Erinnerungen an die Revolution 1989

Studie zum Verhältnis der Siebenbürger Sachsen zu Revolution und Auswanderung erschienen

Friederike Mönninghoff: „Irgendwie fuhr ein Krieg auf. Die rumänische Revolution 1989 im individuellen und kollektiven Erinnern von Siebenbürger Sachsen“, Reihe Studia Transylvanica; Band 046, Böhlau Verlag 2018, 312 S., ISBN 978-3-412-50790-9, 45 Euro

Die kürzlich im Böhlau Verlag veröffentlichte Dissertationsschrift von Friederike Mönninghoff: „‘Irgendwie fuhr ein Krieg auf’ – Die rumänische Revolution 1989 im individuellen und kollektiven Erinnern von Siebenbürger Sachsen“, untersucht den Stellenwert, den die rumänische Revolution in der Erinnerung der Siebenbürger Sachsen einnimmt. Nicht die „Suche nach einer ‘historischen Wahrheit’“, sondern die „subjektive Wirklichkeit“, „das Erleben des Umsturzes und den Umgang mit der hieraus resultierenden Krise“ (S.10) – damit ist die Auswanderungswelle der Siebenbürger Sachsen aus Rumänien gemeint –, stehen im Mittelpunkt ihrer interdisziplinären Forschung, die sie in fünf Hauptkapitel gliedert. Eingangs wird der Forschungsstand resümiert und es werden Begrifflichkeiten wie die „Rumäniendeutschen“ geklärt, sowie im ersten Kapitel Theorien und Methoden zur Analyse der individuellen Erinnerung und der Wechselwirkung mit dem kollektiven Gedächtnis erläutert. Es folgt ein Abriss der Geschichte der Siebenbürger Sachsen bis in die Jetztzeit, der auch der Vorstellung ihrer besonderen Identität als Minderheit in Rumänien dient.

Die Revolution in Siebenbürgen

Meist stehen die „Revolutionsstadt“ Temeswar oder die Hauptstadt Bukarest im Vordergrund, wenn es um die dramatischen Ereignisse im Dezember 1989 geht. Allerdings verlief der Umsturz auch in anderen Städten gewalttätig, so in Hermannstadt, wo er die Siebenbürger Sachsen also ganz unmittelbar traf. Aber auch die bereits ausgewanderten Sachsen in Deutschland haben ihre eigene Perspektive auf die Ereignisse, waren durch Unsicherheit wegen der ausbleibenden Berichterstattung auf ihre Weise betroffen. Ein wichtiges Untersuchungsfeld für die Bildung eines kollektiven Narrativs stellt daher die Berichterstattung in den Medien der Rumäniendeutschen dar, hier sind vor allem der „Neue Weg“(NW) bzw. als Nachfolgezeitung die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ (ADZ) als überregionales Tagesblatt (v. Di. bis Sa.), die wöchentlich erscheinende „Hermannstädter Zeitung“ (HZ) auf der lokalen Ebene und die Verbandszeitung der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, die „Siebenbürgische Zeitung“ (SbZ) zu nennen.

Demgegenüber steht die Analyse des empirischen Materials. Hierbei handelt es sich um eine Reihe ausführlicher Gespräche mit in der siebenbürgischen Gemeinschaft oft prominenten Interviewpartnern, die im Anhang auch namentlich und mit einigen biografischen Angaben aufgeführt werden. Im Abstand von nun mehr als 20 Jahren berichten diese über ihre Erinnerungen an die damaligen Ereignisse. Ergänzt werden diese mündlichen Quellen durch z. B. autobiografische Tagebücher oder Filmmaterial.

Befragt wurden die Probanden nach ihrem individuellen Erleben des „Ausnahmezustandes“ in Hermannstadt, der realen Bedrohung durch „Schüsse und Gewalt“, aber auch den verunsichernden Gerüchten zu vergiftetem Wasser etc. Ihre Gefühle und Reaktionen auf die „erfolgreiche“ Revolution, zwischen Angst und Erleichterung bis hin zu Euphorie, aber auch die Einstellung gegenüber der öffentlich gezeigten Hinrichtung des Diktatoren-Paares werden ausführlich behandelt.

