Johann Sebastian Bachs Werke für Violine allein

Zwei Soloabende mit David Grimal im Bukarester Athenäum

David Grimal, seine Stradivarius und Bach – ein Erlebnis

Der französische Geiger David Grimal, der beim letztjährigen Enescu-Festival gemeinsam mit dem Ensemble „Les Dissonances“ das Bukarester Publikum durch die Aufführung von George Enescus „Caprice Roumain“ begeistert hatte, hielt sich Mitte dieses Monats in der rumänischen Hauptstadt auf und war in der vergangenen Woche an vier Abenden im Bukarester Athenäum zu hören, an zwei Abenden mit Solowerken von Johann Sebastian Bach, an zwei weiteren Abenden als Solist in Tschaikowskys Violinkonzert in Begleitung des Sinfonieorchesters der Philharmonie „George Enescu“.

Der Schüler von Isaac Stern, Shlomo Mintz und Philippe Hirschhorn hatte sich für die ersten beiden Konzertabende sämtliche sechs Sonaten und Partiten für Violine solo von Johann Sebastian Bach vorgenommen, die von vielen Geigern als Höhepunkt der Literatur für Solovioline überhaupt betrachtet werden. Bachs Autograf der sechs Solowerke stammt aus dem Jahre 1720, als der große deutsche Komponist Kapellmeister in Köthen war. Man vermutet jedoch, dass Bach bereits während seiner Weimarer Jahre (1708-1717) an Frühfassungen der sechs Violinwerke „senza basso accompagnato“ arbeitete. Aus just derselben Zeit stammt auch die Violine, auf der David Grimal die Bach-schen Sonaten und Partiten in Bukarest zu Gehör brachte: die Stradivarius „Ex Roederer“, die Antonio Stradivari im Jahre 1710 gebaut hatte.

Das Programm der beiden Soloabende war so strukturiert, dass beide Konzerte der Zählung des Bach-Werke-Verzeichnisses folgten, aber in gegenläufiger Richtung. Auf die erste Sonate in g-Moll (BWV 1001), die erste Partita in h-Moll (BWV 1002) und die zweite Sonate in a-Moll (BWV 1003) am ersten Abend folgten am zweiten Abend die dritte Partita in E-Dur (BWV 1006), die dritte Sonate in C-Dur (BWV 1005) und als krönender Abschluss die zweite Partita in d-Moll (BWV 1004). Die Absicht dieser Programmstruktur lag auf der Hand. Die beiden Soloabende David Grimals sollten ihren Abschluss und Höhepunkt in der berühmten Chaconne finden, dem monumentalen Finalsatz der zweiten Partita, der als das Non plus ultra der Soloviolinliteratur gilt. Yehudi Menuhin bezeichnete die Bachsche Chaconne in seinen Lebenserinnerungen als die großartigste Komposition für Solovioline, die es gibt, und George Enescu ließ den damals elfjährigen Knaben Yehudi diesen Satz aus der d-Moll-Partita während eines Gewitters in seiner Residenz „Vila Lumini{“ in Sinaia gleich dreimal vorspielen, zum denkwürdigen Abschluss seines in Rumänien genossenen Violinunterrichts.

David Grimal absolvierte sein anspruchsvolles Bach-Programm, das eine vorzügliche geigerische Kondition erfordert, in Bukarest zudem auswendig. Auf dem hellen Parkett der Athenäumsbühne stand nur er allein, ganz der Musik hingegeben und ihrem Verlauf wie traumwandlerisch folgend. Nur ein einziges Mal, am Ende der überlangen Fuge der C-Dur-Sonate, gab es einen kleinen Aussetzer, den Grimal jedoch gekonnt überspielte und dadurch zugleich in Erinnerung rief, welche enorme Konzentrations- und Gedächtnisleistung derjenige zu erbringen hat, der sich einer solchen geigerischen Herausforderung stellt.
Grimals Interpretation der sechs Bachschen Solowerke bestach nicht nur durch den edlen Geigenklang, der insbesondere in den extrem polyfonen Passagen, bei denen der Violinist alle vier Saiten gleichzeitig zum Schwingen zu bringen hat, gerne ins Ruppige und Gewaltsame abgleitet. Nicht so bei David Grimal! Der weiche und milde Klang seiner Stradivarius bettete das Ohr des Zuhörers auf Daunen, ein Effekt, den Grimal durch seine wunderbaren Pianissimi noch unterstrich. Gerade in der berühmten Chaconne gelang ihm ein einzigartiges kontinuierliches und zugleich höchst behutsames Crescendo über mehr als dreißig Takte.

Grimals Bach-Interpretation bestach nicht nur durch seine stupende Bogentechnik, mit der es ihm gelang, im polyfonen Gewebe des Bachschen Notentextes einzelne Klangfäden sichtbar zu machen und ihnen, sei es in den Ober-, sei es in den Mittel- oder Unterstimmen, mit leuchtender Klarheit zu folgen. Aber auch in den scheinbar nicht polyfonen Sätzen wie im Allegro assai der C-Dur-Sonate mit ihren rasenden Sechzehntelläufen und -bewegungen brachte er deren polyfone Substruktur ans Licht, indem er einzelne Töne durch einen unmerklichen Druck des Bogens, durch ein kaum spürbares Verweilen als Orgelpunkt gleichsam stehen ließ und sie so zum tragenden Gerüst des gesamten musikalischen Baus machte.
Grimals Bach-Interpretation bestach vor allem auch durch ihren Variationsreichtum, der dem Zuhörer zahlreiche musikalische Überraschungen, vielfältige kompositorische Entdeckungen und eine schmucke Kette von in allen Farben glitzernden Hörerlebnissen bescherte. Manche Wiederholungen, die Bach in seinem Notentext vorgesehen hatte, ließ Grimal unberücksichtigt, andere wiederum brachte er in dynamischer Variation zu Gehör, wieder anderen ließ er Verzierungen angedeihen, die in der Musik des Barock üblich waren und damals vom Solisten geradezu erwartet wurden. Doch ging Grimal hierbei durchaus maßvoll und sparsam zu Werke. Im Mittelpunkt seiner Interpretation stand immer Johann Sebastian Bach und nicht der in seinem bravourösen und erfindungsreichen Spiel sich gefallende Violinvirtuose.

So wurden die sechs Sonaten und Partiten Johann Sebastian Bachs unter den Händen von David Grimal im Bukarester Athenäum zu einem einzigen Hörgenuss, der am Ende, wie konnte es anders sein, nach mehr verlangte, was aber, insbesondere nach dem Verklingen der Bachschen Chaconne, jedem Geiger zu geben unmöglich gewesen wäre. David Grimal behalf sich deshalb mit einem scherzhaften und den Applaus humorvoll beendenden Schlusswort: „Le bis: jeudi et vendredi!“, will sagen: Die gewünschte Zugabe wird am Donnerstag und am Freitag gegeben, nämlich an den beiden Abenden mit der Darbietung des Tschaikowskyschen Violinkonzerts im Bukarester Athenäum.