Farben der Maramuresch treffen auf deutsche Moderne

Fünf 5-Sterne-Ausstellungen bei „Art Safari“

„Bräuche“ (1936), Öl auf Sperrholzplatte von Traian Bilțiu-Dăncuș

„Sturm im Moor“ (1894), Radierung von Fritz Overbeck

„Frühlingsblumen“ (1899), Radierung von Heinrich Vogeler

„Sommerabend“, Radierung auf Papier von Hans am Ende

„Die Gänsemagd“ (1899), Radierung mit Aquatinta von Paula Modersohn-Becker | Fotos: die Verfasserin

„Art Safari“, die größte Kunstveranstaltung in Rumänien, hat ihre Herbst-Winter-Saison oder „Ausgabe der Sterne“ - neben den drei vorhandenen Ausstellungen über Markentaschen, den Madrigal-Chor und das frühere Bukarester Nachtleben – um weitere zwei Ausstellungen erweitert. In deren Mittelpunkt stehen das Werk der Frühexpressionistin und Wegbereiterin der modernen Kunst in Deutschland, Paula Modersohn-Becker, und jenes des wiederentdeckten rumänischen Meisters der Malerei aus der Maramuresch, Traian Bilțiu-Dăncuț.


Die ursprünglich 1997 von Wulf Herzogenrath kuratierte Ausstellung des In-stituts für Auslandsbeziehungen ifa „Paula Modersohn-Becker und die Worpsweder“ wurde in Zusammenarbeit mit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und „Art Safari“ auch Kunstliebhabern in Rumänien eröffnet. Diese bietet impressionistische Radierungen nordischer Landschaft in Schwarz und Weiß, Fotos und eine Sammlung von illustrierten Büchern.

Die Abkehr der impressionistischen Künstler vom streng formelhaften Akademismus erfolgte in mehreren Ländern nach französischem Vorbild und verwirklichte sich in ihrem Rückzug auf das Land, in ihrer Annäherung zur Natur und dem Schaffen im Freien. Ähnlich wie im französischen Barbizon entstanden auch in Deutschland Künstlergemeinschaften in verschiedenen Dörfern. Eine besondere Stellung für Deutschland hat dabei die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Worpswede, etwa 20 Kilometer nördlich von Bremen, gebildete Künstlergruppe, die sich zur Jahrhundertwende in der deutschen Kunstszene etablierte. 

Obwohl die Worpsweder Künstler kein eigenes stilistisches Programm vereinbart hatten, fungierten vielleicht eben die Unterschiedlichkeiten ihrer Charaktere und  ästhetischen Grundauffassungen über die Einheit des Ortes hinaus als Bindeglied zwischen ihnen. 

Worpswede: Gemeinschaftliches Leben und Schaffen

Die erste Generation der Künstlerkolonie Worpswede setzte sich aus deren Mitbegründern Otto Modersohn (1865-1943) und Fritz Mackensen (1866-1953), die im Juli 1899 ihre erste Reise in das malerische Dorf unternahmen, zusammen. Ihnen folgten im August Hans am Ende (1864-1918) beziehungsweise später Fritz Overbeck (1869-1909), Heinrich Vogeler (1872-1942), in der Anfangsphase auch der Landschaftsmaler Carl Vinnen (1829-1912), Clara Westhoff (1878-1954) und Paula Becker (1876-1907), die schließlich Otto Modersohn heiratete. Dort versuchten sie, gemeinsam zu leben, zu arbeiten und zu publizieren, was zur Gründung der Künstlervereinigung Worpswede und gemeinschaftlichen Ausstellungen führte. Als letzter stieß 1900 der Dichter Rainer Maria Rilke zur Künstlergruppe hinzu. Dieser vermählte sich mit der Bildhauerin Clara Westhoff und sie zogen ins Nachbardorf Westwede. 

Rilke schrieb 1902 einen Aufsatz über das grafische, buchkünstlerische, aber auch malerische Werk von Heinrich Vogeler in der Zeitschrift „Kunst und Dekoration“, ein Jahr später erschien die umfangreiche Monografie „Worpswede – Mackensen, O. Modersohn, Overbeck, Ende, Vogeler“ in der bekannten Reihe „Künstler-Monografien“ des Verlags Velhagen&Klasing. Durch seine literarische Umsetzung förderte Rilke nicht nur seine Künstlerfreunde, sondern er trug auch zur Popularisierung von Worpswede bei.

Fritz Mackensens Einbettung dörflicher Szenen in die Landschaft oder bäuerliche Umgebung bleibt in ihrer direkten und kraftvollen Schilderung auch in Großformaten detailliert. 

Fritz Overbeck und Hans am Ende malten fast ausschließlich die breit gelagerte moorige Landschaft, ihre mit Birkenreihen versehenen Kanäle und die tief unter den Wolken geduckten, mit Schilf überdachten Bauern-Katen. Während Overbecks Vorliebe für das Zwielicht seinen Landschaften eine bedrückende Stimmung und eine unheimliche Atmosphäre verleiht, wirken Endes helle Bilder, die das volle Tageslicht einfangen, beruhigend und optimistischer.

