Gespräch mit der Künstlerin Veronica Taussig

„Roots & Reflections“-Ausstellung – eine Heimkehr

Veronica Taussigs Werke waren zwischen dem 10. August und dem 10. September in der Synagoge der Innenstadt zu sehen. Foto: Andreea Oance

In den 60er Jahren wanderte Veronica Taussig mit ihrer Familie nach Wien aus. Seither besuchte sie regelmäßig immer wieder für ein paar Tage die Stadt. Nun kehrte sie als Künstlerin in ihre Heimatstadt, die Kulturhauptstadt Temeswar/Timi{oara, zurück - ein einzigartiges Gefühl der Heimkehr. Die in der Begastadt gebürtige Veronica Taussig stellte einen ganzen Monat lang ihre bunten Skulpturen und Reliefs unter dem Titel „Roots & Reflections“ (auf Deutsch: Wurzeln und Spiegelungen) in der Synagoge der Innenstadt aus – ihre 14. Ausstellung insgesamt. Ihre Werke aus Polyurethan und lackiertem Aluminium bieten eine ungewöhnliche Perspektive: Essenziell war für die Künstlerin der Dialog zwischen ihren Skulpturen und der Architektur dieses Ortes. 

Zur Ausstellung, den Kunstwerken und der Kulturhauptstadt Temeswar setzte sich ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit der Künstlerin Veronica Taussig für ein Gespräch kurz vor der Finissage zusammen. 


Ihre erste Ausstellung in Ihrer Heimatstadt Temeswar: Sie haben diese „Roots & Reflections“, also Wurzeln und Spiegelungen, genannt. Es ist eine Art Entdeckungsreise für Sie oder eine Reise zu Ihren Wurzeln, eine Heimkehr sozusagen, gewesen. Wie war dieses Erlebnis für Sie?  

Ja, es ist tatsächlich eine Heimkehr gewesen. Ich habe schon öfters gesagt, dass ich nicht sehr religiös aufgewachsen bin. Trotzdem war ich auf die sanierte Synagoge in der Temeswarer Innenstadt neugierig, denn in den vielen vergangenen Jahren war sie immer gesperrt gewesen. Als ich sie nun besuchen konnte, hatte ich sofort meine Werke in diesen Räumlichkeiten gesehen. Als Künstlerin konnte ich mir sofort vorstellen, wie meine bunten, modernen, abstrakten Sachen hier ausschauen würden. So wusste ich schon gleich, welches Stück wo ungefähr aufgestellt werden kann, damit es zur Geltung kommen könnte. In Luciana Friedmann, der Vertreterin der jüdischen Gemeinschaft in Temeswar, hatte ich gleich einen Ansprechspartner gefunden. Einen ganzen Monat durfte ich nun meine Werke in der Synagoge zur Schau stellen. Wegen der Europäischen Kulturhauptstadt kamen auch viele Leute, um sich die Synagoge anzuschauen, auch ein Konzert wurde hier während meiner Ausstellung gehalten – dass es so viele Menschen waren, die meine Arbeiten sehen konnten, das liegt mir sehr am Herzen. 

Eine Heimkehr war es für mich, nicht nur, um bekannte Orte in der Stadt neu zu entdecken, denn ich konnte das Haus meiner Großmutter sehen oder unser Haus am Opernplatz, das uns vor einigen Jahren rückerstattet wurde, sondern auch eine Rückkehr in die Kindheit anhand vieler weiterer Erinnerungen. Als wir ausgewandert sind, in den 60er Jahren, ist meine Großmutter väterlicherseits hier geblieben. Sie war eine hochbetagte Dame und sie hat hier in ihrer Villa gewohnt. Man hat ihr dort ein paar Zimmer belassen und sie hat gesagt, sie kann ihren alten Baum nicht mehr versetzen. Sie haben wir dann jährlich für ein paar Tage besucht. 

