„Ich wusste nur, dass ich singen musste“

Abschied von dem Opernsänger Helge von Bömches

Helge von Bömches

Helge von Bömches als „Don Giovanni“ in Dublin (1987)

„Es war irrsinnig schön und es tut mir um nichts leid“ – dies war vor gar nicht so langer Zeit die Antwort des Kronstädter Musikers Helge von Bömches auf meine Frage, wie er denn seine Karriere im Rückblick beschreiben würde. Damit meinte er gewiss nicht „nur“ die rund 45 Jahre im Scheinwerferlicht, mit Auftritten in 200 Partien auf großen europäischen Bühnen wie Salzburg, Wien, Hamburg, Dublin, München und Mailand. Damit meinte er mit Sicherheit auch eine souveräne Lebenshaltung, die sich durch große Begeisterung für die Musik, ansteckenden Humor, wertvolle Freundschaften, unverblümte Direktheit und gelegentlich lautes Lachen über unzählige lustige Anekdoten aus der Welt der Oper äußerte. Es ist traurig, dass nun der Vorhang fällt: Am 16. Oktober verstarb Helge von Bömches nach schwerer Krankheit.

„Ich wusste nur, dass ich singen musste, dass ich mich singend äußern wollte. Es steckte einfach in mir“, erinnerte sich Helge von Bömches an die Anfänge seiner Karriere in Kronstadt/Braşov. Der am 18. September 1933 geborene Opern-, Oratorien- und Liedsänger begann seine musikalische Ausbildung im Kinderchor der Schwarzen Kirche, bei Kantor Victor Bickerich und dessen Ehegattin, der Sängerin Medi Fabritius. Sein Debüt gab er als Pilatus in der „Matthäuspassion“ von Heinrich Schütz, später setzte er sich bei einem Vorsingen für den Chor des Musiktheaters Kronstadt unter mehreren Dutzend Kandidaten durch. Die Bühne sollte für ihn zugleich Schule sein – denn ein Studium blieb ihm wegen seiner „ungesunden sozialen Herkunft“ verweigert.

Doch nichts konnte ihn daran hindern, eine Laufbahn einzuschlagen, für die er sich berufen fühlte – auch nicht die düsteren fünfziger Jahre unter dem neuen Nachkriegsregime in Rumänien. 1952 wurde die Familie mit der Einstufung „unliebsame Elemente“ nach Elisabethstadt/Dumbr²veni zwangsversetzt, der angehende Sänger musste auf einer Baustelle und in einer Fahrrad- und Nähmaschinenwerkstatt arbeiten. Eines Tages kam er von der Arbeit nach Hause und erfuhr, dass man seinen Vater zum Donau-Schwarzmeer-Kanal verschleppt hatte. Die Nachricht vom Tod war das einzige, was die Familie in den darauffolgenden Jahren noch erfahren sollte. Selbst nach der Wende blieben Fragen über Einzelheiten und Umstände trotz mehrerer Klärungsversuche bei den rumänischen Behörden unbeantwortet. Und auch die Wunde im Herzen blieb offen.

Helge von Bömches setzte sich in den siebziger Jahren endgültig im Westen ab, wohin ihm später seine Frau Marina und die beiden Kinder Dag und Scarlett folgen konnten. Die Sängerkarriere auf den wichtigsten Bühnen war keineswegs vorgezeichnet – im Gegenteil, sie war von „Erkältungskrankheiten, Stimmbandproblemen, Sich-schwach-Fühlen, Kopfweh“ begleitet, wie Helge von Bömches in seiner Autobiografie „Blick hinter die Kulissen oder Aus dem Tagebuch (m)eines Sängerlebens“ (2011) mitteilt. Außerdem trafen manche der negativen Opernklischees zu, es gab Intrigen, skrupellose Agenten, launische Intendanten, absurde Regieanweisungen. Und trotzdem hatte der Kronstädter die notwendige Ausdauer, den ungebrochenen Enthusiasmus für seinen Beruf sowie die Fähigkeit, stets mit neuer Energie seine Opernrollen zu gestalten. Er arbeitete mit den besten Musikern seiner Generation zusammen: Herbert von Karajan, Karl Böhm, James Levine, Ion Piso, Nicolae Herlea, Mirella Freni, Christa Ludwig, Ileana Cotrubaş, Peter Schreier, Katia Ricciarelli. „Singen beherrschte mein Leben“, zieht der Sänger in seinem Buch Bilanz.

Im Herbst 2012 besuchte ich ihn für ein Interview in seiner Wohnung in Osnabrück. Es kommt selten vor, dass man in beruflichen Angelegenheiten mit so großer Gastfreundschaft und Herzlichkeit empfangen wird! Wir unterhielten uns zunächst stundenlang über seine Jugend in Kronstadt, die ehemaligen Kollegen am dortigen Musiktheater, die Opernaufführungen gemeinsam mit den „ganz Großen“, witzige oder traurige Erlebnisse „hinter den Kulissen“ und künstlerische Fragen in neuen Inszenierungen, die er mit Neugier und Interesse auch im Ruhestand verfolgte – bis uns Frau Marina von Bömches diskret daran erinnerte, dass das Diktiergerät noch nicht einmal eingeschaltet ist. Mich beeindruckten auch die vielen Fotos von seinen Auftritten – und es wurde mir im Laufe des Nachmittags klar, wie sehr dieser wunderschöne Beruf zugleich ein Nervenkrieg ist, wie flexibel man innerlich sein muss und doch vollkommen authentisch, damit man das Publikum erobert.

„Mir gefällt das Dramatische, aber genauso gern bin ich auch für die lustigen Opern zu haben“, sagte mir Helge von Bömches, als ich ihn nach seinen Lieblingsrollen fragte. Er erwähnte den Pizarro aus Beethovens „Fidelio“, den Don Giovanni in Dublin („die Erfüllung eines Lebenstraums!“), Archibaldo in Kaiserslautern und viele andere mehr. Nicht ohne Grund endet seine Autobiografie mit dem Satz aus Verdis Oper „Don Carlos“: „Sire, ich bin zufrieden.“