Joachim Wittstock zu Ehren

Internationale Tagung der Kronstädter Germanistik zur Postmoderne

Teilnehmer bei der Germanistentagung in Kronstadt
Foto: Carmen Elisabeth Puchianu

Vom 4. bis zum 6. April fand in Kronstadt/Brașov eine internationale germanistische Tagung statt, die von der Germanistikabteilung der Philologischen Fakultät der Transilvania-Universität Kronstadt in Verbindung mit der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens veranstaltet wurde. Das Rahmenthema dieser 22. Tagung der Kronstädter Germanistik lautete: „Gesehenes, Gehörtes, Erdachtes. Kulturelle, literarische und sprachliche Paradigmen und Strategien der (rumänien)deutschen Postmoderne“.

Ein diesem Rahmenthema gleichsam eingeschriebener spezieller Schwerpunkt lag dabei auf dem literarischen Werk des siebenbürgisch-sächsischen Schriftstellers Joachim Wittstock, der, im Jahre 1939 in Hermannstadt/Sibiu geboren, in Kronstadt seine gesamte Schulzeit verbrachte und der heuer am 270. Jahrestag der Geburt Goethes seinen eigenen 80. Geburtstag feiern darf. Das größte vorweggenommene Geburtstagsgeschenk machte Joachim Wittstock dabei den Tagungsteilnehmern selbst, indem er den Vorträgen zu seinem Werk nicht nur persönlich beiwohnte und im Anschluss daran mitdiskutierte, sondern indem er im Rahmen einer abendlichen szenischen Lesung auch aus seiner Erzählung „Hades“ rezitierte.

Eröffnet wurde die Tagung durch eine Begrüßungsansprache ihrer Initiatorin und Organisatorin Carmen Elisabeth Puchianu, der Kronstädter Germanistikprofessorin und Leiterin der Kronstädter Germanistikabteilung. Musikalisch umrahmt wurde die feierliche Eröffnung durch bekannte Filmmusiken, dargeboten vom Kammermusikensemble der Tudor-Ciortea-Musikschule Kronstadt unter Leitung von Izabella Brașoveanu.

Der erste Teil der Tagung mit zahlreichen Vorträgen war ausschließlich der Person und dem literarischen Werk Joachim Wittstocks gewidmet. Wie schon bei früheren Kronstädter Tagungen, so eröffnete auch diesmal Adina Lucia Nistor aus Jassy/Iași den Reigen der Tagungsvorträge mit Hinweisen und Bemerkungen zum Namen des in Rede stehenden Autors. Während dessen beide Vornamen aus dem Hebräischen (Joachim = Jahwe richtet auf) und aus dem Althochdeutschen (Heinrich = Herrscher des Hauses) leicht zu deuten seien, müsse man bei seinem deutsch klingenden Nachnamen gleichwohl einen Umweg über das Slawische machen. Der Name Wittstock setze sich nämlich nicht aus den niederdeutschen Wörtern „witt“ (weiß) und „stock“ (Wurzelstock) zusammen, wie die Volksetymologie dies glauben mache, sondern leite sich vom slawischen Wort „vysoka/wizoka“ (die hoch gelegene) her. Eine der ältesten Städte Brandenburgs, die 946 erstmals urkundlich erwähnte Siedlung Wizoka (seit 1441: Wittstock), empfing ihren Namen von der hoch gelegenen Burg des damals durch Otto den Großen dort begründeten Bistums.

Nach dieser onomastischen Einführung befassten sich weitere Tagungsvorträge mit der Person Joachim Wittstocks. Gudrun Liana Ittu aus Hermannstadt widmete sich den Beziehungen Joachim Wittstocks zur Mutter der zweiten Frau seines Vaters Erwin, der in Kronstadt 1885 geborenen und 1970 dort auch verstorbenen Bildhauerin, Malerin und Grafikerin Margarete Depner. Man konnte bei diesem reich bebilderten Vortrag auch die Fotografie einer Porträtbüste bewundern, die den Schriftsteller Joachim Wittstock als jungen Mann mit klassischem Kopf darstellt. Delia Cotârlea aus Kronstadt untersuchte die Spracherfahrungen Joachim Wittstocks in dessen Kindheit und Jugend anhand seiner in Kronstadt spielenden Erzählung „Weißer Turm. Schwarzer Turm“. Ioana Crăciun aus Bukarest beschäftigte sich mit den Klausenburger Studienjahren Joachim Wittstocks, wie dieser sie in seinem autobiografischen Roman „Die uns angebotene Welt“ episch schildert.