Ihre Werke passen perfekt zu der Synagoge in Temeswar. Wie kann man Ihre künstlerische Arbeit beschreiben? Welche Einflüsse haben Sie?  

Ja, alles vervollständigt sich wirklich in diesem Raum. Meine Werke wurden bisher in verschiedenen Räumen ausgestellt – jedes Mal sehen die Arbeiten anders aus. Ich arbeite mit Aluminium, mit Plexiglas, mit Holz, mit Papier und viel Farbe.  Einflüsse... Ich liebe die moderne Kunst natürlich. Eine moderne rumänische Bildhauerin und ein Vorbild für mich ist Geta Br˛tescu, zum Beispiel. Bei ihr sieht man auch solche lebendigen Farben. Natürlich habe ich auch Alberto Giacometti gerne. Ich liebe die Farben des amerikanischene Künstlers Alexander Calder. Dann ist da noch Katarzyna Kobro, eine polnische Bildhauerin, die Farben und Formen ähnlich verwendet. Zufällig habe ich nun hier in Temeswar von Ingo Glass erfahren. Er hat dieselben Farben und Formen, die mich interessieren, und ich bin sehr begeistert, seine Ausstellung, die hier in Temeswar eröffnet wird, zu besuchen. 

Aber wie sind Sie eigentlich zur Bildhauerei gekommen?  

Mit 60 habe ich begonnen. Ich habe für meinen Mann als Interior Designer gearbeitet. Ich habe Hotels im 4-5-Sterne-Bereich in ganz Europa eingerichtet. Als ich dann in Rente gegangen bin, da habe ich mit Kunst begonnen.

Aber ich muss dazu sagen, dass ich immer sehr kunstsinnig war. Ich habe immer Ausstellungen besucht, seitdem ich mich erinnern kann. Der Anstoß dafür aber war, als wir im Dezember in New York waren. Ich habe dort im Modern Art Museum eine Matisse-Ausstellung gesehen, wo der Matisse schon sehr alt war und nicht mehr sehr viel gemalt hat. Aber komischerweise, das wundert mich noch heute, er hat diese Cut-outs gemacht. Cut-outs sind collageartige Arbeiten, die er mit der Schere aus Buntpapier ausschneidet. Und ich gehe und schaue mir das genau an und ich sage meinem Mann: Du, Franz, das kann ich auch! Er hat natürlich gelacht. Wir kamen dann nach Hause, nach Wien und dann plötzlich hat er zu mir gesagt: Jetzt will ich sehen, was du wirklich kannst! So habe ich begonnen, Material zu kaufen und begonnen, auch Collagen zu machen. Das war nicht Imitieren, denn ich habe meine eigene Fantasie und Ideen gehabt. So habe ich halt die ersten Wochen hindurch immer Collagen gemacht, verschiedene Bilder erstellt. Dann war es mir zu langweilig und ich habe begonnen, Skulpturen zu machen. Zuerst habe ich diese aus Kapa-Platten, wie Architekten sie verwenden, erstellt. Dann gibt es auch noch Styropor und Styrodur, Materialien, die man für Hausrenovierungen verwendet, die gibt es in diversen Dicken. Daraus habe ich meine ersten Skulpturen angefertigt. Später habe ich daraus haargenaue Modelle erstellt, die ich zum Anfertigen weitergeschickt habe, denn ich kann mit Aluminium nicht selber arbeiten. So sind meine Lightboxen entstanden, die grüne, die rote hier und viele, viele andere, die ich noch zu Hause habe.

Also war Ihr Mann derjenige, der Sie dazu bewogen hat, Künstlerin zu werden?