Warum einige Begebenheiten in das kollektive Gedächtnis Einzug gehalten haben, während die kollektive Kommunikation, das Erzählen, auch von Gerüchten, eher auf die lokale Ebene beschränkt bleibt, demonstriert Mönninghoff an einigen Fallbeispielen, wobei sie die Wechselwirkung mit den Medien einbezieht. So avancierte das Foto des brennenden Milizfahrzeugs auf dem großen Ring in Hermannstadt samt der tanzenden Menge zu einem allgemein bekannten Symbolbild. Der Weihnachtsgottesdienst 1989 in der evangelischen Kirche, unter dramatischen Umständen abgehalten, wird jedoch nahezu nur von den Teilnehmern selbst erinnert. Sehr kontrovers gestaltet sich ob seiner weitreichenden Wirkung auf den Auswanderungswillen die Erinnerung und Deutung der Rede Genschers 1990 in Hermannstadt samt dem berüchtigten Zitat von den „offenen Toren“, je nach Einstellung der Zeitzeugen. Wesentlich merkwürdiger verhält es sich mit der „Episode“ um den ehemaligen Stadtpfarrer und Gründungsmitglied des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Hans Klein. Bei der Rückholaktion von Brukenthal-Schülern, die bei der Rückkehr von einem Schulausflug wegen der Revolutionsereignisse in Michelsberg gestrandet waren, geriet Klein unter Beschuss, wobei er selbst lebensgefährlich verletzt wurde und zwei Schülerinnen ebenfalls von Schüssen getroffen und verletzt wurden. Mönninghoff lässt Klein selbst und den Vater einer der verletzten Schülerinnen, den heutigen Landeskirchenkurator Prof. Friedrich Philippi, ausführlich die Ereignisse aus ihrer eher kontroversen Innenperspektive I und II schildern und konfrontiert diese mit der Außenperspektive, den Aussagen anderer Zeitzeugen und dem Niederschlag in der Presse. Für sie überraschend, fällt dieser nur äußerst gering aus (peripher zuletzt in: „Die Grundlage ist gelegt“ – „Hermannstädter Zeitung“, 16. März 2018). Dementsprechend wird diese Episode überwiegend auf der kommunikativen, lokalen Ebene tradiert.

Migration und Spaltung

Der Diskurs über den Stellenwert der rumänischen Revolution im kollektiven Gedächtnis kann sicher nicht ohne die darauffolgende Massenauswanderung gedacht werden. Die unterschiedlichen Gründe zur Migration und ihre Folgen vor und vor allem nach 1989 nimmt unter den Überschriften „Bleiben oder Gehen?“, „Heimat – Analyse eines vielschichtigen Phänomens“ und „Einig uneinig – Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Rumänien“ einen breiten Raum in den Untersuchungen ein. Die damit verbundene Identitätsfrage sowohl bei ausgewanderten, „Fahrisäern“ (u. a. S. 218) wie auch zurückgebliebenen „Bleibisäern“ wird an vielen Beispielen verdeutlicht und es werden Erklärungsversuche angeführt, warum diese von den Siebenbürger Sachsen in Deutschland anders beantwortet wird als von den in Rumänien Gebliebenen. Die daraus erwachsenen Konflikte zwischen Assimilation und Abschottung, dem Phänomen der „Sommersachsen“, Gefühlen der Heimatlosigkeit und Fremdheit auf beiden Seiten, der Aufgabe des Kulturerhalts als Überforderung und Verpflichtung werden in ihrer Vielschichtigkeit von den Probanden angesprochen. Dass es wider Erwarten kaum Rückkehrer gab, sondern sich der Massenexodus eher verstärkte, trägt zu einem eher düsteren Fazit bei. Dadurch, so konstatiert sie, wurde unter dem berüchtigten Damoklesschwert des „Finis Saxoniae“ das allgemeine Gemeinschaftsgefühl einer argen Belastungsprobe ausgesetzt.

Vieles der von der Autorin hier zurecht angesprochenen Problematiken scheint zumindest in den letzten zwei Jahren einem positiven Wandel unterworfen, was Mönninghoff teilweise auch einräumt (S.224). So haben die neugeschaffenen Institutionen z. B. zur „Rettung der Kirchenburgen“, aber auch gemeinsame Aktivitäten der Verbände zu einer Annäherung geführt. („Getrennt und doch verbunden“: Siebenbürger Sachsen wollen ihre Gemeinschaft neu beleben: in „Siebenbürgische Zeitung“, 13. Nov. 2016) So stand das große Sachsentreffen 2017 bewusst unter dem Motto „In der Welt zu Hause, in Siebenbürgen daheim“.

Die Erinnerung an die rumänische Revolution, obwohl für den Einzelnen vor Ort von erheblicher Bedeutung, wird für die Siebenbürger Sachsen von dem Ereignis der daraufhin existenzbedrohenden Massenauswanderung überschattet und spielt laut Mönninghoff in ihrem kollektiven Gedächtnis nur eine untergeordnete Rolle. Den Abgleich mit den Erinnerungskulturen anderer Minderheiten, aber auch der rumänischen Mehrheitsgesellschaft formuliert sie als wissenschaftliches Desiderat.