst und kreative Industrien verwandelt werden. Als städtisches Naherholungsgebiet steht vor allem die renaturierte Seen- und Sumpflandschaft des Văcăreşti-Parks im Fokus, wo ökologische Projekte in Unternehmungen für die Bevölkerung umgesetzt werden. Aber auch vernachlässigte Viertel wandeln sich von No-Go-Areas zu Kreativ-Zentren, dank Initiativen wie „The Ark – Bursa Mărfurilor Creative“.

Eine literarische Komponente präsentierte der Architekt und Autor des Romans „Uranus Park“, Mihai Duţescu. Seine Kindheitserinnerungen fern der Großstadt Bukarest kontrastiert er mit der Welt der sozialistischen Massenquartiere, den Blocks des Rahova-Viertels, wo viele Zugezogene, so Teile seiner Familie, heute leben und dem benachbarten Viertel Antiaeriană, wo er selbst heute lebt, mit seinen einfachen aber beinahe idyllisch zu nennenden Vorstadthäuschen und Gärten. Sein Beitrag zum Projekt wird im Sammeln und Präsentieren von Nachbarschaftserzählungen, die das Leben der Leute in diesen Stadtteilen versinnbildlichen, bestehen. „Geschichten über Stadtteile müssen immer auch Geschichten über deren Bewohner sein und darüber, wie diese Menschen diese Orte benutzen, bewohnen und verändern.“ Ziel all dieser Bemühungen ist es, die Bewohner im Süden Bukarests mit den Mitteln der Kunst dazu zu bewegen, sich ihres Umfeldes bewusster zu werden und damit Veränderungen ihrer Umwelt selbst zu steuern.