Höhepunkte des Literatur- und Kunstgenusses

Notizen von den 29. Deutschen Literaturtagen in Reschitza

Autoren und Veranstalter: Hellmut Seiler, Horst Samson und Erwin Josef Țigla (v.l.n.r.) Foto: Lotte Rica

Für den Berichterstatter stellte der Samstagabend mit dem Auftritt der Kronstädter Studenten des Theaterensembles „DIE GRUPPE“, unter Leitung und Mitwirkung von Prof. Dr. habil Carmen Elisabeth Puchianu und mit außerordentlicher Präsenz des Autors Joachim Wittstock als Rezitator, das Highlight der 29. Ausgabe der Deutschen Literaturtage in Reschitza dar. Sie präsentierten im Theater des Westens „HADES. Carpatesca cum figuris“, eine Erzählung von Joachim Wittstock, als collagierte Reminiszenz für die Bühne eingerichtet von Carmen Elisabeth Puchianu. Aufgeführt vom Ensemble DIE GRFUPPE und gelesen von Joachim Wittstock, liefert das lapidare Programmheft (leider ohne Namensnennung aller Akteure) immerhin die Textvorlage (aus dem Band „Scherenschnitt. Beschreibungen, Phantasien, Auskünfte“, hora-Verlag, Hermannstadt, 2002).

Die Spielleitung (C. E. Puchianu) vermochte es, dem parabelhaften Text Joachim Wittstocks eine zutiefst politische Note abzugewinnen und ihn, mit hauptsächlich pantomimischer Interpretation (alle Akteure hatten eine Art Marcel-Marceau-Masken), in ein allegorisches Vor-Wende-Rumänien (dominiert vom Schreckgeist des Großen Führers NC) zu versetzen und das (in Teilen schockierte) Publikum in die Aufführung mit einzubinden, wodurch eine Atmosphäre distant-zögerlichen Mit-Fühlens und teilverweigerten „Mit-Spielens“ entstand. Einziges Manko der Aufführung: die mangelhafte Beherrschung des Deutschen durch die, ansonsten mit Spaß zur Sache vollauf bemühten Studenten.

Als zweites Highlight muss die Ausstellung der ungarischen VUdAK-Künstlersektion „Gestern – Heute – Morgen“ im „Frédéric Ozanam“-Sozialzentrum erwähnt werden, die beachtenswerte ungarndeutsche Künstler vereinte (u. a. Josef Bartl, Julius Frömmel, Ingo Glass – der Banater wohnt und wirkt seit einigen Jahren in Budapest –, Ŕkos Matzon, Adam Misch, Volker Schwarz, János Wagner u. a.) und die der Vorsitzende des Verbands Ungarndeutscher Autoren und Künstler (VUdAK), der Journalist Johann Schuth, nach Reschitza brachte. Die Ausstellung wird übrigens bald auch in Hermannstadt zu sehen sein. Zur Vernissage gab es eine Überraschung: Es sprach, neben Schuth und Organisator Erwin Josef Țigla, Dr. Erzsébeth Szalay-Sándor, die Stellvertreterin des Beauftragten für Grundrechte Ungarns, zuständig für den Schutz der Nationalitäten, eine gebürtige Hatzfelderin, die einige Jahre das Temeswarer Lenau-Kolleg besucht hat und Hochschullehrerin in Pécs/Fünfkirchen ist. Ihre Eröffnungsrede war unpolitisch, perfekt dem feierlichen und künstlerisch geprägten Anlass angepasst und bezeugte ein bei Politikern nicht alltägliches Einfühlungsvermögen der Kunstfreundin. Die Ausstellung ist sehenswert, vor allem, wenn man etwas von der weltbürgerlichen Art und Weise, wie ungarndeutsche Künstler ihre Sendung sehen und umsetzen, mitbekommen möchte.

Die kleineren, aber durch Nähe und Kollegialität der Teilnehmer wohl intensiver erlebten Höhepunkte gab es im Hauptprogramm dieser 29. Auflage der Deutschen Literaturtage von Reschitza. Das war der Fall bei der Lesung von Joachim Wittstock aus dem überarbeiteten Band „Ascheregen“, das spürte man bei der Lesung von Balthasar Waitz aus seinem in Arbeit befindlichen neuen Buch mit dem nicht ganz glücklich gewählten Arbeitstitel „Marienfeld“, das war bei der Lesungs-Zelebrierung von Carmen Elisabeth Puchianu aus ihrem neuesten Buch „Die Professoressa. Ein Erotikon in gebundener und ungebundener Rede“ zu spüren.

Den Samstagvormittag gestaltete als Moderator und Hauptakteur Horst Samson (der sich auch sonst an allen Diskussionen sehr lebhaft beteiligte), der neue Gedichte las und seinen poetisch geprägten Essay (mit etwas diffuser Aussage) „Der Diskurs des Dichters. Eine Meditation über die Kunst des hohen c“. Samson führte auch unseren Generationskollegen Hellmut Seiler (geboren 1953) ein, der aus seinem neuesten Gedichtband „Dieser trotzigen Ruhe Weg. Gedichte und Aphorismen“, aber auch neuere Gedichte vorlas und mit sichtlichem Vergnügen und viel Empathie (bis zum Mitsingen der Schlussakkorde des „Intermezzo“-Ensembles Lucian Ducas) erstmals an den Reschitzaer Literaturtagen teilnahm.

