In der „Schwarzen Sonne“ des Sozialismus

Blick hinter die Kulissen einer Zeit

Kath Zipser, Dubito ergo sum (Zeichnung, Tusche). Fotos: der Verfasser

Horst Ganesch, Das Auge (Aqurarell), 1974

Helmut Fabini , Steingarten (Zeichnung, Tusche), 1969, XX

Reinhardt Schuster, Schwarze Sonne (Tusche), 1969

Helmut Stürmer, Das Lächeln (Zeichnung, Tusche), 1970

Was in den manchmal mehrdeutig schillernden Jahrzehnten nach der politischen Wende 1990 schon beinahe in Vergessenheit geraten war, sind manche Namen und Werke jener rumäniendeutschen bildenden Künstler, die wegen ihrer zeitkritischen und daher auch offensichtlich oppositionellen Haltung zur dominanten und autoritären Kunstform des allgegenwärtigen „sozialistischen Realismus“ standen. Diese künstlerischen Arbeiten - sowohl Gemälde als auch Grafiken, Aquarelle und Zeichnungen - waren damals in der Gestaltungsweise meist eigenwillig getarnt und in der Aussage verhalten regimekritisch, doch als solche nicht immer gleich erkennbar. Denn sie webten in ihre künstlerischen Äußerungen in geschickt kreativer Weise kritische Akzente und Mitteilungen ein, die eben nicht immer beim ersten Hinsehen sichtbar waren und daher den Betrachter zuerst zum Nachdenken, dann zum Verstehen und schließlich sogar zum Selbstinterpretieren verführen sollten.

So kam es, dass in der damals herrschenden Szene der parteipolitisch überwachten und gelenkten Vielfalt sozialistischer Auftragskunst manche kreative „Freiheiten und Mitteilungen“ von der Zensur nicht erkannt und daher „übersehen“ wurden. 
Das geschah manchmal erst dann, nachdem der anonyme Betrachter die „verborgene Mitteilung“ des Künstlers gedeutet und somit auch verstanden hatte. Rumänisch wurde das in privaten Gesprächen meist treffend in drei Worten benannt, nämlich als „mesajul artistic ascuns“ (die verborgene künstlerische Botschaft). 

Das heißt, es sollte auch eine „verborgene künstlerische Aussage“, nämlich eine Mitteilung des Künstlers sein, die nicht schon beim ersten Betrachten erkennbar und verständlich wurde, sondern erst nachdem man sich „angesichts des Kunstwerks, bemüht hatte, über den Inhalt des Dargestellten ein wenig nachzudenken“, wie einst Hans Mattis-Teutsch sagte, als er 1946 in Kronstadt/Bra{ov eine „Freie Akademie“ für junge bildende Künstler gegründet hatte. 
Zu diesem multiethnischen Kronstädter Künstlerkreis gehörten damals junge Maler und Grafiker wie Reinhardt Schuster, Adele Gosch, Béla Klement, Verona Bratesch und Viorica Bredău. Später wurden noch andere junge Banater und siebenbürgische Künstler bekannt, wie z. B. Diet Sayler, Helmut Stürmer, Ingo Glass, Kaspar Teutsch, Renate Mildner-Müller, Sieglinde Bottesch, Helmut Fabini, Ritzi und Peter Jacobi.

Mattis-Teutsch war Jahre danach wegen eines kleinen, älteren, spontan entstandenen Aquarells, zu dem ihn – wie er sich später erinnerte – einst Constantin Brâncu{i angeregt hatte, in ein sogenanntes „ermahnendes Kreuzfeuer kollegialer Kritik“ geraten, wie es im Parteipolitjargon hieß. 

Ein Kulturaktivist des Regionsparteikomitees Stalin kritisierte ihn 1957 in einem „Referat“ während einer Arbeitssitzung des Verbandes Bildender Künstler im damaligen Stalinstadt (Uniunea Artiștilor Plastici, Orașul Stalin), da er „noch nicht den Weg zur sozialistischen Wirklichkeit gefunden habe“. 
Dazu äußerte sich Mattis-Teutsch noch während jener Arbeitssitzung mit einer spontanen, gezielten Frage. Er sagte auf Deutsch, weil damals noch alle anwesenden Kollegen (es waren mehrheitlich Ungarn, Juden und Siebenbürger Sachsen) diese Sprache verstanden, und es sollte mehr sein, als nur eine betont rhetorische Frage: „Was versteht dieser Idiot von Kunst?“ 
Bis dahin hatte sich noch niemand in der zentralen siebenbürgischen Regionshauptstadt öffentlich so eindeutig kritisch über einen Verkünder der Parteipolitik geäußert. Jahrzehnte später erinnerte sich der damals auch anwesende Maler und Grafiker Helfried Weiß: „Alle saßen schweigend da, und es war plötzlich still wie in einer Kirche.“

