„Eine Art Inszenierung des Bedarfs an Familienerweiterung“

Heiratsverhandlungen als Rituale einer Roma-Gemeinde

Barfuß tanzt ein Kind im Hof. Es bewegt sich im Kreis im Rhythmus einer „Manea“. Das Mädchen heißt Boata, es ist die Tochter von Bora, einer Romni, die mit ihrer Familie in Siebenbürgen wohnt. Die Gemeinschaft, der sie angehört, besteht aus „romi cortorari“, das heißt Roma, die im Zelt wohnen, erklärt Cătălina Tesar während ihrer Präsentation. Die Gruppe von Roma heißen „cortorari“, weil sie bis zum Zweiten Weltkrieg in Zelten gewohnt haben. Cătălina Tesar ist Forscherin beim Bukarester Bauernmuseum und erklärt im Bauernklub einem zahlreichen Publikum die Ergebnisse ihrer Forschungen. Nach 18 Monaten teilnehmender Beobachtung hat sie eine Doktorarbeit verfassen können. Jetzt arbeitet Tesar an einem Dokumentarfilm und zeigt ein paar Videos von Heiratsverhandlungen in dieser Gemeinschaft.
Tesar erzählt die Geschichte von Bora, einer 18-jährigen Romni, die in ihrer Gemeinde als „alte Jungfer“ galt: „Andere Frauen ihres Alters hatten schon Kinder und sie lebte zwischen zwei Welten.“ Einerseits wollte Bora heiraten, weil sie als unverheiratete Frau viele Tätigkeiten im Elternhaus übernehmen musste, andererseits wollte sie einfach nach Bukarest fahren und Schauspielerin werden. Zwei Jahre später entdeckte Tesar eine völlig andere Bora – die Roma-Frau lebte in einem anderen Dorf, war verheiratet und hatte ein Kind. „Endlich verwirklicht sich mein Traum, ich werde Schauspielerin!“, sagte Bora, als sie erfährt, dass Tesar eine Doku dreht, in der die Rituale, die mit der Heirat in dieser Roma-Gemeinde zusammenhängen, untersucht werden.

Die Rolle der Frauen

Tesar erläutert, dass die Arbeit nach den Geschlechtern aufgeteilt ist. Die Rolle der Frauen ist es, zum Haushalt der Schwiegereltern beizutragen. „Die Hierarchien sind eher von Alter und Verwandtschaft als vom Geschlecht geprägt“, sagt sie. In einem solchen Haushalt leben vier Generationen unter demselben Dach. Familienmitglieder der älteren Generation wünschen sich, dass ihre Kinder heiraten und Kinder bekommen. Es besteht die Mentalität, dass Frauen nicht zur Familie gehören, denn sie werden zusammen mit dem zukünftigen Ehemann und mit seiner Familie leben. Der Status einer verheirateten Frau ist in dem Moment gefestigt, in dem ein Junge in der neuen Familie geboren wird. „Das ist ein langwieriger Prozess, es heißt nicht, dass der Umzug der Frau bedeutet, dass sie integriert wird und am Tisch mit ihren Schwiegereltern sitzen kann – besonders wenn es Gäste gibt“, veranschaulicht Tesar. Betrachtet man alle Phasen, die eine Roma-Frau durchmachen muss, ist die Rolle der Schwiegertochter die unangenehmste, findet die Forscherin. Bevor sie einen Jungen auf die Welt bringt, besteht immer die Gefahr, dass sie zurück zu ihren Eltern geschickt wird. Nachdem sie Mutter geworden ist, wünscht sie sich, eine Schwiegertochter im Haus zu haben, die den Haushalt übernehmen kann.

Das Statut der Männer und die „Taxtaj“

Die Söhne bleiben im Elternhaus, sie genießen einen höheren Status als Töchter und erben die „Taxtaj“ – Gläser, die als Familienwappen gelten. Diese Objekte haben eine symbolische Rolle in der Organisation der Heirat. Je älter das Glas, desto wertvoller ist es. Die Jungen werden mit diesen Gläsern in Verbindung gebracht, die zeigen, wer einer guten Familie entstammt. „Alle sprechen von diesen Gläsern, aber man kann sie nie sehen. Die Rumänen behalten sie, da die Roma früher in mobile Sachen investiert haben“, argumentiert Tesar. Die Arbeit der Roma ist als Familiennetzwerk organisiert. Boras Ehemann hat 500 Schafe, in der Gemeinde handeln Männer mit Pferden und Kälbern. Die Verbindungen zwischen den Familien hängen auch mit wirtschaftlichen Aspekten zusammen. Heiratsverhandlungen gibt es manchmal, sobald das Geschlecht eines Kindes bekannt ist: „Das heißt aber nicht, dass das Kind heiratet. Die Männer verhandeln über die Heirat ihrer Kinder, sie diskutieren die Mitgift und andere Einzelheiten, als ob aus diesen Verhandlungen Eheschließungen würden, aber das lässt sich einfach durch das Vergnügen an der Verhandlung erklären“, lässt die Forscherin wissen. „Die Verhandlung entspricht nicht einer Hochzeit, es ist eine Art Inszenierung des Bedarfs an Familienerweiterung“, sagt Tesar. Die Abmachungen können jederzeit – nach zwei Wochen, zwei Jahren – gebrochen werden. Cătălina Tesar konnte feststellen, dass Roma, die in der von der Forscherin beobachteten Gemeinschaft heiraten, immer jünger sind. Das Publikum durfte nach dem Vortrag Fragen stellen – besonders aktiv war die Romni-Anthropologin Delia Grigore, die sich kritisch gegenüber dem Inhalt der Präsentation äußerte. Diese hob hervor, dass die Informationen nicht auf alle Roma verallgemeinert werden sollen und warnte vor Stereotypen.