Ein besonderes Moment rief die Vorstellung der Deutschübertragung von Ana Blandianas Band „Wozu Dichter in dürftiger Zeit? Reden und Essays“ hervor, der kürzlich auch in Temeswar vorgestellt wurde und für dessen Vorstellung Samson kongeniale Fügungen fand. Ein Hauptthema von Blandiana, der Bedarf an der Erhaltung des Gedächtnisses, an Erinnerungsvermögen (in Temeswar zitierte die Bürgerrechtlerin und Dichterin Voltaire: „Politik ist die Tätigkeit der Skrupellosen, mit der sie diejenigen führen, die gedächtnislos sind.“) bildete auch der folgende Punkt des Literaturfestivals: denn in etwa dieselbe Kerbe schlug nuancierend Edith Ottschofski beim Vorstellen des Bandes „Kulturelles Gedächtnis – ästhetisches Erinnern“, indem sie aus ihrer Buchvorstellung ein Ko-Referat machte, mit viel willkommenem Eigenbeitrag zu einem weiten Feld.

Ein mittelgroßer Höhepunkt war die Vorstellung des Pop-Verlags Ludwigsburg, spezialisiert auf die Veröffentlichung rumänischer und rumäniendeutscher Literatur, der, laut Aussagen von Verlagsgründer und -leiter Traian Pop Traian („Das Rumänische habe ich vergessen, das Deutsche noch nicht richtig gelernt!“), ein Verlag sei, der sich noch auf der Suche nach seinem Profil befindet, sich aber allmählich spezialisiere als Autorenverlag. Horst Samson, Johann Lippet, Eginald Schlattner, ein Gutteil der in Reschitza anwesenden Autoren, können das bezeugen.

Hans Dama und sein Übersetzer Simion Dănilă (bei dem Mann kann man tatsächlich von ‘kongenialen Übertragungen‘ sprechen), die slowenische Autorengruppe um Veronika Haring (die quirlige Alte Dame der rumänischen Lyrik, Nora Iuga, eine herzerfrischende und mit unverrückbarer Energie aufmerksame Teilnehmerin, bemerkte nicht von ungefähr große Fortschritte – auch im Deutschen – bei den Autoren Ales Tacer und Ivan Korponai) rundeten den Samstag ab.

Sonntagmachmittag moderierte Beatrice Ungar. Mit gewohntem und voll verdientem Erfolg las Nora Iuga, diesmal Gedichte in der Übertragung von Georg Aescht und eine Hommage an Deutschland, die sie deutsch geschrieben hat, Joachim Wittstock stellte in seiner ernsten und gründlich durchdachten Art Dagmar Dusils „Auf leisen Sohlen. Annäherungen an Katzendorf“ vor, worauf die Autorin einiges Überraschendes vorlas, während Edith Guip-Cobilanschi, die routinierteste Showdame der rumäniendeutschen Literatur, „Staunen nur kann ich und staunend mich freuen. Erinnerungen einer älteren Dame“ vortrug. Es war ein Mix aus Erdachtem und unvollständig Behaltenem, aber kräftig Durchgeschütteltem (ähnlich dem Bokschaner „Geisterhaus“ und den übernommenen Verdrehungen rund um das Deutsch-Bokschaner Kneipp-Institut des Doktors Welitschek – von denen nur die Voyeur-Episoden etwas Verbrieftes enthalten), mit begnadetem Humor vorgetragen.

Zu einer wahren Überraschung gestaltete sich die Lesung der in Reschitza geborenen und in Deutschland als Literatur-Übersetzerin lebenden Yvonne Hergane, bisher eine Kinderbuchautorin, die Fragmente aus ihrem in Entstehung begriffenen Roman „Mutter-Miniaturen“ vorlas. Balthasar Waitz muss an dieser Stelle widersprochen werden, wenn er ihr riet, die vorgelesene Rohform mit Mut kräftig zu kürzen. Der Stuhlnachbar des Berichterstatters meinte treffender: „Wenn William Faulkner auf den Rat Hemingways gehört hätte, nur kräftig ans Kürzen zu schreiten, hätte Faulkner nie sein Werk zustande gebracht…“

Hochinteressant, aber leider in der Abschlussstimmung weitgehend untergegangen, sind die Kindheitserinnerungen des renommierten Theaterregisseurs Alexander Hausvater, „și ce dacă“/„Was wäre wenn“, in der Deutschübertragung von Beatrice Ungar. Das „…Buch für all jene, die Kinder geblieben sind“, Vorwort Vasile Dâncu, Nachwort Nora Iuga, stellt den „Berufserzähler“ (Dâncu) Hausvater vor, der in Bukarest geboren wurde, spätere Kindheit, Jugend und Studien in Israel verbrachte und im reifen Alter weltweit erfolgreich Theaterstücke inszeniert.