Heinrich Vogeler ist in der Ausstellung durch meisterhafte Buchillustrationen und Beispiele aus seinem Frühwerk mit vorraphaelitischer Prägung, Einflüssen des Jugendstils, mythologischen und märchenhaften Themen vertreten. In seinen kleinformatigen Radierungen hält er Alltagsszenen aus Worpswede fest, in denen die Natur im Vordergrund steht. Der Künstler beobachtet sein Sujet hinter zarten Wildblumen, blühenden Bäumen, Blumentöpfen usw. und stellt die Pflanzen dabei fast so detailliert wie ein Botaniker dar.

Otto Modersohn entwickelte sich zu dem modernsten dieser Künstler, insbesondere in den Zeichnungen „mit ihren so formal offen und belebt wiedergegebenen Landschaftseindrücken“, beobachtete der Ausstellungskurator. Den radikalsten Weg in die Moderne beschritt jedoch seine Ehefrau Paula Modersohn-Becker mithilfe seiner Anregungen und jener von Mackensen. 

Paula Modersohn-Becker

Vier Paris-Aufenthalte ermöglichten der jungen Künstlerin die Begegnung mit Werken großer Vorbilder wie etwa Cézanne, van Gogh, Gauguin, die sie in der Abkehr vom Abbild der äußeren Erscheinung bestärkten, in der Suche nach dem inneren Wesen der Dinge und in der Entwicklung einer formvereinfachenden expressionistischen Farbsprache. Obwohl sie viele Landschaftsbilder und Stillleben schuf, nehmen Frauenporträts die wichtigste Stellung in ihrer Themenwelt ein. In ihrem Werk setzte sich die Frühexpressionistin mit mutigen Themen auseinander, die von traditionellen Standards der Weiblichkeit abwichen. Sie fing stillende Mütter, einsame Bauernmädchen bei der Feldarbeit und alte Frauen in Schaukelstühlen ein.

Paula Modersohn-Beckers Einfluss reicht über ihren viel zu frühen Tod mit nur 31 Jahren hinaus und stellt durch ihren künstlerischen Nachlass von fast 2000 Werken Rekorde als Wegbereiterin der künstlerischen Moderne auf, als erste Künstlerin weltweit, die ein Aktbild von sich selbst während ihrer Schwangerschaft gemalt hat und der ein nach ihr benanntes Museum errichtet wurde. Ihr hat Rainer Maria Rilke sein berühmtes „Requiem für eine Freundin“ gewidmet.

Die Farben der Marmuresch

Ein ebenso farbenfrohes Werk wie jenes der deutschen Frühexpressionistin hinterließ auch der rumänische Maler Traian Bilțiu-Dăncuș (1899-1974). Er war der erste Marmaroscher, der ein dreifaches Studium der Malerei, Grafik und dekorativen Kunst an der Hochschule für Schöne Künste in Bukarest beendete. Danach wirkte er als Kunstlehrer, weltlicher und Kirchenmaler. 120 seiner Gemälde, Zeichnungen und Fotos sind nach einem halben Jahrhundert, in dem er zeitweilig in Vergessenheit geraten war, in einer von Mirela Borz, der Leiterin des Museums der Maramuresch in Sighetu Marmației, und Prof. Dr. Ioan Opriș kuratierten retrospektiven Ausstellung in die Hauptstadt zurückgekehrt.

Weltliche und geistliche Kunst

Der post-impressionistische Meister malte mit ebenso viel Geschick und Ausdruckskraft Landschaften, dynamische Genreszenen aus der Maramuresch, Innenansichten, Porträts und Stillleben bis hin zu geistlichen Themen und zahlreichen orthodoxen, griechisch- und römisch-katholischen Kirchen und Kathedralen quer durch Rumänien.   

„Die Werke von Traian Bilțiu-Dăncuț schaffen einen Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit und beleuchten die Traditionen und das kulturelle Erbe der Maramuresch auf zeitgenössische Weise. Dem Künstler ist es gelungen, nicht nur die visuellen Aspekte dieser Region zu vermitteln, sondern auch ihre einzigartige Atmosphäre und lebendige Energie: das Handwerk, die Trachten, das Familienleben, die besonderen Feiertage und das bäuerliche Interieur, die Teil der Identität  der Maramuresch sind“, so Mirela Borz. 
Eine besondere Dynamik, die durch zahlreiche Details in Kleidung, Gesten und Haltung betont wird, weisen die Gemälde „In der Kirche“, „Beim Empfang des Heiligen Abendmahls“, „Beim Spiel“ und „In der Mine“ auf. 

Das Bild des Maramurescher Dorfs mit seinen Gassen, Toren, Häusern und seiner Nachbarschaft, so, wie sie auf Bilțius’ Leinwänden wiedergegeben werden, gehört der Vergangenheit an. Daher fungieren viele seiner Gemälde als historische Zeugnisse und ethnografische Dokumente.

Am 1. Dezember wurde anlässlich des rumänischen Nationalfeiertages auch die älteste rumänische Volksbluse (ie), die aus dem Jahr 1795 aus Siebenbürgen stammt, ausgestellt. Diese und alle fünf Ausstellungen verweilen bis zum 14. Januar 2024 im Dacia-România-Palast (Str. Lipscani Nr. 18-20) in der Bukarester Altstadt und können dienstags bis sonntags, von 12 bis 21 Uhr, besucht werden. Tickets sind am Eingang oder unter www.artsafari.ro verfügbar.