Weitere Vorträge von Hermannstädter Germanistinnen hatten andere literarische Werke Joachim Wittstocks zum Gegenstand. Maria Sass beschäftigte sich aus kulturwissenschaftlicher Sicht mit der Erzählung „Karussellpolka“, die den Fastnachtsbrauch des Urzellaufs in Agnetheln/Agnita ins narrative Zentrum stellt. Anne Türk las die Erzählung „Die dalmatinische Friedenskönigin“, die vor dem historischen Hintergrund der Balkankriege des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu verstehen ist, als Plädoyer für die Freiheit. Und Brunhilde Böhls’ Thema war das durch Rumänismen erzeugte Lokalkolorit in Joachim Wittstocks Erzählzyklus „Ascheregen“.

Dem Rahmenthema „Postmoderne“ widmeten sich im Verlauf der Tagung weitere Vorträge. Cornelia Eșianu aus Wien sprach über Literatur und Identität in einer Welt der Globalisierung, Mihaela Parpalea aus Kronstadt dachte über das postmoderne Lesen nach, Cristina Mihail aus Hermannstadt referierte zu postmodernen Strategien der Trauerverarbeitung im digitalen Zeitalter, Doris Sava aus Hermannstadt erörterte Paradigmen der Wissensproduktion und Wissensvermittlung auch und gerade im universitären Bereich, Sunhild Galter aus Hermannstadt stellte Juli Zehs Gesellschaftsroman „Unterleuten“ vor und Andreea Ghiță aus Craiova untersuchte Marcel Beyers Roman „Flughunde“ über einen bizarren Geräuschesammler im Dritten Reich unter dem Gesichtspunkt postmoderner Inszenierung von Erinnerung.

Im Rahmen einer öffentlichen Abendveranstaltung konnten die Tagungsteilnehmer im Kronstädter Kulturzentrum „Visssual“ einem einmaligen kulturellen Ereignis beiwohnen: der „Hades. Carpatesca cum figuris“ betitelten szenischen Darbietung der Erzählung „Hades“ von Joachim Wittstock mit dem Autor als Rezitator sowie dem deutschsprachigen Studierendenensemble DIE GRUPPE unter der Gesamtspielleitung von Carmen Elisabeth Puchianu. In der nächsten Freitagsausgabe wird die ADZ ausführlich über dieses Theaterereignis berichten. Die Teilnehmer der Tagung hatten außerdem die Gelegenheit, sich von der Regisseurin über die szenische Umsetzung der Erzählung „Hades“ und über ihre diversen Inszenierungsprinzipien im Rahmen eines Vortrags ausgiebig informieren zu lassen.

Drei Themenschwerpunkte rundeten das vielgestaltige Tagungsprogramm ab. Zu siebenbürgischen Themen sprachen Adelaida Ivan aus Bukarest und Sigrid Haldenwang aus Hermannstadt, erstere über „Die Siebenbürger Sachsen und ihre Brückenfunktion, die die Gemeinschaft am Leben hält“, letztere über „Die mythenumwobene Ernte, eine Heilige Zeit im Rahmen ländlicher Arbeiten des siebenbürgisch-sächsischen Bauern“.

Zu literarischen Werken von aus dem Banat stammenden Autoren sprachen folgende drei Germanistinnen: Roxana Nubert aus Temeswar über Richard Wagner, Anneliese Wambach aus Temeswar über Balthasar Waitz und Alexandra Nicolaescu aus Bukarest über Robert Schiff und seinen Kriegsroman der anderen Art „Feldpost. Chronik eines ungebauten Hauses“.

Den Abschluss der rundum gelungenen Tagung bildeten didaktische und sprachwissenschaftliche Vorträge. Daniela Turcu aus Kronstadt referierte über verschiedene Strategien der Sprachvermittlung; Mihai Crudu aus Suceava untersuchte das Verb „sehen“ im Hinblick auf das Zusammenwirken von Perzeption und Kognition, auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht; Bogdana Crivăț aus Craiova beschäftigte sich mit Wortbildungen auf „-frei“, wie etwa „bleifrei“, „bauchfrei“ oder „bügelfrei“, und ihren Entsprechungen im Rumänischen; Sofiana Lindemann aus Kronstadt referierte über referenzielle Eigenschaften indefiniter Demonstrativpronomen; und Kinga Gáll aus Temeswar ging der Frage nach, inwieweit die Sprachregelungen der politischen Korrektheit, deren sozial sensibilisierende, antidiskriminierende und damit inkludierende Intentionen durchaus zu loben seien, nicht ihrerseits zur Tabuisierung, Diskriminierung und damit zur Exklusion beitragen, insbesondere wenn man sich dem Zwang der „Euphemismus-Tretmühle“ (Steven Pinker) unterwerfe und glaube, man behebe die Ursachen gesellschaftlicher Diskriminierung bereits durch eine fortwährende Neuschöpfung von Ersatzbegriffen. So führten die Diskussionen über diesen interessanten Vortrag wieder auf Grundfragen des gesellschaftlichen Daseins in Zeiten der Postmoderne zurück, die nicht nur Germanisten, sondern alle Menschen mit sozialem Bewusstsein heutzutage beschäftigen.