Das war der Anstoß. Mein Mann hat mich angespornt. Ich habe mit diesen Collagen und dann mit Reliefs begonnen. Dann kamen die Skulpturen und Lightboxen. Der Start war für mich sehr kreativ. Ich habe oft in der Nacht gearbeitet, viel während der Nacht nachgedacht und auch sogar von meiner Arbeit geträumt, so dass ich in der Früh aufstand und sofort gewusst habe, was ich neu probieren möchte, wie ich es produziere und wie alles zum Schluss ausschauen soll. Diese gedrehten Bilder, hier am Eingang in die Synagoge, sind ein Beispiel dafür. Für diese habe ich mit Stanley-Messer jeden einzelnen Papierstreifen geschnitten, die Farben zusammengestellt und so gedreht. 

Wie viele Arbeiten haben Sie mittlerweile insge-samt?  

Ich habe sie nicht genau gezählt, aber so etwa 150 oder sogar mehr. Meine Werkstatt wurde im vergangenen Jahr umgebaut. Ich habe deswegen, gezwunge-nermaßen, eine Pause eingelegt. Nun habe ich im Sommer wieder angefangen zu arbeiten und eine kleine Skulptur – eine Art mehrfarbigen Käfig – erstellt. Den muss ich aber noch produzieren lassen. 

Sie hatten jetzt Ihre erste Kunstausstellung in ihrer Heimatstadt, die in diesem Jahr eine der Kulturhauptstädte Europas ist. Wie sieht man eigentlich die Kulturhauptstadt, wenn man zu Besuch kommt?

Ich sehe die Stadt natürlich anders als die anderen Besucher, die keinen Bezug zu Temeswar haben. Ich habe die Stadt ursprünglich gesehen und sie so erlebt, wie sie vor 60 Jahren war. Ich kann sagen, dass ich auch den Wandel der Stadt über die Jahre beobachten konnte. Temeswar ist sehr, sehr schön geworden. Die Jugendstilhäuser und dieser riesige Domplatz, Europas größter Barockplatz, glaube ich, liegen mir sehr am Herzen. Ich bin ja dort auf dem Platz jeden Tag in die Schule gegangen. Ich erinnere mich noch an den Domplatz, wie er damals war. Und freue ich mich immer, wenn ich ein neues Gebäude sehe, das wieder renoviert wurde und dass wieder ein anderes renoviert wurde, dass so ein schönes Ensemble entsteht. Das ist eine große Freude. 

Wenn man in Wien lebt und sagt, ich stamme aus Temeswar, was kennen die Leute in Wien, die Österreicher im Allgemeinen, von Temeswar?

Also früher nichts, aber eigentlich jetzt irgendwie schon mehr. Ältere Generationen wissen ein bisschen von der gemeinsamen Geschichte, andere kennen die Stadt neuerlich durch die Literatur von Herta Müller. Ich persönlich musste in Wien nicht viel erklären, woher ich komme. Ich habe immer Deutsch gesprochen, auch wenn ich meinen Akzent nie verloren habe. Wie gesagt, mit der Urgroßmutter habe ich Deutsch gesprochen, dann habe ich den deutschen Kindergarten und die deutsche Schule besucht. Zu Hause habe ich immer Ungarisch gesprochen, meine Muttersprache, und Rumänisch habe ich immer sehr schlecht gesprochen, aber irgendwie scheint es mir, dass ich nun viel besser Rumänisch spreche als damals, als ich in Rumänien gelebt habe (sie lacht). Alles kommt zurück, nichts geht verloren, genauso wie auch all meine Erinnerungen an die Stadt und die Kindheit hier. 


Dieser Beitrag wurde durch die Finanzierung „Energie! Kreative Stipendien”, die von der Stadt Temeswar über das Projektezentrum im Rahmen des nationalen Kulturprogramms „Temeswar - Kulturhauptstadt Europas 2023” gewährt wurde, verfasst. Die Erstellung gibt nicht unbedingt den Standpunkt des Projektezentrums der Stadt Temeswar wieder und das Zentrum ist nicht verantwortlich für den Inhalt des Beitrags oder für die Art und Weise, wie dieser verfasst wurde.