Dann aber verließ Mattis-Teutsch grußlos den Sitzungsraum. Bald danach folgte schon die Reaktion der staatlichen Parteibehörden. Mattis-Teutsch‘ Werke – darunter auch jene, die man bis dahin wohlwollend der „Gestaltungsweise des Sozialistischen Realismus“ zugeordnet hatte und die nun im historischen Alten Rathaus, im neu eingerichteten Regionsmuseum Stalinstadt, ausgestellt waren – wurden „für immer“ entfernt. An ihre Stelle kamen „Bilder“ von linientreuen Vertretern der „Neuen Thematik“.
Das erinnerte dann manch einen Kronstädter Kunstfreund der älteren Vorkriegsgeneration an jene zwielichtige Zeit vor 1945. Damals wurde zum Beispiel der schon weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Mattis-Teutsch als einziger rumäniendeutscher bildender Künstler wegen seiner antifaschistischen Haltung von den großen Wanderausstellungen, die zwischen 1941 und 1944 von der „Kulturkammer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ veranstaltet wurden, ausgeschlossen. Hingegen war manch ein nationalsozialistisch ausgerichteter Laienkünstler „immer mit dabei“. Darunter auch Namen, die man inzwischen heute nicht mehr kennt. So haben sich manche Verfahren im launischen Schaffensbereich ideologisch bevormundeter Künstler später zeitnah sozusagen wiederholt.
Doch es gab zu Beginn der 1970er Jahre auch einige junge Lyriker, Grafiker und Maler, die sich in die „sozialistisch brüderliche Gemeinschaft unserer deutschen mitwohnenden Nationalität“ (Dr. Eduard Eisenburger) einordnen ließen, ohne dabei offensichtlich „linientreu“ zu sein.

So erschien in der Anthologie „Befragung heute. Junge deutsche Lyrik in Rumänien“ (Kriterion Verlag, Hg. Claus Stephani, Bukarest 1974) zum ersten Mal eine Auswahl solcher Texte junger rumäniendeutscher Dichter und Dichterinnen. Das waren damals 25 repräsentative Namen aus dem Banat und aus Siebenbürgen – wie z.B. Gerhard Eike, Rolf Bossert, Anton Sterbling, Hans Matye, Uwe Erwin Engelmann, Peter Grosz, Johanna Rückert u.a. –, die noch keinen eigenen Lyrikband veröffentlich hatten. Es sollte ein „kollektiver Debütband“ sein – so der Auftrag der Verlagsleitung.

Was man dann aber erst nach Erscheinen des Bandes feststellen konnte, war die überraschende Tatsache, dass der Verlagslektor die Gedichte des damals noch sehr jungen Banater Autors Richard Wagner ohne Wissen des Herausgebers einfach entfernt, durch eigene Texte ersetzt und so die Vorbedingung zur Aufnahme in den Band ignoriert hatte. Der Verlagslektor debütierte dann beinahe gleichzeitig im Klausenburger Dacia-Verlag mit einem eigenen Band, was manchen Ärger verursachte. 
Trotzdem wurde diese Anthologie damals zu einem verlegerischen Ereignis. Dazu trug auch die Lancierung durch Reimar Alfred Ungar in der Hermannstädter Buchhandlung „Cartea Rusă“ vor einem zahlreichen Publikum bei. Auf dem von Reinhardt Schuster vieldeutig gestalteten Bucheinband konnte die zentral stehende große gelbe Kugel als eine hilflose  Sonne gedeutet werden, die von schwarzen, aggressiv wirkenden Strahlen bedroht wird. 
Über die Vielfalt der Sonnensymbolik – von der Antike bis zur Nachkriegszeit, 1946, und danach in der damaligen „sozialistisch geprägten Ära“ – ließe sich auch heute noch einiges sagen. Denn bekanntlich wird „Gott“ in verschiedenen Kulturen oft unter dem Symbol der Sonne gesehen, was zum Beispiel einst auch Dante Alighieri meinte, als er sagte „es gebe nichts Sichtbares auf der ganzen Welt, das es mehr verdienen würde als Symbol für Gott zu dienen, als die Sonne.“ (Fritz R. Glunk). 
Vor den ersten Nachkriegswahlen in Rumänien, die am 19. November 1946 stattfanden, und auch noch in der Zeit danach, konnte man im ganzen Land an vielen Hauswänden, die zur Straße standen und an anderen Mauern eine hingepinselte große Sonne sehen. Darunter dann die Aufforderung in rumänischer Sprache: „Votați Lista nr. 1 cu semnul soarele.“ („Wählen Sie die Liste Nr. 1 mit dem Zeichen der Sonne.“) 

Was aber dann in den vier Jahrzehnten danach folgte, hat der Maler und Grafiker Reinhardt Schuster mit den willkürlich bedrohlich wirkenden schwarzen Strahlen seiner Sonne angedeutet. „Ein vieldeutiges Kunstwerk zum strahlenlosen Zeitgeschehen“, sagte später die damals bereits in Bukarest lebende Kronstädter Lyrikerin Anemone Latzina, als ich ihr 1976 ein Exemplar der Anthologie „Befragung heute“ überreichte und als alle jungen Autoren und Künstler noch am Anfang ihres späteren Weges waren.
Doch vielleicht war es auch „nur“ die unbewusst schützende Unkenntnis  mancher Rezensenten, weshalb es, – wie manchmal üblich – in der damaligen rumäniendeutschen Presse keine bedrohlich kritische Beurteilung dieser jungen Künstler und ihrer eindeutig vieldeutigen Grafiken und Zeichnungen gegeben hat. So zum Beispiel zu den illustrativen Beiträgen von Helmut Stürmer, Renate Mildner-Müller, Sofia Fränkl, Erika Schweiger, Ingo Glass und Kurt Fritz Handel.
„Man hat uns anscheinend einfach nur übersehen – und das vielleicht gerade darum, weil wir damals noch so viele da waren“, meinte Jahre später der Bildhauer und Grafiker Ingo Glass, als er sich bei einem Gespräch in der von ihm geleiteten Galerie des Münchener Üblacker-Häusls, an jene jungen Lyriker und Künstler erinnerte: „Und da waren auch die unvergesslichen Jazz-Abende mit dem damals bekannten Musiker Adrian Neagu-Taschler,  die einst regelmäßig im Souterrain des Schiller-Hauses  während der Literarischen Lesungen stattfanden.“ 

Damals organisierte Ingo Glass – „…unter der Ägide des Rats der Werktätigen deutscher Nationalität“, wie es auf den zweisprachigen, deutsch-rumänischen Plakaten hieß – zum ersten Mal im Bukarester Kulturhaus „Friedrich Schiller“ eine Ausstellung zeitgenössischer rumäniendeutscher bildender Künstler, die vom 1. Juni bis zum 31. Juli 1978 geöffnet war und Gemälde, Grafiken und Skulpturen von insgesamt 127 Künstlern vereinte. „Es war die erste und seither auch umfangreichste Leistungsschau, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben hatte, denn sie füllte alle Räumlichkeiten des Schiller-Hauses, vom Theater- und Jazz-Keller bis in den ersten Stock“ (Dr. Klaus Kessler). Die Eröffnungsrede bei der Vernissage hielt vor einem zahlreichen Publikum der bekannte Banater Kunsthistoriker Octavian Barbosa. 

Diese Künstler, von Hedda Bach-Servatius (Klausenburg-Napoca) und Anton Altvater (Sathmar/Satu Mare) bis Horst Zay (Hermannstadt/Sibiu) und Günther Zerbes (Rosenau/Râ{nov) lebten damals mehrheitlich in Siebenbürgen, im Banat, im Sathmarer Gebiet, in Bukarest und vereinzelt auch in einigen anderen Landesteilen. Jene Maler und Grafiker, die in den Jahren vorher auf verschiedenen Wegen das Land verlassen hatten und sich nun in Westeuropa befanden, wie z.B. Diet Sayler, Helmut Stürmer, Renate Mildner-Müller, Gert Fabritius, Sofia Fränkl u.a., waren nun nicht mehr mit eigenen Arbeiten in dieser Ausstellung vertreten. So auch Reinhardt Schuster, der in Bukarest gelebt hatte und später Eigenausstellungen in Tokio, Rom, London, Luxemburg, Bern und Bonn und in anderen Städten zeigen konnte.

Inzwischen aber, nach mehr als vier Jahrzehnten, ist die Erinnerung an damals – und so auch an die letzten Strahlen einer einst „schwarzen Sonne“ – immer noch nicht vollständig verblasst. Auch wenn man sie heute nicht mehr so zeitnah wie einst wahrnehmen kann.